© Graham Tolbert
© Graham Tolbert

Die fünfte Jahreszeit

Bon Iver veröffentlicht sein fünftes und vielleicht letztes Album. Zeit, einen Blick auf sein Gesamtwerk zu werfen und »Sable, Fable« darin einzuordnen.

Bon Ivers Musik ist jetzt sexy. Wer den Text zur 2024 veröffentlichten »Sable,« EP gelesen hat, dürfte sich fairerweise denken, dass das nicht sein kann. Ging es doch um Themen wie den Umgang mit Schuld, Ängste und deren Überwindung. Der Sound orientierte sich stark weg vom letzten Album »i,i« (2019), weg vom Maximum, zurück zum Minimum. Und dennoch sagt Frontmann Justin Vernon in Interviews, dass sein neues Album am besten beim Fahren eines Cabrios im Sonnenschein gehört werden soll. Wie soll das denn zusammenpassen?

Everything that happens is from now on

Bevor einige Worte über »Sable, Fable« verloren werden, nochmal ganz zurück zum Anfang. Winter 2006, Au Claire, Wisconsin. Justin Vernon zieht sich für ein paar Monate zurück in die Jagdhütte seines Vaters, um Demos aufzunehmen und eine Trennung zu verarbeiten. Zudem hat er mit seiner Spielsucht und einer Infektion mit Pfeifferschem Drüsenfieber zu kämpfen. Die Aufnahmen sind so gut, dass Freund*innen ihn dazu motivieren, sie als Album herauszubringen. Vernon veröffentlicht daraufhin sein Debütalbum »For Emma, Forever Ago«, das im Jahr 2007 zwei Grammys (Best New Artist und Best Alternative Music Album) gewinnen wird. Der Sound ist geprägt von Minimalismus, kreativer Produktion und dem Narrativ des einsamen Typen, der im Wald alleine traurig ist – wofür er heute wohl der breiten Masse immer noch am bekanntesten ist, nicht zuletzt wegen seinem geläufigsten Song »Skinny Love«. Für viele Fans können die ersten vier Alben von Bon Iver als Jahreszeitenzyklus interpretiert werden, aber auch als Verarbeitung eines Traumas. In diesem Bild ist »For Emma, Forever Ago« der Winter und stellt das Trauma selbst dar.

Das 2011 erschienene zweite Album »Bon Iver« stellt den Frühling dar und den Wiedereinstieg in das Leben. Die Produktion wurde noch ausgefeilter, der Sound größer und mutiger. Die Band um Justin Vernon spielte eine größere Rolle, teilweise standen über zehn Personen bei Live-Performances auf der Bühne. Wie Vernon heute sagt, war das ein Weg, um mit dem Erfolg umzugehen, der ihm eigentlich äußerst unangenehm war, ein Versuch, in der Masse unterzugehen, das Scheinwerferlicht nicht alleine füllen zu müssen.

I could go forward in the light, well I better fold my clothes

Nach jahrelangem Touren fand sich Vernon ausgebrannt an einem möglichen Ende seines kreativen Prozesses wieder. Lange dachte er, »Bon Iver« könnte sein letztes Album gewesen sein, das herkömmliche Arbeiten an Songs mit Gitarre und Gesang brachte ihm nur noch wenig Freude. Wenn es weitergehen sollte, dann nur mit einer radikalen Änderung im Sound. Nach fünf Jahren Release-Pause erschien 2016 »22, A Million«, im Zyklusbild der Sommer und die tatsächliche und unaufgeregte Verarbeitung und Integration des Traumas. Vernon arbeitete viel mit Samples, gepitchten Vocals und Synthesizern. 

