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Der blau-schwarze Aufbruch

Zum zweiten mal - nach Italien 1994 - übernahm in EU-Europa eine rechtsradikale Partei Regierungsverantwortung. Während die Proteste gegen die neue Koalition noch als das Werk von »Berufsdemonstranten« abgetan wurden, treffen die Sanktionen der 14 EU-Länder die Republik ins Mark.

Wiederholungstäter

Die Sanktionen kamen nicht von ungefähr. Im »Ford-Bericht« an das Europäische Parlament (1990) findet die FPÖ bereits Erwähnung: »Diese stehe am äußersten rechten Rand des österreichischen Parteienspektrums und verfolgt eine rassistische Politik«. 1996 erkannte das EU-Parlament, dass »die Isolierung« von »Le Pen, Haider u.a. in der Union für die Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus notwendig« ist. In einem Beschluss des Europarates vom 25. 1. 2000 heißt es: »Die Versammlung ruft ihre Mitglieder auf, extremen Parteien von rassistischem oder xenophobem Charakter jegliche Unterstützung zu verweigern, darunter auch jegliche Zusammenarbeit mit deren gewählten Vertretern zur Bildung von Mehrheiten zur Machtausübung.« Die FPÖ wird neben dem Vlaams Blok und der SVP namentlich genannt.

Die Überraschung der Konservativen über das entschiedene Vorgehen der anderen EU-Länder war vermutlich echt: Man ist es nicht gewohnt, dass politischen Absichtserklärungen Taten folgen. Darum kann Haider auch die Präambel zur Regierungserklärung unterschreiben. Dort wird behauptet, die Koalition arbeite »für ein Österreich, in dem Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus keinen Platz finden«. Darüber hinaus bekennt sich die Regierung, deren Mitglieder zur Befreiungsfeier im KZ Mauthausen explizit nicht eingeladen wurden, »zur kritischen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit«.
Der Wiederholungstäter Österreich ist 14 Jahre nach Waldheim also neuerlich politisch isoliert. Und weil der Rassismus und Antisemitismus im Allgemeinen und die FPÖ im Besonderen für einen Großteil der Bevölkerung längst salonfähig ist, fühlt sich diese wieder als Opfer. Auf der Basis des fehlenden Unrechtsbewusstseins gedeihen prächtige Verschwörungsmythen. Sie paaren sich mit Bunkerstimmung, geschürt durch mediale Kriegsmethaphern wie »Erstschlag« (des Auslandes) oder»Gegenangriff« (Österreichs). Wie in Kriegszeiten kennen Regierung, Präsident und Medien keine Parteien, sondern nur »Österreicher«. Haider verlangte von diesen, sie müssten nun »wie ein Mann« gegen das Ausland zusammenstehen. Tatsächlich versichern sie sich und der Welt mit geradezu zwanghaftem Eifer, keine Nazis zu sein.

»Internationale Verschwörung«

Erwartungsgemäß fallen die rechten Reaktionen auf die Auslands-Kritik an der FP-Regierungsbeteiligung aus. Haider entlarvte »hohe Funktionäre der jüdischen Gemeinde in Wien«, welche versucht hätten, »beim State Department in Washington gegen uns Stimmung zu machen«, als Drahtzieher. Die regierungsnahe Wochenzeitung Zur Zeit (ZZ) deckt die »Hintergründe« der Kampagne auf, nämlich »der alte Deutschenhass, der auf dem kleinen Österreich abgeladen werden kann, und jüdisch-israelische Ambitionen, einen Buhmann zu haben, um weitere finanzielle Forderungen zu legitimieren«. Haider-Berater und ZZ-Chefredakteur Mölzer sieht Österreich als Opfer der bekannten antideutschen (=»jüdischen«) Verschwörung. So hält er es für »bequem, das kleine Land zu prügeln, wenn es darum geht, die Deutschen insgesamt bußfertig und zahlungsbereit zu halten. «

Während das Ressentiment hier mühsam kaschiert wird, tritt der Antisemitismus in den Reaktionen von Neonazis offen zu Tage. Einer meinte im Internet: »Die weltweite Juderei hat Angst, dass im GauÖsterreich unser Kamerad Haider an die Macht kommt. Gut so! Heute hört uns Österreich, morgen Deutschland und übermorgen die ganze Welt! Und Juda den Tod!« Ein anderer schrieb: »Es muss jetzt massive Solidarisierungswellen der europäischen Nationalisten mit Österreich geben, den die Juden und ihre Knechte fürchten sich vor einem erwachenden nationalen Widerstand in ganz Europa.«

