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»Dieses unsichtbare Horn ist das Slowenische«

Die Sandleiternerin und gebürtige Kärntnerin Maria Flash* über verschiedene Heimatmodelle, eine idealisierte sozialistische Partei und über den Fuhrunternehmer, der ihre Mutter von der Liste der Slowenen nahm, die deportiert werden sollten. Ein skug-Gespräch aus der Sandleiten-Chronik-Reihe.

Maria (2. von rechts) als Schwimmerin im Österreichischen Sportverein

Fotos: Privat

Was bedeutet Heimat für dich?

Maria Flash: Heimat hat mir einmal etwas bedeutet, heute bin ich mehr Europäerin. Als Kind wurde ich in der Volksschule heimatbewusst aufgezogen. Am zehnten Oktober mussten wir zum Beispiel beim Fackellauf »Kärnten frei und ungeteilt« mitgehen. Ich war im österreichischen Sportverein und habe auf diese Weise alle Schwimmbäder in Kärnten kennengelernt. Der Heimatbegriff hat sich verlaufen, je älter ich geworden bin. Österreich gilt allgemein als sicheres Land und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg toll aufgebaut. Bruno Kreisky hat uns den Wohlstand gebracht. Das war eine tolle Zeit. Mit der SPÖ und mit der Wirtschaft ist es aufwärts gegangen, es war eine totale SPÖ-Zeit damals. Die Gratis-Schulbücher zum Beispiel empfand ich als total positiv.

Bedeutete also Kärnten eine Heimat für dich?

Na sicher, ich fühlte mich komplett als Kärntnerin. Mit der Grenze nach Italien und dem Urlaub in Jugoslawien, fühlten wir uns als der Süden von Österreich – komplett im Süden und komplett sozialistisch. Die Regierungen im Burgenland, in Wien und Kärnten, das waren die Guten sozusagen (lacht), die sind sozial und menschlich, nicht so bürgerlich wie das Spießbürgertum. Mein Opa kämpfte 1920 im Kärntner Abwehrkampf, er trug immer Kärntner-Anzug. Meine Eltern waren Hauptschullehrer und haben sich anpassen müssen. Das Slowenische wurde voll unter den Tisch gekehrt, für den Beruf passten sie sich an.

1920 kämpfte das demokratische Österreich gegen den monarchistischen Staat der Slowenen, Kroaten und Serben (SHS-Staat), der 1929 die offizielle Bezeichnung Königreich Jugoslawien erhielt. Die Abstimmung und der Kampf waren nicht wirklich slowenisch gegen deutsch, wie von der FPÖ behauptet wird, sondern in Wirklichkeit Republik gegen Monarchie.

Aha, das wusste ich nicht (lacht). Ich fühlte mich immer komplett als Deutsche, ich bin völlig deutsch aufgewachsen, dabei hat meine Mutter, bis sie fünf Jahre alt war, überhaupt nur slowenisch geredet. Ich habe natürlich eine slowenische Seele, das Empfinden ist slowenisch, das ist das Schizoide daran. Das ist der slowenische Punkt (deutet auf ihren Kopf), dieses unsichtbare Horn, dieses Hörndl da, das ist das Slowenische (lacht). Ich gehöre ewig zu den Unterdrückten, das konnte ich nie verleugnen, das Slowenische war wohl immer der Makel in Kärnten. Wir hatten slowenische Bücher zu Hause, geschnüffelt und gestöbert haben wir schon. Meine Schwester hat noch von der Oma gelernt. Ich war voll die Kärntnerin, dann ist das unterdrückte Slowenische durchgebrochen. Wir waren oft in Dravograd über der Grenze einkaufen oder essen.

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Maria Flashs Eltern

Hast du im Wiener Sandleiten ein Gefühl der Heimat?

Es ist sehr liebreizend hier, es ist sozialistisches Gebiet (lacht), es gibt sehr viel Widerstand. Ich bin ganz verliebt in Wien und Sandleiten. Mein Bruder fand die Wohnung, ich kam im Jahre 2004 nach Wien, die Mutter 2006. Ich kann über die Wiener nur positiv reden, sie sind lieb zu Kindern und Hunden. Wenn hier in Sandleiten jüdische Menschen für eine bessere Welt gekämpft haben, dann ist das für mich Balsam. Wien ist eine Großstadt und hat mir geholfen, mit Kärnten abzuschließen.

Was hat dich denn aus Kärnten vertrieben?

Das waren verschiedene Gründe. Ein Grund stammt noch aus dem Nationalsozialismus. Die Mama war bedroht gewesen. Der Ortsgruppenleiter der NSDAP hatte im Nationalsozialismus die Ziegelei in Bleiburg gepachtet, Polaschek hieß der, glaube ich. Er besaß eine Liste, auf der alle Slowenen standen, die abtransportiert werden sollen. 1942 wurde nämlich ein Großteil der Slowenen ausgesiedelt. Der Polaschek strich meine Mutter von der Liste herunter und sagte ihr das auch. Es ist nur ein Pülcher, ein Gauner, ausgesiedelt worden und der hatte wirklich etwas angestellt. Eine Kusine von meiner Mutter wurde im Konzentrationslager ermordet. Sie ist dort geendet, weil sie jemandem eine Zigarette gegeben hatte. Sie war einfach nur eine Verkäuferin. Der Vater meiner Mutter, ein Slowene, trug ein Bärtchen wie Adolf Hitler (lacht). Als Kind hat meine Mutter immer mit diesem Schnurrbart gespielt. Der Bruder meiner Oma ist als Slowene von den Nazis so verprügelt worden, das er nicht mehr studieren konnte, der war Pfarrer von Beruf. Er konnte nicht mehr richtig denken.

Die Nationalsozialisten haben im Lager Wolfsberg hungern müssen, schrie Jörg Haider, der immer auf das Leiden der Nazis hinwies, später (lacht).

Mein Vater starb mit 54 Jahren, er war sechs Jahre lang Bürgermeister einer kleinen Stadt in Kärnten. Er war ein lieber Mensch, der sehr viel gelesen und noch an die SPÖ geglaubt hat. Vertrieben hat mich auch, dass es Leute gab, die froh waren, dass der Bürgermeister tot war und dass sie der Mutter die Gemeindepension raubten. Der Familienschutz ist weggefallen. Ich bin im Streit gegangen. Mein Vater war ein Freigeist, der als Kind bei einer Kusine aufgewachsen war, weil er keine Eltern mehr hatte. Seine Mutter arbeitete in einer Fabrik und war durch einen Stromunfall mit einem Kabel getötet worden, zu diesem Zeitpunkt war mein Vater erst vier Jahre alt. Mein Vater war ein Arbeiter, der sich durch die Lehrervereinigung der SPÖ (LBA) selber zum Lehrer hat ausbilden lassen. Man muss ihn ruhen lassen, er soll seinen Seelenfrieden haben. Sein älterer Bruder war für den Hitler gestorben.

*Name geändert

In Kooperation mit SOHO IN OTTAKRING

Home / Kultur / Open Spaces

Text
Kerstin Kellermann

Veröffentlichung
21.03.2016

Schlagwörter

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