Ronald Leopoldi © Lisbeth Kovacic
Ronald Leopoldi © Lisbeth Kovacic

Der Fußtritt der Zeit

Ein Programm über zwei Väter: Werner Richard Heymann und Hermann Leopoldi. Ihre beiden Kinder Elisabeth Charlotte Heymann und Ronald Leopoldi richteten am 5. März 2018 im Theater Die Neue Tribüne einen liebevollen Abend aus.

»Mein Vater konnte mit beiden Ohren abwechselnd wackeln und zweistimmig pfeifen, er konnte mit den Lippen einen tropfenden Wasserhahn nachmachen«, erzählt Elisabeth Charlotte Trautwein-Heymann. »Mein Vater war ein glücklicher Vater: Nach drei gescheiterten Ehen bin ich gekommen.« Zu Beginn sang das p.t. Publikum schon fröhlich die »Überlandpartie« mit, als unter dem Café Landtmann im Theater Die Neue Tribüne das Licht gedimmt wurde. Ronald Leopoldi erklärt auf der Bühne, dass sie beide weder Schauspieler noch Sänger seien, aber trotzdem ZuschauerInnen in den Bann ziehen möchten. »Wir sind nicht künstlerisch tätig, aber unsere Leidenschaft ist die Kunst«, resümiert er. Elisabeth Charlotte Trautwein-Heymann berichtet weiter: »Zwölf Jahre lang waren die Lieder und Melodien meines Vaters verboten. Unbekannten stellte Werner Richard Heymann sich meist so vor: Sie kennen mich nicht, aber Sie haben schon viel von mir gehört.« Nämlich Lieder, die Ohrwürmer sind, und allseits bekannt – Heymann als Komponist ging aber unter im Allgemeinwissen. Es ist ein komplett neues Programm. Das hier erstmalig gezeigt wird: Kinder berichten von ihren berühmten Vätern, von Liedbeispielen untermalt. »Mein Vater Hermann Leopoldi trank keinen Wein, trotzdem ließ er sein Publikum glauben, er hätte alle Höhenräusche selbst erlebt«, lächelt Ronald Leopoldi fein. Es folgt ein Lied über den »Zwischenraum dazwischen«, zwischen Vater Leopoldi und seinem Wein – angeblich. »Am End’ fahr‘ ich an meinem Glücksstern vorbei – Lichtjahre von z’haus.«

Dickes Hühnerauge vom Schreiben
Beide Herren begannen nach dem Ersten Weltkrieg, Kabarett zu machen. Doch während Heymann im Berliner Musikverein Beethoven und Schuhmann spielte, hungerte sich Leopoldi durch das Ende der Zensur und vertonte Kurt Tucholsky! »Im Berliner Kabarett (ausgesprochen: KabareTT) gab es keine Schocks, kein Antibürgertum – die unruhigen Zeiten blieben außen vor«, erzählt Tochter Heymann. »Mein Vater hinterließ 3.000 Seiten an Orchesterpartituren. Er hatte ein dickes Hühnerauge vom Schreiben mit der Hand. Das zeigte er stolz her. 1929 hatte er einen Durchbruch in der Filmmusik. Er macht MIT einem Film die Musik, sagte er, nicht für einen Film. Jeder kennt ›Ein Freund, ein guter Freund‹, das sangen die Comedian Harmonists.« Hermann Leopoldi begleitete seinen eigenen Vater schon als Kind nach Hernals, wo dieser englische Schlager sang. Eigentlich hieß die Familie Cohn, Leopoldi war der Künstlername. Später war das Kabarett Leopoldi-Wiesenthal, eine »nonchalante Conference«, täglich ausverkauft. Ronald Leopoldi ist ein bisschen im Nachteil mit seinen Erinnerungen, denn als er vier Jahre alt war, starb sein Vater schon. Elisabeth Charlotte Trautwein-Heymann war wenigstens neun. Beide Ehefrauen waren 26 Jahre jünger als Hermann Leopoldi.

Elisabeth Charlotte Heymann und Ronald Leopoldi © privat

»Amusez Vous«
Das Programm ist richtig liebevoll gemacht und war sicher viel Arbeit. Nach der Pause folgt der spezielle Teil zum Nationalsozialismus. »Nach Goebbels antisemitischer Rede kündigte die UFA allen Juden. Mein Vater floh mit zwei Koffern und 600 Kronen nach Paris und schrieb den Titel ›Amusez vous‹, der bis heute bekannt ist«, berichtet Heymann. Es folgt ein musikalischer Ausschnitt: »La vie partira comme une reve«. »Viele warnten meinen Vater«, leitet Leopoldi ein, »und er realisierte auch bald, dass er kein beliebter Künstler mehr ist, sondern nur mehr a Jud.« Schnell wurde Hermann Leopoldi nach Dachau und Buchenwald geschickt, von wo er mit viel Glück und Hilfe seiner ersten Ehefrau nach neun Monaten freikam und nach Amerika emigrieren konnte. Sein Bruder Ferdinand lebte im Untergrund in Wien und kam ums Leben. Es folgt ein Lied: »Der Fußtritt der Zeit hat die Novaks gekickt«, die alle »schrecklich verträumt waren«. Auch andere Lieder haben etwas sehr Lustiges und zugleich Trauriges an sich wie: »Mein Stammbaum war ein Zwetschgenbaum, ein greener.« Heymann arbeitete mit Ernst Lubitsch MIT den Filmen »Ninotschka« (mit Greta Garbo) und »To be or not to be«. Später, nachdem Hermann Leopoldi auf Einladung von Viktor Matejka, 1945–49 von der KPÖ nominierter Stadtrat für Kultur und Volksbildung, nach Wien zurückkehrte, eine Parodie auf die Wiener: »Wir haben keinen Charakter, aber ein goldenes Herz«. Wie doppelt bitter, diese Erfahrung machen zu müssen! Zu gleicher Zeit Heymann: »Den gab’s nur einmal, der kommt nicht wieder. Doch 1.000 Streicher spielen noch meine Lieder!« Ein Triumph irgendwie.

»Er hat mir die Musik geschenkt und über die Musik sind mir die Eltern lebendig geblieben«, freut sich die Tochter. Ronald Leopoldi, der wegen der vielen Auftritte seiner Eltern eher von seinen Tanten großgezogen wurde, erwähnt den »grenzenlosen Optimismus« seines Vaters, seinen »Blick nach vorne«. Und Musik bitte: »Vom Paradies ein goldener Schein«. »Wein’ ich, lach’ ich, heute weiß ich nicht, was ich tu‘. Heute werden alle Märchen wahr!« Er schaut traurig, sie strahlt und kriegt Blumen. Mehrere Vorhänge für die Nicht-Schauspieler und Nicht-Sänger.

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