© Pe Tee
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Der große Minister – Teil 4: Der Koan der Politik

Kann Literatur so paradox sein wie das Leben? Damit das, was »Der große Minister« in unserem Fortsetzungsroman plant, uns nicht morgen real plagt, sollten die Hykels dieser Welt von Ämtern ferngehalten werden. Am 29. September wird sich zeigen, ob dies gelang.

Hykel zog mit seiner Burenwurst eine weitere Spur durch den Senfbatzen, der sich auf dem Papptellerchen neben der angebissenen Semmel breitgemacht hatte. Goldi, die Ruhe in Person, wartete großväterlich, bis er genüsslich abgebissen hatte, und begnügte sich zwischenzeitlich damit, die Szenerie zu beobachten. Hier, auf der schmalen Verkehrsinselhaltestelle am staugeplagten Ring mit Blick auf Parlament und Justizpalast, war stets was los. Zwei Kinderwägen hatten sich bei dem Engpass zwischen Würstelstand und Kebab-Bude verkeilt und gehetzte Väter gestikulierten zu Schimpftiraden, welche so nur im charmanten Wien gedeihen. Touristentrauben drängten sich um wohlfeile Nudelboxen, ein anderes Grüppchen zu der Stelle, wo sich Parlament und Justizpalast besonders schön in der prächtigen Abendsonne fotografieren ließen. Fast wären die Touristen unter die Räder der Autokolonnen geraten, welche dichtgedrängt in der lang gezogenen Kurve beschleunigten, um dann bei der absurd nahen nächsten Ampel abrupt abbremsen zu müssen. Doch wie von magischer Hand gelenkt blieb alles im Fluss – Autos, Menschen, Straßenbahnen, Hunde, Einsatzwägen und sogar die Einheimischen.