Besonders hervorzuheben ist auch noch die Erfindung eines Instruments, dem Messina, benannt nach Bon Ivers Sound Engineer Chris Messina. Vereinfacht gesagt, könnte man es als einen in Echtzeit funktionierenden Vocoder verstehen, der Gesang, oder auch ein Instrument wie das Saxofon, in mehrere Tonlagen aufteilt, die an einen Synthesizer angeschlossen sind und wiederum als eigene Stimmen abgespielt werden können. Besonders präsent ist der Messina im Song »715 – CR∑∑KS«. »22, A Million« handelt von der Abkehr von der Religion und der Auseinandersetzung mit der eigenen Herkunft und strotzt vor religiöser Symbolik in der Musik, aber auch im Artwork zum Album. Justin Vernon gelingt ein so noch nie dagewesener Mix von Musikelementen, der nachhaltig viele bekannte Musiker*innen aus den verschiedensten Genres beeinflusste, der allerdings auch seine Zeit brauchte, um verstanden zu werden. 

It might be over soon

2019 erschien das vierte Album »i,i«, der Herbst im Jahreszeitenzyklus, ein Abschließen mit der Vergangenheit, ein optimistisches Nach-vorne-Schauen in die eigene Zukunft und die wieder freigewordenen Ressourcen, die jetzt für die großen gesellschaftlichen Probleme zur Verfügung stehen. Das Album wurde mit extrem vielen Mitwirkenden über mehrere Monate produziert und kann und soll als Gemeinschaftswerk einer Community verstanden werden. Auch der Sound des Albums ist sehr hell und offen und sucht die großen, schönen Momente des Lebens. Man konnte den Eindruck gewinnen, Justin Vernon sei angekommen und zufrieden mit sich selbst, der Zyklus war vollendet. 

In den Jahren bis zum Erscheinen der »Sable,« EP (2024) veröffentlichte Vernon nur wenige Singles, aufsehenerregender waren da eher einige Kollaborationen, zum Beispiel mit Taylor Swift oder Charlie XCX. Aber was sollte auf den abgeschlossenen Zyklus folgen? Die fünfte Jahreszeit? Alles nochmal von vorne? Ein weiteres Mal fragte sich Vernon ernsthaft, ob er noch weiter Musik als Artist veröffentlichen will. Im Musikpodcast der »New York Times«, dem »Popcast«, spricht Vernon davon, dass er jahrelang »a boot on my chest« hatte. Jahrelang durchlebte er immer wieder seinen Traumazyklus live auf der Bühne und fühlte sich zurückversetzt in seine dunkelsten Stunden, eine Praxis, die ihre Wunden hinterließ. Besonders die Live-Version von »715 – CR∑∑KS« nennt Vernon als immer wieder verletzend. Und darauf hat Bon Iver keine Lust mehr. 

Sunlight feels good now, don’t it?

Und wie passt hier die »Sable,« EP rein? Sie kann so verstanden werden, dass Vernon den Fans gibt, was sie von ihm erwarten: Schmerz und Dunkelheit, was ja genau das ist, was er nicht mehr machen will. Für ihn sind die drei Songs Überzeichnungen, wenn nicht gar Karikaturen seiner eigenen traurigen Songs. Auch das Musikvideo zu »Speyside« porträtiert Justin Vernon ungewohnt, aber wunderschön in Country-Klischees, die an Johnny Cash angelehnt sind. Die EP ist also ein Tanz aus den Fans geben, was sie wollen, und der fast schon zynischen Befriedigung dieses Bedürfnisses. 

Nun ein halbes Jahr nach »Sable,« erschien 2025 auch der zweite Teil des Albums, der positive Teil »Fable«. Eine notwendige Pause, um die Dichotomie dieser zwei Teile miteinander existieren zu lassen. Vernon schrieb diese neun Songs nur für sich und wollte einfach seine aktuelle Zufriedenheit mit sich und seinem Leben ausdrücken. Der Stiefel auf seiner Brust ist nun das erste Mal seit über zehn Jahren nicht mehr da, endlich kann er wieder frei atmen und sich Dingen wie Tennis oder Basketball widmen. Vernon richtete sich in den letzten Jahren ein Zuhause in Los Angeles ein, verbrachte mehr Zeit in der Sonne und gab sich nicht den Blizzards seiner Heimat Wisconsin hin. Und diese Sonnenstunden sind eindeutig zu hören.

