Nixon and Hoover © YouTube
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Die facebook Demokratie – Ein skug Wahl-Spezial

Die Krise wird mehr und mehr zum Medienphänomen, was von den AkteurInnen allerdings weniger bedauert als betrieben wird. Skandal, Boulevard, Intrige bilden einen Paravent hinter dem sich ein immer beängstigender Rechtsruck verbirgt.

In leichter Abänderung der Worte von Gilles Deleuze darf gesagt werden: Die Medien haben zum Skandal das Verhältnis des Zuhälters zur Prostituierten. Am Wahlsonntag wird ein facebook-Skandal mitentscheiden wer der nächste österreichische Bundeskanzler wird. (Das Binnen-I können wir uns bei Bundeskanzler selbstverständlich sparen, Frauen stehen nur auf verlorenem Posten zur Wahl.) Diese Entwicklung lässt sich am besten anhand der SPÖ nachvollziehen. Es scheint, als habe die österreichische Sozialdemokratie den Kontakt zu ihren Mitgliedern ruhend gestellt. Dies ist im Kern die Auswirkung eines weit verbreiteten Medienphänomens, bei dem menschlicher Kontakt zugunsten von Boulevard und sonstiger Meinungsmanipulation vernachlässigt wird. Wer redet schon mit FunktionärInnen, Mitgliedern oder PassantInnen, wenn mit einem einzigen Mausklick Millionen erreicht werden können?

Gegen den Einsatz neuer Medien ist grundsätzlich nichts einzuwenden, diese halfen beispielsweise den »Bewegungen« von Jeremy Corbyn und Bernie Sanders. Nur unterwarfen sich diese nicht einer simplen Manipulationsstrategie, sondern suchten über den Umweg des Mediums den Kontakt zu den Menschen, um diese in – Festhalten SPÖ! – programmatische Debatten einzubinden. Dass zugleich mit Corbyn und Sanders authentischere Persönlichkeiten im Einsatz waren als der ehemalige ÖBB-Manager Kern ist hier nur ein Nebenschauplatz.  

Jetzt ist das Schlamassel perfekt. Die Spitzen von Österreichs drei numerisch großen Parteien sind gemeinsam bis zum Oberlippenbärtchen in einem Meer aus Dung versunken. Oder glaubt jemand ernsthaft an den »Enkeltrick« der ÖVP? Selbstverständlich gibt es mit Sebastian Kurz keinen »neuen Stil«. Der Bursche ist ein verschlagener Giftzwerg, der erbarmungslos aufs eigene Vorankommen konzentriert ist und nicht unähnlich von Lueger und Co. gewisse Ressentiments in Umlauf bringt, von denen er weiß, dass sie ihm nützen werden und an die er selbst – möglicherweise – nicht einmal glaubt. Und der HC Strache? Nun, der ist eben der, der er ist. Beim Ausheben der Jauchegrube war der selbsterklärte »Vordenker« immer vorn dabei. Auffällig bei ihm: Umso weniger er öffentlich redet, desto sympathischer finden ihn die Leut’. Sympathie durch Amnesie. Der FPÖ-Wahlkampf war ebenso wie jener der ÖVP durch Phasen ungewöhnlicher Zurückhaltung geprägt. Kurz und Strache wiederholten brav ihre einstudierten Floskeln und wirkten recht sauber durch eine vornehme Zurückhaltung, die ihnen die SPÖ mit ihrem kräftigen »Tritt ins Glück« ermöglicht hat.

Dra Chanasan mat dam Kantrabass

Wir wollen es ja so. Die Print- und Fernsehmedien organisierten: »Österreich sucht den Superheini« und alle schauen begeistert zu. Am Ende beschwert sich dann ernsthaft die Medienelite in der ORF-Tafelrunde der Chefredakteure, dass sich in 50 Fernsehduellen die Aussagen wiederholt hätten. »Ja hätte man das nicht mal anders sagen können«, mosert Rainer Nowak von »Die Presse«. Vorschlag, wie wäre es mit: »Die Expatriierten sind onser Ontergang! Die wollen unseren Heimatplaneten, ünser schünes Ûsterreich, ümkültivieren.« Seltsame Formulierung? Komische Aussprache? Auch schon wurscht. Oder hätten Sie es nicht sofort verstanden? Letztlich ist es längst egal, was das im Einzelnen heißen soll. Es sind alles nur Variationen des Immergleichen. Bei einer Rundfunkstörung würde das Publikum vermutlich leise den Text seiner Volksvertreter, wie in Trance, weiterbrabbeln. Alles ist breitest möglich ausgetreten.

