»Den Leopold Kunschak habe ich aus dem Keller geholt«, erzählt der ältere Herr, »zur Regierungsbildung im Jahre 1945. Aus dem Keller in der Hernalser Hauptstraße 53, der saß visasvis seiner Wohnung auf Nummer 54 im Keller. Warum er nicht in seinem eigenen Keller saß, weiß ich auch nicht. Der ist immer dort im Keller gesessen, weil er Angst gehabt hat vor den Russen.«
Oral History in Sandleiten
Im Gemeindebau in Sandleiten im »hinteren« Ottakring tut sich derzeit Erstaunliches. ZeitzeugInnen machen die Klammer, erstellen eine Brücke zwischen der Vergangenheit im Krieg, im Nationalsozialismus und den leeren, sonnigen Straßen in Sandleiten an diesem heißen Tag. »Schärf ist nicht gekommen, weil er sich nicht mit den Kommunisten an einen Tisch zusammen setzen wollte. Der Renner hat ihn dann überredet.« Paul Vodicka erhielt von seiner Partei, von der Widerstandsbewegung, den Befehl, Kunschak zu suchen. »Wir wussten ja, wo er ist«, meint er heute.
Schon die Eltern von Vodicka waren Kommunisten und weil man als Kommunist keine Gemeindebauwohnung kriegte, musste er im Barackendorf, dem so genannten »Negerdörfl«, aufwachsen. Das Barackendorf wurde 1911 erbaut und stand in der Gablenzgasse 112 bis 118. Seine Tochter bekam zweimal Lungenentzündung von der nassen Wohnung.
»Der Klein Heini stellte sich an die Ecke und überredete die zurückströmenden Soldaten, die Waffen abzugeben. In Wien wird nicht gekämpft, Wien darf kein zweites Budapest werden, das war unsere Losung. Denn in Budapest gab es lange Kämpfe zwischen Militär und SS und währenddessen verhungerten die Kinder und die alten Leute in den Kellern, das wollten wir vermeiden«, erklärt die zweite Widerständige, Heli Neuhaus, stolz und gibt ihrem Gehwagerl einen Schubs. »Zwei Menschen standen immer an der Straßenecke am Gemeindebau, der Wöchinger Karli auch, und es gab einen hohen Berg an Gewehren – draußen, nicht drinnen im Kino – damit alle sehen konnten, wieviele Soldaten schon ihre Waffe abgegeben hatten.« Heinrich Klein war ein SPÖ-ler, aber gegen die Nazis. »Es gab eine Verordnung von Hitler, dass jeder, der in Uniform, aber ohne Gewehr, angetroffen wurde, ein Flüchtling sei und erschossen werden kann, wenn er erwischt wird.« Deswegen teilten sie den Soldaten ohne Gewehr Zivilkleidung zu.
Gefälschter Führerbefehl
»Der Klein Heini ist der Held von Ottakring«, strahlt Heli, »er hat die Hauptkampflinie vom Schafberg und Wilhelminenberg erfolgreich nach vor auf den Gürtel verlegt. Mit einem gefälschten Führerbefehl schaffte er das. Er brachte diesen ins Hauptquartier und riskierte sein Leben. Er besaß ja eine Uniform. Er fälschte als Schreibkraft Dokumente. Der Schirach war nicht mehr in Wien zu dem Zeitpunkt, das war sein Glück. So wurden Ottakring und Hernals gerettet.« »Die hatten alle Angst vor den Kommunisten, dass die den Parteien Stimmen weg nehmen«, wirft Paul ein. »Sie dürfen nicht vergessen, dass wir insgesamt 800.000 registrierte österreichische Nazis hatten. Die ÖVP raufte sich auch um die Nazi-Stimmen. Wer einmal Adolf gewählt hat, wählt jetzt auch Adolf, war ihre Losung. Die Rede ist von Adolf Schärf …«
Paul schaut sehr lieb aus, wie er auf einem Hocker im ehemaligen Kino von Sandleiten sitzt, mit staubigen Ärmeln, weil er es das Geländer entlang hinauf in den zweiten Sock geschafft hat. Hier wird es im Rahmen von SOHO eine Ausstellung geben, für die die Sandleitner ihnen wichtige Erinnerungsstücke und Kunstwerke bringen können. Die Vitrinen stehen bereits im nachmittäglichen Sonnenlicht. Staub hängt in der Luft. »Bei uns wird nicht gekämpft. Der Krieg ist aus, sagten die Entwaffner zu den Soldaten und gaben ihnen Zivilkleidung. Versteckt’s euch in den Kellern.« Heli ist im Kopf noch immer bei dem Gewehreberg und weist immer wieder mit dem Arm in Richtung der besagten Straßenecke. Dann schaut sie sich in dem ehemaligen Kino um. »Ich war vielleicht zwei- oder dreimal im Kino, weil wir kein Geld gehabt haben«, sagt sie lächelnd, aber kopfschüttelnd. »Der Klein Heini hat eine Uniform mit weißer Armbinde angehabt und damals hat einer mit Uniform etwas zu sagen gehabt. Er kam aus einer Straßenbahnerfamilie und die waren in der Ersten Republik die Kaiser, deswegen besaß er das Radl. Ich habe nie ein Radl gehabt, wir waren arm. Er fotografierte die Plünderer am Teich, eine Kamera hat er auch besessen. Die meisten Deserteure verschwanden in den Kellern, aber der Klein Heini hat etwas gemacht.«
In Kooperation mit SOHO IN OTTAKRING