Foto: Jens Ziehe © Monica Bonvicini und Bildrecht Wien
Foto: Jens Ziehe © Monica Bonvicini und Bildrecht Wien

Die Grenze als Denkmodell

Monica Bonvicini stellt im Belvedere21 patriarchale Macht bloß und macht Grenzen sichtbar – mit dem vielversprechenden Titel: »I cannot hide my anger«.

Die Künstlerin Monica Bonvicini nimmt Raum ein. Im wahrsten Sinne des Wortes. Vielleicht kann ihre Installation auch als Metapher für den männlichen Blick verstanden werden. Die Mitte des Raumes im Belvedere 21 ist nicht mehr sichtbar – sie ist verbaut und bleibt verbaut bis zum Ausstellungsende. Nur vom ersten Stock des Museums kann die Struktur aus 112 Aluminiumplatten eingesehen werden. Die Blickperspektive muss also gewechselt werden. Eine Aufforderung, andere Blickpolitiken einzusetzen?

Room at the top?
Monica Bonvicini geht in ihren Arbeiten seit den 1990er-Jahren den Fragen von Macht, Gesellschaft und Institutionen nach. So ist der Prozess vor der Ausstellung bereits Teil der Arbeit. Die Raumkonstruktion ist das Resultat des Kampfes der Künstlerin gegen Sicherheits- und Brandschutzvorschriften, das Austesten von Grenzen im Dialog mit der Museumsinstitution und somit auch eine Verräumlichung dieser, in der fertigen Ausstellung nicht sichtbaren, Strukturen. Die Konstruktion ist eine Auseinandersetzung mit Architektur, aber auch der Kunstgeschichte als männlicher Domäne und vor allem eine Verarbeitung der Geschichte des Belvedere 21, das als Pavillon für die Expo 1958 in Brüssel erbaut worden ist.

Der Architekt Karl Schwanzer orientierte sich bei seinem Entwurf an der internationalen Moderne, seine Vorbilder waren Le Corbusier und Mies van der Rohe. Eine Stilgeschichte, die von Männern geschrieben worden ist. Auch wenn die Designerin und Architektin Eileen Gray (1878–1976) in genau demselben Stil arbeitete und ikonische Arbeiten wie den verstellbaren Tisch E-1027 anfertigte oder das L-förmige Haus E.1027.

Architektinnen wie Denise Scott Brown (geb.1931), die mit Robert Venturi verheiratet war, wurden kaum für ihre Arbeit anerkannt und standen vollkommen im Schatten ihres Mannes. Ihr Text »Room at the top? Sexism and star system in architecture« von 1989 brachte starke Kritik an der männlichen Domäne und auch heute sind die meisten Stararchitekten männlich. Zaha Hadid (1950–2016) war 2004 die erste Frau, die den renommierten Pritzker Price gewann, und wurde in den Medien als Macho-Frau und ähnliches bezeichnet.

Jens Ziehe © Monica Bonvicini und Bildrecht Wien

Marlboro Woman?
So geht es bei Bonvicini um eine Re-Appropriation, der Raum wird jetzt von einer Künstlerin eingenommen, stilistisch in der Tradition der Minimal Art, eines ebenfalls männlich konnotierten Kunststils. Aluminium als Synonym für die männlich geprägte Moderne. Konsequenterweise ist dann auch der Marlboro Man auf der spiegelnden Wand, die auch eine Fassade ist, zu sehen: Symbol von Männlichkeit einer vergangenen Ära. Oder auch nicht?

Architektur wird oft als Sichtbarmachung von Raum angesehen. In dieser Hinsicht ist Bonvicinis Arbeit eine Sichtbarmachung von Wänden und Grenzen, die uns ständig umgeben, ohne dass wir sie wahrnehmen. Grenzen innerhalb der Gesellschaft, nationale Grenzen, aber auch begrenzende Denkweisen. Wir sind geprägt von Dichotomien, die es aufzulösen gilt. Eben auch Rollenbilder von männlich und weiblich.

Seit den 1970er-Jahren werden Klischees von männlich und weiblich dekonstruiert. Judith Butler hat seit den 1990er-Jahren dazu beigetragen, Gender als performatives Konstrukt zu entlarven, und somit neue Sichtweisen auf unsere Gesellschaft ermöglicht. Dennoch sind wir nach wie vor von diesen sozial konstruierten Geschlechternormen geprägt. Damit spielt Bonvicini, indem sie sich Verhaltensmuster (Marlboro Man) und Materialien (Leder) aneignet und in einen neuen Kontext stellt. Die Materialien stehen somit eher gesamtgesellschaftlich im Raum und lassen an universelle Themen denken.

Foto: Jens Ziehe © Monica Bonvicini und Bildrecht Wien

Grenzen sichtbar machen
Oft verwendet Bonvicini Text als künstlerische Ausdrucksform. Beispielsweise ließ sie während ihres Aufenthaltes in Los Angeles das Wort »Desire« auf eine Shopping Mall setzen. In der aktuellen Ausstellung ist das Wort »Hysteria« auf der Wandfassade ihrer Arbeit zu sehen. Hysterie, griechischen Ursprungs, bedeutet Gebärmutter und ist vor allem durch Sigmund Freud und seiner Pathologie der Hysterie als Frauenkrankheit konnotiert. Im Kontext der Arbeiten von Bonvicini lässt das Wort an die Hysterie des Kunstmarktes denken, an die Hysterie der Medien, an den Kapitalismus, an den dies gekoppelt ist.

Die gesamte Aluminiumkonstruktion ist mit Stacheldraht umgeben – dabei spielt sie einerseits auf die Atomkraft und den Schwanzer-Pavillon 1958 und das Thema »Technik im Dienste der Menschheit« an, andererseits auf die Grenzen im aktuellen Kontext im Hinblick auf den Ausschluss von Menschen. Zwei ihrer Arbeiten zeigen durch die Folgen der globalen Erwärmung verursachte Klimakatastrophen, die Wohnhäuser zerstört haben.

So ist das Sichtbarmachen von Grenzen auch eine Aufforderung, an unsere eigene Beziehung zu Grenzen zu denken. Ist unsere Gesellschaft nur ein Ausdruck von staatlichen und institutionellen Grenzen? Wie weit wollen wir gehen und wie sehr sind unsere Grenzen von anderen gemacht?

Monica Bonvicini: »I cannot hide my anger« ist noch bis 27. Oktober 2019 im Belvedere 21 zu sehen.

Link: https://www.belvedere.at/monica-bonvicini

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