Manchmal kann man nicht anders. Unvoreingenommen steht der Rezensent, der sich frei von Wortspenden wähnt, in einem Baucontainer im noch zu bebauenden Seestadt-Aspern-Areal herum. Sinniert über die Schotterstraße bis dahin, die er von der nordöstlichen Endstation der U2 im freien Gelände nehmen musste. Dort ist Aspern irgendwie noch ein peripheres, ländliches, ehemaliges Flugfeld, das vor mehr als 200 Jahren Schlachtfeld gegen Napoleons Soldateska war. Noch schöner wäre ein Feldweg, wo nur die Fahrspuren unterschottert sind. Sollte durchaus auch in dem zukünftig prosperiernden Stadtteil machbar sein. Und wäre sicherlich auch von ästhetischem Mehrwert. Asphalt ist nicht Fortschritt, sondern zählt im Verein mit Beton zu den klimaschädlichen Erderwärmungsquellen.
Sonic Opening
Nun, der Baucontainer aus Holz misst geschätzt großzügige 20 x 50 Meter und ist hoch genug, um die Schallwellen so strömen zu lassen, dass der Wortschöpfung Sonic Territories Genüge getan wird. Nach dem recht sperrigen Auftakt mit PA.ST, die visuell ein Alpenpanorama mit Heimatkitsch und Live-Animationen via Handys kurzschließen, gilt es, für den Auftritt von Fågelle in einem Sessel Platz zu nehmen, um im Dunkeln einige Notizen anfertigen zu können. Wunderbar abartige Rhythmen programmiert die Schwedin aus Göteborg. Zuweilen klingt die Beat-Untermalung gar wie das Tuckern eines Weckers, das im Zeitraffer beschleunigt wird. Meisterlich agiert sie mit Drones und konterkariert diese auch mal mit Oberton-Kaskaden à la Glenn Branca. Ihre hohe Stimme stellt vielleicht das Wehklagen an der Welt etwas zu krass zur Schau, doch ist alles in allem wie aus einem Guss und es sei noch vermerkt, dass die Gitarre das eigentliche Leadinstrument ist. Jedoch unkonventionell gespielt und des Öfteren mit dem Bogen malträtiert, ohne dass es weht tut.
Sonic Healing
Himmlisch und teuflisch gut zugleich gerät auch der Gig von Mia Zabelka, zu deren Breitwandsound Conny Zenk kongeniale Visuals beisteuert. Damit wird der ohnehin schon skulpturale, von Electronics und E-Violine getragene Klang räumlicher denn je. Ist das, was zu sehen ist, nur Illusion? Jedenfalls ziehen die Längs- und Querstreifen Linien, die ein leeres CD-Wand-Regal imaginieren lassen. Bzw. den Raum in den Baucontainersaal hinein verlängern. Kurz vermeint der Rezensent ein Irish-Folk-Tune zu vernehmen, ehe die E-Violine flächig wird und psychedelisch ausfranst. Gegen Ende schaltet Mia Zabelka eine Drumbox en marche. Die Musik hebt ab, klingt wie der Soundtrack zu einer Demo gegen die Übermacht der Konzerne des Silicon Valley. Wo die Politik mangels Regelvorgaben versagt, bleibt nur noch der Protest mit einem räudigen E-Geigensolo, der auf gewisse Weise Ohnmacht verdeutlicht. Anrennen gegen eine komplexe Welt, in der aufgrund vieler Überverursacher der Aufruhr schwer zu adressieren ist. Das Star Spangled Banner ist hier eine weiße Wand, auf der die kadrierten Linien erodieren. Wo sich von der rechten Mitte ein Bohrer der Zerstörung durchfräst und doch im Fade-out wieder Vorhanglinien erkennbar sind. So man diese noch assoziieren mag.
Sonic Terrorists
Der Vorhang ist gefallen. Für das Zerstörungswerk des disruptiven Kapitalismus mögen Nekrom stehen. Lustvoll holen Morten Minothi Kristiansen und Kenneth Korstad Langås White Noise aus ihrem elektronischen Inventar. Zerlegen es zwar nicht, erfreuen sich aber unbändig an ihrem High-Energy-Noise-Output. Das norwegische Duo produziert eine Überdosis Lärm, die kathartisch wirkt. Im Gegensatz zu den Angstmache-Herrschaftstechniken der Finanz- und Konzerneliten, die Macht hervorbringen und aufrechterhalten. Eine Rebellion dagegen ist schwieriger denn je.