Hykel schluckte den Bissen hinunter, knüllte die Serviette zusammen und warf sie lässig in den breitrandigen Mistkübel. »Mein lieber Goldi, schön ist’s hier.«
Just in diesem Moment rempelte ihn ein rabiater Hundebesitzer an und ballte die Faust, sodass Hykel einzig blieb, die Hände beschwichtigend wiegen zu lassen.
»Es ist wohl nachvollziehbar, warum wir uns gerade hier treffen?«, sagte Hykel zu Goldi, der gerade von einer zielstrebigen Touristengruppe durchgewalkt wurde und sich erst sammeln musste. »Wenn das eine Anspielung auf den etwas unglücklichen Ort der letzten Einkesselung sein soll, dann bravo.«
»Der Strunz sorgt sich um die treue Stammwählerschaft«, antwortete Goldi schließlich.
»Nein, nein, die 1300 Grattler neben der Tangente waren nur eine kleine Fingerübung für die Exekutive und natürlich auch für die Leute im Kessel. Die Frage war, wie stark kann man eine Menschenherde zusammenpressen, ohne dass sie im- oder explodiert? Wie lange kann man sie in diesem Zustand verharren lassen? Das ist höchste Polizeikunst. Und das ist nebenbei auch die Grundlage unseres Rechtsstaats.«
»Das ist ein ziemlicher Balanceakt«, entgegnete Goldi.
»Für uns und für das Volk«, betonte Hykel, »das Volk muss lernen, mit unseren Schwankungen und Spannungen umzugehen. Es muss uns die Stange halten, weil es nicht verstehen will, was wir tun. Das ist Avantgarde.«
»Nicht einfach, Herr Minister. Ich mein’, dieser Gedankensprung.«
Da erblickten beide die Gneissl auf der anderen Straßenseite.
»Welch’ Ambivalenz, Herr Minister«, versuchte sich Goldi ebenfalls in der Hervorbringung einer außergewöhnlichen Erkenntnis. »Die Außen im Inneren der Ringstraße und der Innere im Äußeren. Wie im Leben …«
»Aber nicht doch, Goldi, üben Sie sich doch nicht in Analogien. Gehen Sie es direkt an!«
Dem großen Minister kam sogleich eine Idee, wie er dem Goldi seine tiefenphilosophischen Überlegungen von vorhin in einem einfachen Beispiel lebhaft vorführen konnte. Er zog seinen Parka aus, überreichte ihn ihm, krempelte die Ärmel seines weißen Hemds nach oben, drehte sich zur Fahrbahn, holte tief Luft, schloss die Augen, konzentrierte sich.
Der Goldi blickte irritiert auf den Minister und erwartete eine ihm unbekannte Yoga-Übung und sah plötzlich zu seinem Schrecken, wie der große Minister einfach auf die Fahrbahn schritt. Den rechten Arm zu den entgegenkommenden Autos ausgestreckt, ging er zielgerichtet zur Fahrbahnmitte. Reifen quietschten, Hupen dröhnten, Augen wurden aufgerissen, Nasen klebten an Frontscheiben, jedoch gab es kein Krachen, keinen einzigen Auffahrunfall. Der große Minister drehte sich langsam zu den Autos. Vor ihm hielten gut zehn, zwanzig, alle standen still, manche leicht quer.
»Mein lieber Goldi«, rief der Minister Goldi zu. »Was glauben Sie? Führt der Hirte die Schafe oder führen die Schafe den Hirten? Wer weist wem den Weg? Das ist der Koan der Politik. Ich bin schon vielen Schafen nachgelaufen und will doch auch Hirte sein.«
Dann drehte Hykel sich zur Außenministerin. »Bitteschön, kommen’s doch herüber, Frau Gneissel. Essen Sie mit uns eine Burenwurscht.«
Etwas verlegen winkte Gneissl zunächst ab. »Herr Minister, ich wollt’ mir nur ein bisschen die Füße vertreten. Ich wollt’ gar nicht rüber …«
»Aber bitte, kommen Sie schon. Der Goldi und ich laden Sie ein.«
Vorsichtig betrat die Gneissl die Fahrbahn. Als plötzlich eine Autofahrerin aus der zweiten Reihe zu hupen begann, hob der Minister sofort seinen rechten Arm, drehte kurz seine Hand und ließ seinen Zeigefinger in die Richtung des Autos schnellen.
Das war das Zeichen für Goldi. Dieser legte den Parka des Ministers auf der Theke des Würstelstandes ab und ging zum Auto. Dort machte er mit der Hand eine Kreisbewegung, um zu signalisieren, dass die Frau das Fenster runterkurbeln sollte. Sie drückte auf einen Knopf und die Scheibe schob sich nach unten. Kaum hatte sie ein »Ja, bitte?« gesagt, war schon Goldis Hand an ihrem Hals und er teilte ihr mit freundlicher Stimme mit, dass in Wien Hupverbot sei.
»Goldi, schau, in der dritten Reihe steht auch unser Kanzler.« Der Minister sprang ein paar Schritte in die Richtung des Dienstwagens, da streckte der fesche Kanzler schon seinen Kopf aus dem Wagen. »Mein lieber Kunz. Wollen Sie nicht auch auf ein Würsterl kommen?«
»Das ist sehr freundlich«, sagte dieser, »aber meine Lebenspartnerin hat schon gekocht. Der Chauffeur bringt mich nach Hause. Aber danke. Das nächste Mal bestimmt.«
»Keine Ursache. Wir sind hier ja im Land der grenzenlosen Unmöglichkeiten.«
Dann sprang Hykel zurück zu seiner Kollegin, nahm sie am Arm und auf dem Weg zurück zum Würstelstand erklärte er ihr, wie der Wille eines Einzelnen den Weg der Politik formen kann. Aus dem Augenwinkel sah er, wie der Goldi verzweifelt versuchte, seinen im Fenster eingeklemmten Arm wieder zurückzuziehen.
Auch das wird er noch lernen, dachte sich der große Minister schmunzelnd und sagte zur Gneissl: »Was wir hier machen, Frau Minister, ist, unserer Politik wieder zur ihrem Recht zu verhelfen.« Und da nickte er bedächtig zum Parlament und schwenkte den Kopf weiter zum Justizpalast.

The Real Crime Inc. werden am 29. September 2019 beim BAM!-Wahlspecial im Wiener Fluc lesen und gemeinsam mit uns über das Wahlergebnis staunen. Einer von vielen Gründen, unbedingt vorbeizuschauen. Mehr Infos in Kürze.

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