Ende des Jahres 1953 empfängt Jakobo Árbenz Guzmán, der erst zwei Jahre vorher mit überwältigender Mehrheit und mit gerade einmal 38 Jahren zum Präsidenten Guatemalas gewählt worden war, den neuen Botschafter der Vereinigten Staaten im Regierungspalast von Guatemala Stadt. Nach dem Gespräch ist Árbenz – wenn wir Mario Vargas Llosas neuem Roman »Harte Jahre« (Suhrkamp) glauben wollen – erschüttert. Seiner Frau María Vilanova – gleichzeitig seine wichtigste politische Beraterin – berichtet er anschließend resigniert: »Die Vereinigten Staaten haben uns einen Schimpansen als Botschafter geschickt!« »Warum denn nicht?«, antwortet sie ihm. »Sind wir denn nicht eine Art Zoo für die Gringos?« Der »Schimpanse« hieß John Emil Peurifoy und erwies sich wenigstens in einer Disziplin als außerordentlich menschlich. Seine unaufhörlichen Intrigen, Teil einer ausgeklügelten CIA-Aktion, sollten Guatemala schon bald nach seiner Ankunft in ein blutiges Schlachtfeld verwandeln.
Sozialer Ausgleich statt »Bananenrepublik«
Wie viele andere Protagonist*innen des eigentümlich zwischen Fiktion und Reportage changierenden Politthrillers »Harte Jahre« entspringt auch Botschafter John Emil Peurifoy der historischen Wirklichkeit. Vargas Llosas einsichtsreiches Buch ist in seiner semifiktionalen Erzählweise deutlich post-postmodern. Tatsachen sollen darin offenbar stets als solche erkennbar sein. Peurifoy war »ein Fanatiker, Rassist; und zweifelsohne eine McCarthyist der harten Sorte«, weiß Vargas Llosas auktorialer Erzähler. Der reale Diplomat Peurifoy hatte der CIA bereits vor seiner Ankunft in Guatemala große Dienste dabei erwiesen, mutmaßlich »kommunistische« Umtriebe in Griechenland zu beenden. Nun setzen US-Außenminister John Foster Dulles (1953–1959) und sein Bruder Allen, seines Zeichens Boss der CIA, in Guatemala auf Peurifoys antikommunistischen Eifer.
Die in Eisenhowers USA mächtigen Dulles-Brüder waren Anteilseigner der heute als »Chiquita« bekannten United Fruit Company. Unbedingt mussten sie dem ein Ende machen, was die guten Geschäfte der United Fruit in Gefahr brachte: den sozialen und ökonomischen Reformen des Árbenz-Regimes in Guatemala. Die United Fruit Company agierte in ganz Zentralamerika und Kolumbien seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wie eine Kolonialmacht, eignete sich Land an und behandelte die größtenteils indigene Landbevölkerung, deren Arbeitskraft sie nutzte, wie Leibeigene. Kern des am 17. Juni 1952 von der Regierung Guatemalas verabschiedeten Gesetzes zur Agrarreform war deshalb die Zulassung von Gewerkschaften.
Zudem zwang Árbenz, der als Sohn eines Schweizer Einwanderers durch seinen Ehrgeiz eine rasante militärische Karriere hingelegt hatte, die United Fruit Company, von ihr nicht bewirtschaftetes, aber besetzt gehaltenes Land an den Staat zu verkaufen. Dabei setzte seine Administration den Wert des Landes so gering an, wie ihn der Konzern selbst zur Vermeidung von Steuern dargestellt hatte. Das vom Staat angekaufte Land sollte an die Bauern, sogenannte »Minifundisten«, und an Kooperativen verteilt werden. Außerdem sollte durch zu erhebende Steuern die Infrastruktur modernisiert und ein für alle zugängliches Bildungssystem geschaffen werden. Durch diese Reformen wäre die »Bananenrepublik« der United Fruit überhaupt zum ersten Mal den Bedingungen eines echten Staates unterworfen worden.
Ein Sieg der Intrige
Doch so weit kam es nie. Nach der erfolgreichen Invasion einer von der CIA gesteuerten »Befreiungsarmee« übernahm 1954 der von den USA ausgewählte Putschistengeneral Carlos Castillo Armas, auch Cara de Hacha (übersetzt etwa »Hackfresse«) genannt, die Macht. Den Bauern wurde ihr neu gewonnenes Land gewaltsam wieder entrissen. Hundertausende flohen, wurden getötet oder verschwanden für immer in Lagern und Gefängnissen. In kürzester Zeit war der demokratische Frühling unter den Präsidenten Arévalo (1945–1951) und Árbenz (1951–1954) wieder Geschichte.
