»Viele Nobelpreisträger sprechen sich für Investitionen aus. Wir müssen die Netto-Investionsrate deutlich erhöhen«, sagt Kanzleramts-, Kultur- und Medienminister Thomas Drozda im Sonntagsfernsehen (ORF Pressestunde vom 18. September). »Die Gelder müssen sinnvoll und investiv eingesetzt werden, um die private Wirtschaft zu ermuntern, auch zu investieren. In den USA wird zum Beispiel die Rüstungswirtschaft stimuliert.« Die Wirtschaft ankurbeln? Mehr Eurofighter bestellen? In Tarnfarben vielleicht? Ûberall wird abwehrtechnisch aufgerüstet gerade, er scheint auf der Höhe der Zeit. Drozda redet aber auch wie ein sozialtechnischer Finanzmanager. »Die Finanzierung der Sozialsysteme basiert bisher nur auf der weniger werdenden Lohnarbeit. Es kann nicht alles auf der Lohnsumme basieren.« Drozda redet teilweise, wie es der Finanzminister sollte. Nach Kulturminister sieht er in der ORF-Pressestunde überhaupt nicht aus: Keine kleine rote Schüssel-Fliege, keine karierte Zwanziger-Jahre-Schirmkappe, keine Lesebrille mit Schnörkeln auf dem weisen Haupt, sondern Dunkelgrau (Anzug) in Silbergrau (Krawatte). Nicht einmal Pünktchen auf der Krawatte. Oder ein Schiele-Bild. Hundertwasser? Das würde Humor beweisen.
Flüchtlingskunst anschauen
Drozda hat in der Früh mit dem Kanzler gesprochen, schließlich ist er Kanzleramtsminister, er redet ständig für Bundeskanzler Kern. Er wird zu Flüchtlingen gefragt, nicht zur Kunst, schon gar nicht zu Flüchtlingskunst: »Ich hoffe, dass wir die Flüchtlings-Notverordnung nicht brauchen,« schnauft er. »Pro Woche kommen 700 Menschen dazu.« Ein Zahlenmensch ist er! Eine mathematische Beschreibung der Welt kann durchaus künstlerisch eingesetzt werden – die Musik kennt viele Beispiele. Aber danach steht ihm nicht der Sinn. Mathematik ist eher Instrument der Kontrolle. So findet Drozda strukturierte Tagesabläufe für Flüchtlinge gut. Das erinnert mich an die Häftlinge in gestreiften Pyjamas, die ich einmal in einer Nacht in Budapest Schneeschaufeln sah. Alle aneinander gekettet. Immerhin ist Drozda nicht für die Ein-Euro-Jobs (sondern für Fünf-Euro-Jobs). Billiger, billiger. Flüchtlingsdiener in jede Familie, wie Grissemann das in der Sendung vom 29. September ausdrückte. Bei Grissemann wurde ein Fiakerfahrer interviewt, der »dem Afghanen« absprach, kochen oder gescheit spülen zu können, da er ja nicht einmal lesen und schreiben könne. »Die Frage der Sanktionen stellt sich immer«, meint Drozda. Sanktionen wofür? Ein Flüchtling zu sein? Ûber Migranten redet er noch gemeiner: »Das ist die Generation AMS, die braucht keiner.« (Als nächstes werden dann KünstlerInnen, die am Existenzminimum leben, dran sein mit der erweiterten Gratisarbeit.) Die Journalistin der »Oberösterreichischen Nachrichten« schwadroniert genüsslich von Straßenreinigung und Parksäuberung, Drozda vom Rasenmähen. Warum nicht die »Oberösterreichischen Nachrichten« austragen? Das hatten wir schon einmal: Der selige Herr Dichand kaperte sich in den 1970er-Jahren die Flüchtlinge aus Ägypten, Marokko und Tunesien und ließ sie ihr Leben lang in Abgaswolken auf Kreuzungen stehen, ohne jemals für ihre Pensionen einzuzahlen. Muss dem Drozda dringend einmal ein bisschen Flüchtlingskunst schicken. Zum Beispiel von unserem schönen SOHO-Workshop »Flüchtige Landschaften« oder von der Ausstellung »Fluchtlinien. Kunst und Trauma«. Er scheint keine Flüchtlingskunst zu kennen – eine Bildungslücke.
»Flüchtige Landschaften« Workshop SOHO 2014
Unendlicher Zahlenkosmos
Die nächste Frage des ORF-Journalisten: die Mindestsicherung. »Minister Hundstorfer führte in zähen Verhandlungen die Mindestsicherung ein. Von Armutsgefährdung ist Österreich aber weit entfernt«, ist die Antwort. Tja. Die realen Armutszahlen scheint Drozda nicht zu kennen. Armut! In Österreich! Gibt es! Um auch einmal eine Zahl zu nennen: In Deutschland liegt die Grenze für »passive Armut« bei 961 Euro im Monat und die Flüchtlingskosten machen fünf Milliarden Euro aus, im Vergleich zu 200 Milliarden für die Renten. »75 Prozent der Mindestsicherungsbezieher sind Aufstocker, da die Löhne und die Pensionen so niedrig sind«, stellt Drozda fest. 75 Prozent! Weiter geht es: »Der kalten Progression die Zähne ziehen … das Körberlgeld für das Finanzministerium abschaffen … 80 Prozent Briefwähler in der Schweiz … das Wahlrecht wurde 1907 und 1919 erkämpft.« Die Zahlen sprudeln nur so hervor. Erleidet hier der Kultur- und Medienministers ein kleines Zahlentrauma? Es gibt viele KünstlerInnen, die sich obsessiv mit Zahlen beschäftigen, u. a. Hanne Darboven, die ganze Bögen Millimeterpapier händisch füllte, um das Vergehen von Zeit abzubilden. »Eine Reduktion des unendlichen Zahlenkosmos stellt die nach einem eigenen Modus errechnete Quersumme dar« (Katalog). Die Tage eines Jahrhunderts konnte sie dank Quersummen in 402 Ringordner einordnen. Im Moment sind im MUMOK echte Darbovens ausgestellt. Sie wollte vor allem zeigen, dass Geschichte nur fragmentarisch erfassbar ist. (Und dass die mathematisch-quantitative Erfassung entscheidende Qualitäten des Lebens verfehlt.)
Gemälde von Mostafa. Foto: Gerhard Maurer
Kunst statt künstliche Auflagenzahlen
Vor allem möchte Drozda, der auch Medienminister ist, am Ende der Sendung mehr Geld für die Presseförderung erreichen, um eine »gerechte Finanz- und Mittelverwendung zu garantieren«. Es geht ihm um Beschäftigung und Qualität. Das wäre schön, denn bisher wird staatlicherseits allein nach Auflagenhöhe geblecht, egal ob die künstlich erhöhte Auflagenzahl ungelesen in den Altpapiercontainer wandert oder einfach gratis verteilt wird. Und die U-Bahn-Mistkübel verstopft. Google und Facebook würden keine Abgaben in Österreich zahlen, Drozda will wirklich von diesen Konzernriesen Geld kassieren und er rechnet sich sogar Chancen aus. Erstaunlich und hoffentlich realistisch. Ab Juli nächsten Jahres hofft er. Eine neue Presseförderung wäre schön und unbedingt nötig, denn es gibt einige Online-Medien, die gerne Beschäftigung geben würden und durchaus qualitätsvoll genannt werden dürfen. Man könnte ja einfach diesen Riesenunterschied zum geförderten Print-Boulevard enorm abflachen. Für einen wahren Zahlenkünstler doch eigentlich überhaupt kein Problem.