In Österreich geht es stets gegen Juden und Jüdinnen, wenn sich die Volksgemeinschaft feiert. Ariel Muzicant, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, wies bereits nach den Wahlen auf das wachsende Aggressionspotential der AntisemitInnen hin: So hätten mit der FPÖ-Agitation gegen »Überfremdung« antisemitische Drohbriefe und Pöbeleien rapide zugenommen. Weil er dafür die FPÖ verantwortlich machte, wurde er von Haider geklagt.
Angesichts des feindlichen Auslandes kommt Kritik an Haider und der FPÖ heute der Status des »Vaterlandverrates« zu. Die parlamentarische Opposition reagiert darauf mit dem Verweis auf ihren besseren Patriotismus. Aus Sorge um Österreich, dessen Wohlergehen die ÖVP ihrem Machtstreben geopfert habe, spricht sie sich gegen die neue Regierung aus. Dass diese einer breiten Stimmungslage entspricht, wird geflissentlich übersehen. Vielmehr nimmt die parteiförmige Opposition die FP-WählerInnen vor Kritik in Schutz: Bei diesen handle es sich mehrheitlich bloß um »Protestwähler«. Mit zahllosen Umfragedaten lässt sich demgegenüber der Nachweis erbringen, dass der FP-Anhang überdurchschnittlich anfällig für Rassismus und Antisemitismus ist.

Das ganze Ausmaß des Dilemmas wird erst in den Reaktionen des »anderen Österreichs« deutlich. So befürchtet Grünen-Chef van der Bellen nicht etwa ein Aufbrechen des rassistischen und antisemitischen Potentials, sondern»negative Auswirkungen für Österreich als Handelsplatz«. Dennoch muss sich die Opposition einiges anhören: Freiheitliche und Konservative fordern ein »Abrüsten der Worte« und meinen damit ein Schweigen über den Charakter der FPÖ. Deren Klubchef Westenthaler verlangte, es »sollte keine weitere Mobilisierung der Strasse mehr geben«. Kanzler Schüssel wünschte, dass nach der exportbürgerlichen Großdemo vom 19. Februar »wieder Ruhe einkehre«. Er übersieht den Wert einer derartigen Zurschaustellung des »anderen Österreichs«: Es simuliert gegenüber dem Ausland, dass die Alpenrepublik eine ganz normale Demokratie mit zivilgesellschaftlicher Basis sei. Die Regierung erklärte in ihrem autoritären Eifer aber alle Proteste zur »Gewalt der Straße«, welche zum Verstummen gebracht werden müsse.

Blau-schwarzes Programm

Von einem 33 prozentigen nummerus clausus für Kinder »nichtdeutscher Muttersprache« in Schulen abgesehen, trägt die Regierungserklärung eher die Handschrift der ÖVP. Aber gerade in zentralen Politikbereichen besteht ohnehin eine weitgehende Einigkeit. Dass sich die Regierungserklärung übrigens kaum vom nicht verwirklichten Pakt zwischen SPÖ und ÖVP unterscheidet, spricht weniger für die FPÖ als gegen die SPÖ.

Die SP-Gewerkschaften üben sich bereits in Drohgebärden. Hatten sie vorangegangene Einschnitte ins Sozialsystem noch mehr oder weniger stillschweigend hingenommen, geben sie sich nun kämpferisch. Das allenorts gefürchtete Ende des sozialen Friedens wirft die Frage auf, was die ÖVP und maßgebliche Teile der Bourgeoisie beim Einschwenken auf den offenen Konfrontationskurs angetrieben hat. In einer Mischung aus Selbstüberschätzung und Machtrausch rückten sie vom erfolgreichen Kurs der sozialpartnerschaftlichen Integration ab. Das neue Integrationsmodell, in welchem die FPÖ den Part der SPÖ übernimmt, könnte sich aber als nicht minder erfolgreich entpuppen. Während zuvor die SPÖ vermochte, die »kleinen Leute« vor allem über materielle Transferleistungen an sich und den Staat zu binden, erfolgt die Integration nunmehr v.a. ideologisch. Der Nationalismus hat hierbei den Sozialpatriotismus abgelöst. War letzterer noch bestimmt von positiver Identifikation der ÖsterreicherInnen als BürgerInnen eines international angesehenen und prosperierenden Wohlfahrtsstaates, so dominiert bei ersterem die aggressive Abgrenzung vom (inneren) Ausland.