An diesem Punkt der politischen Tragödie werden wir von Vargas Llosa als Leser*innen mit dem inneren Monolog des liberal denkenden Arztes Efrén Garcia Ardiles konfrontiert– eine der wenigen frei erfundenen Hauptfiguren des multiperspektivischen Romans: »Ist das die Demokratie, die Roosevelt mit seinen Reden über die ›Gute Nachbarschaft‹ mit Lateinamerika postuliert hatte? Eine Militärdiktatur im Dienst einer Handvoll gieriger und rassistischer Landbesitzer und eines großen US-Konzerns?«
In der Folge der Arbeit des »Schimpansen« Peurifoy und einer perfekt orchestrierten Diffamierungskampagne durch die United Fruit Company galt der eigentlich kapitalistisch denkende Vorzeigemilitär Árbenz international als »Kommunist« und Guatemala als Sowjet-Satellit. Erst diese auf den fruchtbaren Boden des Kalten Krieges fallende Lüge hatte den geeigneten Spin erzeugt, um den Sturz des Árbenz-Regimes international rechtfertigen zu können. »War das die Geschichte, die wir lasen und studierten?«, fragt sich Vargas Llosas Figur Efrén Garcia angesichts dessen. »Ein Gespinst von Lügen, die die Mächtigen … als Wahrheit verkauften?«
Die Geschichte als Lüge der Mächtigen?
Schon einmal nahm ein Autor, der sich in Rang und Namen je nach Sichtweise durchaus mit dem heute in Madrid lebenden Schriftsteller Vargas Llosa messen kann, einen Staatsstreich zum Anlass, Kritik an der verzerrenden Instrumentalisierung der Geschichte zu üben, durch die ein gesellschaftlicher Rückschritt wie eine Befreiung aussehen sollte. »Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte« enthält einige der meistzitierten Passagen von Karl Marx. Nun beschreibt auch Vargas Llosa, wie es Marx in seinem 1852 erschienenen Essay getan hatte, in »Harte Jahre« die historischen Folgen eines reaktionären Staatstreichs. Beide Autoren analysieren, wie in dem jeweiligen reaktionären Umsturz ein gesellschaftlicher Liberalisierungsprozess für die Interessen einiger weniger geopfert werden sollte. Im Fall von Guatemala war es der Versuch des zentralamerikanischen Staates, sich von den ökonomischen Strukturen der Kolonialzeit zu emanzipieren, den man gezielt vereitelte.
Doch Mario Vargas Llosa ist nun einmal kein Marxist. Was sich Marx und der peruanische Schriftsteller unter »Liberalisierung« vorstellen, könnte verschiedener nicht sein. Der bis heute politisch umtriebige Vargas Llosa, der selbst 1990 bei der Präsidentenwahl in Peru angetreten war und sich mit seiner liberalen Agenda nur ganz knapp dem späteren Diktator Alberto Fujimori geschlagen geben musste, steht im Ruf, der literarische Arm eines inzwischen etwas angestaubten ideologischen Neoliberalismus zu sein. In seiner 2019 erschienenen intellektuellen Autobiographie »Der Ruf der Horde« gab er diesem Image neue Nahrung, indem er Denker wie Friedrich von Hayek als Bezugsgrößen seiner politischen Philosophie vorstellt.
Man könnte die vom Schriftsteller in »Harte Jahre« brillant zugespitzte politische Tragödie als ein anti-imperialistisches Manifest interpretieren, als ein Fanal der moralischen Willkür unserer vielgerühmten westlichen Demokratien, als einen gar nicht so dezenten Hinweis auf die enormen Unwuchten des ökonomischen Globalisierungsprozesses – hätte es sich der Autor nicht erlaubt sich mit einer expliziten Selbstinterpretation in seine eigene künstlerische Arbeit einzumischen. Unbedingt, so scheint es, will er seine Darstellung der lateinamerikanischen Geschichte als Lektion zu Gunsten seines etwas idiosynkratisch anmutenden philosophischen Liberalismus verstanden wissen.