And everything is peaceful love, and right with me

Schon im ersten Song »Everything Is Peaceful Love« sind die wichtigsten Elemente, die sich durch das Album ziehen, klar erkenntlich: 80s Flair, sexy Sound, Drum Machines, poppiger Vibe, sein Markenzeichen, der Falsettgesang, und Steel-Guitar. Durchaus Elemente, die eigentlich nichts mit Bon Iver zu tun haben, vielmehr erinnert der Sound an eines seiner Nebenprojekte, Big Red Machine. Lyrisch thematisiert wird der Umgang mit dem neu gefundenen Optimismus und der Angst, diesen bald wieder zu verlieren. Generell findet Vernon auf diesem Album eine direktere, weniger kryptische Sprache als in vorhergehenden Texten. Der Song, der sich am besten für eine Cabriofahrt durch das sonnige L.A. eignet, ist »From«. 

Don’t let it trouble your mind
Just take my love in your time
No need to hurry
Give me your worry
We can just keep it here for now

Zeilen, die man Justin Vernon vor zehn Jahren wohl nicht zugeordnet hätte. Songs wie dieser stellen Fans sicher vor eine Herausforderung. Neue Themen, neuer Sound, neues Motto. Gleichzeitig kann man sich nur freuen, dass Vernon seine Freude gefunden hat und nicht nur Songs über Traumata schreiben muss, sondern die Sexyness im Leben entdeckt hat und diese auch gekonnt vertont.

This is not the sound of a new man or a crispy realization 

Das beste Lied im »Fable«-Teil ist »There’s A Rhythm« und das dazugehörige Outro »Au Revoir«, meint auch Vernon selbst. Im Gespräch mit Lil Yachty sagt er, dies sei einer seiner liebsten Songs, die er je gemacht hat. Er behandelt genau die in diesem Text beschriebene metaphorische und tatsächliche Reise von der Jagdhütte seines Vaters ins sonnige L.A. Auch im dazugehörigen Video.

I’ve had one home that I’ve known
And maybe it’s the time to go
I could leave behind the snow
For a land of palm and gold
But there are miles and miles to go
And I’ve been down this road before
There’s another chance to show
No need to crow no more

Vernon sagt zu Lil Yachty, nach dem Abschließen dieses Songs habe er als Artist das erste Mal das Gefühl, nichts mehr zu sagen zu haben, was aktuell zumindest veröffentlicht werden müsse. Wenn dies sein letzter Song überhaupt wäre, wäre er damit äußerst zufrieden. Es ist somit auch kein Zufall, dass der letzte Track »Au Revoir« heißt.

Your love will be save with me

Bon Iver fordert mit seinem womöglich letzten Album seine Fans erneut heraus. Kamen die Singles sehr poppig daher, zeigt sich nach Kontextualisierung und dem Verstehen des ganzen Bildes des Albums doch eine klare Intention. Justin Vernon geht es gut, er hat jetzt Lust auf »the good life«. Er schafft es, nicht mehr der depressive Typ aus der Hütte zu sein, sondern will das Leben einfach genießen, ohne sich an seinem Job zu zerstören und bei jeder Performance seine Wunden zu lecken. Bon Ivers Werk und sein Jahreszeitenzyklus sind in sich abgeschlossen, aber »Sable, Fable« ist vielleicht das wichtigste Kapitel: das »happily ever after«. Der Teil der Geschichte, der nicht in seinem vollen Umfang erzählt werden muss, der Epilog.

Wie geht man also damit um, wenn eine Band oder ein*e Musiker*in, den*die man sehr gerne mag, plötzlich ganz andere Musik macht als davor? Man verlässt sich auf das Vertrauen, das man davor hatte, setzt sich offen mit der neuen Musik auseinander und versucht, den Menschen zu verstehen, den man bis dahin auch gut verstanden hat. Manche Bands machen jahrzehntelang dieselbe Musik, was auch gut sein kann, aber wenn immer wieder dieselben Inhalte den Artists schaden, wünscht man ihnen doch nichts mehr als ein zufriedenes Leben. Und Bon Iver ist dort angekommen.

Player: https://boniver.bandcamp.com/album/sable-fable 

Home / Musik / Artikel

Text
Adrian Malliga

Veröffentlichung
14.04.2025

Schlagwörter


favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Ähnliche Beiträge