Nur wessen Verantwortung ist das eigentlich? Es ist nicht die Politik allein. Für den typischen »Kronenzeitung«-Leser gehört das Aufregerl am Morgen zum Frühstück wie der kleine Cognac. Erst so kommt der Kreislauf richtig in Schwung. Die »Krone«, das immer noch weitverbreitetste österreichische Medium, liefert zuverlässig und die anderen machen es ihr nach. Durch den üblich gewordenen Gebrauch von Smartphones und Tablets und den darauf rotierenden sozialen Medien ist diese Konzentration auf den Skandal möglicherweise verschärft worden und es ist wohl kein medialer Zufall, dass mit diesen handheld mobile devices jetzt ein noch kleineres Kleinformat vorliegt. Auf die Skandalisierung zur Aufregungssteigerung wird dann stets mit den hinlänglich bekannten Ansagen reagiert, sei es im Leitartikel oder in der Parteizentrale. Lösungsvorschläge oder auch nur Diskussionen über solche würden skandalabschwächend wirken und bleiben somit aus. Deswegen gehören Aufreger (Skandal) und Ansage (Pseudolösung) zusammen – das ist der Teufelskreis sowohl der alten wie auch der neuen Medien.

Der verzweifelte Christian Kern, dem keinerlei Mitleid gebührt, gab bereits die Losung aus: In Zukunft würde die SPÖ den Bedeutungsverlust der Zeitungen und »alten Medien« in Betracht ziehen und einfach weniger dort werben, dafür sich aber mehr auf die neuen Medien konzentrieren. Bravo – nix gelernt! Am besten zieht er gleich auf eine russische Klickfarm. Tja, und dass der SPÖ die Nähe zum Boulevard auf den Kopf fallen würde? Wer hätte das vorhersehen können?  Die entscheidenden Entwicklungen vollziehen sich dabei komplett unkommentiert. Rechtsautoritäre Grundhaltungen, die vor wenigen Jahren noch Widerspruch erfahren hätten, sind nunmehr bei den großen drei Parteien in Österreich Konsens. Die FPÖ hat ihre Agenda weitgehend durchgesetzt. Der damit gestiftete gesellschaftliche Unfriede wird das Land noch lange quälen.  

H²0gate Blues

Für alle die den Blues jetzt noch nicht haben, ein kleiner Musiktipp: Gil Scott-Heron, der vor über vierzig Jahren bereits ähnliche Phänomene in der heraufziehenden Mediendemokratie in den USA beobachtete, insbesondere deren Skandal- und Spionageabhängigkeit. Der zum Musiker konvertierte Poet Scott-Heron beklagte leidenschaftlich diese »Kloake«:

How long will the citizens sit and wait?
Itʼs looking like Europe in ʼ38
Did they move to stop Hitler before it was too late?
How long. America before the consequences of
Keeping the school systems segregated
Allowing the press to be intimidated
Watching the price of everything soar
And hearing complaints ʼcause the rich want more?
It seems that Macbeth, and not his lady, went mad
Weʼve let him eliminate the whole middle class
The dollarʼs the only thing we canʼt inflate
While the poor go on without a new minimum wage
What really happened to J. Edgar Hoover?
The kind is proud of Patrick Gray
And there are those who say Americaʼs faith is drowning
Beneath that cesspool-Watergate.

Link: https://www.youtube.com/watch?v=UeVtR8wVkY4

Home / Kultur / Thinkable

Text
Frank Jödicke

Veröffentlichung
14.10.2017

Schlagwörter

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