Die Moral von der Geschicht’? Der Autor selbst, er sieht sie nicht
Im Epilog zu »Harte Jahre« formuliert der Autor seine auf der Hand liegende These: Wäre in Guatemala der Demokratisierungsprozess nicht gestoppt worden, wäre die Geschichte Lateinamerikas eine andere gewesen. In vielen Ländern wären Bürgerkrieg und Totalitarismus vermieden worden. »Die Demokratie wäre ein halbes Jahrhundert früher in diesen Ländern angekommen.« Aber auch die politische Radikalisierung einer ganzen lateinamerikanischen Generation hätte nicht stattgefunden. Die kubanische Revolution hätte es nicht gegeben.
Vargas Llosas Enttäuschung über die totalitäre Entwicklung des Castro-Regimes, über den Totalitarismus in der Sowjetunion (der »größte(m) Feind, den die demokratische Kultur je gekannt hat«), über die ideologischen Irrtümer von einigen seiner Freunde wie Jean-Paul Sartre, werden und dürfen die Generation nach ihm nicht mehr als schlüssige Begründung des Ideenhorizonts von Thatcher und Reagan (»große Politiker, die bedeutendsten Politiker ihrer Zeit«) durchgehen lassen. Wer anerkennt, dass es mit den »Bananenrepubliken«, die Konzerne vom Schlage der United Fruit Company errichten, auch heute noch nicht vorbei ist, wird das Heilsversprechen der liberalen Demokratie nicht in der simplen Form des seit vielen Jahren in Europa lebenden peruanischen Autors schlucken können.
In Vargas Llosas Darstellung des Staatstreichs von 1954 in Guatemala steckt letztlich mehr, als der Autor selbst seinem Publikum verkaufen will. Den unauflöslichen Zusammenhang zwischen politischer Freiheit und einer von Gerechtigkeitsprinzipien mehr oder weniger unbehelligten Ökonomie, eine der Prämissen von Vargas Llosas Liberalismus, kommt uns ja gerade durch solche Ereignisse fragwürdig vor. Die Rolle der Vereinigten Staaten in Lateinamerika im Kontext des Kalten Krieges offenbart gerade die vermaledeite Verstrickung unserer scheinbar so überlegenen westlichen Wertesysteme in Mechanismen des ökonomischen Kolonialismus. Die Breite der Gesellschaft ist gerade erst dabei, die Globalisierung als Gerechtigkeitsproblem und als Problem der Ressourcenknappheit wahrzunehmen. Und damit auch die Fehlstellen jenes limitierten Freiheitsbegriffs, den die Generation von Vargas Llosa der Gegenwart vererbte. Der Roman ist wenigstens in dieser letzten Hinsicht eindeutig klüger als sein Autor.
Fesselnde Docu-Fiction
Der Erzähler in »Harte Jahre« weiß Dinge, die auch der gründlich recherchierende Autor Vargas Llosa nur erfinden konnte. Er kennt Dialoge, Gefühle, Absichten. So viel »Roman« muss sein. Andererseits geht Vargas Llosa in seiner journalistischen Transparenz so weit, dass er gelegentlich sogar Quellenangaben in die Erzählerstimme einflicht. Die historische Nachvollziehbarkeit ist ihm im Zweifel wichtiger als der literarische Stil. (Eine deutlichere Distanz zu gewissen gesellschaftlichen Einschränkungen der Zeit hätte man sich bei allem historischen Realismus dennoch gewünscht: So spielen etwa Frauen hauptsächlich in sexuellen Kontexten oder als Teil der Familie eine Rolle.) Die Signifikanz der historischen Ereignisse, die es erschließt, und deren glaubwürdige Darstellung, machen dann auch den großen Wert des Buchs aus. Da dem Romancier alter Schule darüber hinaus eine fesselnde Dramaturgie gelingt, ist »Harte Jahre« ein lesenswertes, wertvolles Spätwerk des Literaturnobelpreisträgers von 2010.
»Harte Jahre« von Mario Vargas Llosa, übersetzt von Thomas Brovot, erschien am 23. März 2020 bei Suhrkamp. Die spanischsprachige Version »Tiempos Recios« erschien im Oktober 2019 bei Alfaguara.
Link: https://www.suhrkamp.de/buecher/harte_jahre-mario_vargas_llosa_42930.html