Daneben spielt Haider in der neuen Koalition die eingeübte Rolle als »Anwalt der kleinen Leute« weiter. Anstatt der SPÖ begleitet nun er den Sozialabbau mit sozialen Phrasen. Damit die Demagogie dieser Inszen
ierung nicht zu offensichtlich wird, trat Haider formal als FPÖ-Obmann zurück. Dieser spektakuläre Schritt, der überall als letztes Vorspiel zur Kanzlerschaft gesehen wird, erlaubt ihm das Verharren in der Opposition. Den Feldzug gegen »Bonzen« und »Bürokraten« wird Haider künftig auch als nationalen Abwehrkampf gegen das Ausland führen. Dementsprechend Haiders erste Reaktion auf die EU-Maßnahmen: »Diese Bürokraten haben offenbar Angst, dass eine politische Kraft wirksam wird, die sich den Bürgern mehr verbunden fühlt als dem Kartell der Mächtigen.«

»Widerstand«

Bereits am 12. November versammelten sich in Wien tausende, um das ökonomische Wohl der Heimat besorgte BürgerInnen, um gegen eine »Koalition mit dem Rassismus« zu demonstrieren. Gestört wurden sie dabei von AntirassistInnen, die eine SP-Spitzenfunktionärin mit Eierwürfen und Pfiffen bedachten. Tatsächlich war es gerade die SPÖ, diemit ihrer Politik als Durchlauferhitzer des Rechtsextremismus agierte. So gibt es kaum einen FP-Vorschlag zur Eindämmung der »Überfremdung«, welcher nicht von der sozialdemokratisch geführten Koalition umgesetzt worden wäre. Das blau-schwarze Migrationsregime unterscheidet sich daher auch kaum vom vorangegangenen.

Es überrascht nicht, wenn Haider über die Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ berichtet, sie hätten eine Übereinstimmung in der »Ausländerfrage« an den Tag gebracht. Diese Einigkeit hat ihre Ursache in der größtenteils gemeinsamen sozialen Basis der beiden Parteien, den ArbeiterInnen. Deren Überlaufen zur FPÖ, die mit 47% hier nun voran liegt, ist v.a. mit rassistischen Einstellungen zu erklären.

AntifaschistInnen, die sich immer noch nicht von der Vorstellung des österreichischen Proletariats als revolutionäres Subjekt verabschiedet haben, müssen sich dessen überproportionale Zustimmung zur FPÖ irgendwie erklären, ohne dass ihre Liebe zum fehlgeleiteten Klientel Schaden nimmt. So heißt es, im Wählen der FPÖ äußere sich nicht vor allem eine rassistische Aggression, sondern bloße »Unzufriedenheit«. Als Gegenstrategie wird dann der Kampf zur Rettung des Wohlfahrtsstaates ausgerufen.

Die massenorientierte Linke greift wie die rot-grüne Opposition die Regierung an und schweigt über deren Massenbasis. Taten sich diese VolksfreundInnen schon vorher schwer, den Rassismus von unten als solchen zu benennen, gerät er nun vollständig aus dem Blick. Statt dessen wird demagogisch ein Widerspruch zwischen der Regierung und dem »Volk« als deren Opfer behauptet. Der linke »Widerstand« gegen die blau-schwarze Regierung, der den Rassismus nur an der politischen Macht bekämpft, versucht vor allem mit Anti-Sozialabbauparolen massenwirksam zu werden. Schließlich treiben einige »WiderstandskämpferInnen« die Opferrhetorik noch weiter und inszenieren ihr Engagement als Kampf gegen eine Art faschistischer Diktatur. Dabei verdrängen sie, dass weniger die Regierung Österreich zum »Nazi-Land« macht als der massenhafte Antisemitismus und Rassismus. Wenn die Regierung die Kritik mit dem Verweis auf ihre demokratische Legitimität abzuwehren versucht, so kommt sie dabei der Realität näher als jene, die eine Diktatur gegen das Volk im Schafspelz behaupten. Die Möglichkeit eines »demokratischen Faschismus«, von welchem Michael Scharang schon 1986 sprach, kommt massenorientierten Linken nicht in den Sinn.

Der Autor ist Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands

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Text
Heribert Schiedel

Veröffentlichung
01.03.2000

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