Jo Aichinger © Helmut Lackinger 2013
Jo Aichinger © Helmut Lackinger 2013

Das Licht erkennen

Auch das Osterfestival Imago Dei, das von 20. März bis 13. April 2020 in der Minoritenkirche Krems hätte stattfinden sollen, wurde aufgrund der aktuellen Situation abgesagt. Jo Aichinger hätte das Festival in diesem Jahr zum letzten Mal kuratiert. Wir haben ihn im Vorfeld zum Interview getroffen.

Jo Aichinger, künstlerischer Leiter und Gründer des Osterfestivals Imago Dei, wurde 1955 in Bad Aussee geboren. Aufgewachsen ist er auf einem Bauernhof in Fels am Wagram in der Nähe von Krems. 2020 hätte Aichinger das Festival im Klangraum Krems Minoritenkirche unter dem Motto »Gegen.Licht« ein letztes Mal programmiert. Wir haben ihn im Februar zu einem kurzen Interview in Krems besucht.

»Der Übergang von der Nacht zum Tag – die Belichtung – ist oft der Göttin der Morgenröte zugeschrieben, in der griechischen Antike Eos, woraus sich möglicherweise über das Althochdeutsche ostarun unser Wort Ostern entwickelt hat.« (Jo Aichinger im Vorwort zu »Gegen.Licht«, Imago Dei 2020)

Klangraum Krems Minoritenkirche © Helmut Lackinger 2013

skug: Was sind denn deiner Erfahrung nach die Besonderheiten des Klangraumes in der Minoritenkirche in Krems?
Jo Aichinger: Der Raum lässt so viel zu – akustisch wie auch atmosphärisch. Es ist keine übermäßige gotische Dekoration vorhanden und ich hatte oft Schwierigkeiten, wenn ein Lichttechniker zu viele Farben reinsetzen wollte. Das lässt die Schlichtheit des Raumes gar nicht zu. Die spezielle Raumsituation lässt sich so erklären: Das Kloster ist vorher schon gestanden. Es gab dann axial keinen Platz mehr für einen Turmzubau. Es gab keinen Platz, die Achse im Hauptraum beizubehalten. Sie haben mit dem Turm rausrücken müssen. Die Linie zum Altar ist nun um 1,5 Meter versetzt. Die zwei Räume, Altarschiff und Hauptschiff, sind also um 1,5 Meter versetzt. Das ergibt den Vorteil, dass das Flatterecho nicht so stark ist. Die zwei Räume im Altarschiff und im Hauptschiff sind zwei völlig unterschiedliche Räume. Man hat ein viel besseres Hörgefühl, wenn die Musizierenden von ihrer Positionierung in das Hauptschiff reinrücken. Bei Slagwerk Den Haag werden wir es so machen, dass die fünf Schlagwerker an verschiedenen Punkten im Raum spielen und auch um das Publikum herumwandern. Auch La Monte Young hat damals, 1992, zu mir gesagt: Die Kirche ist etwas ganz Besonderes, du musst mit dem Raum immer akustisch arbeiten. Positionierungen muss man sich also ganz genau überlegen.

Wann hast du begonnen, Imago Dei zu kuratieren?
Es hat 1998 mit einer Kooperation mit dem Festspielhaus St. Pölten begonnen, als Renald Deppe dort musikalischer Leiter war. Uns interessierte dieser Grenzbereich zwischen Neuer Musik und Experimentalmusik und wir wollten mit dem Raum in der Minoritenkirche arbeiten. Ich wollte die Spitze der Neuen Musik hierherbringen. Bei den ersten Konzerten war zum Beispiel das Kronos Quartett in der Kirche, oder 1992 La Monte Young oder auch James Tenney. Ich habe dann sukzessiv begonnen, das Thema auch philosophisch aufzuarbeiten. Das Thema Spiritualität – im weitesten Sinne – war mir immer ein Anliegen. Ostern ist ja eine spirituelle Zeit im katholischen Jahr. Aber man darf Religion und Spiritualität nicht miteinander verwechseln. Religion und Spiritualität sind oft widersprüchlich. Religion ist der politische, ideologische Mantel, Spiritualität kann dahinterstecken. Bei Glaubenskriegen geht es ja oft nur um unterschiedliche Ideologien.

Dieses farbintensive Close-up einer abstrakten Malerei, das heurige Sujet von Imago Dei zum Thema »Gegen.Licht«, stammt von dem kanadischen Maler Robert Leprohon.
Der kanadische Künstler Robert Leprohon wurde mir von Leo Zogmayer empfohlen. Das Bild »Takou« aus dem Jahr 1997 hat mir sofort gefallen. Es ist auch sehr spannend, wie Robert Zogmayer seine Malerei, sein sehr minimalistisches Oeuvre im Kontext Licht sieht. Leo Zogmayer ist ein Kremser Künstler, mit dem ich immer wieder zusammenarbeite und mit dem ich oft die Inhalte des Festivals abspreche. Zurück zu Robert Leprohon: In einem Ausstellungskatalog mit dem Titel »Listening to the light« hat Robert Bernier ihn so beschrieben: »Dieser eloquente und zugleich geheimnisvolle Künstler bleibt im Hintergrund der großen Kunstbewegungen und ideologischen Debatten seiner Zeit, doch er übernimmt von ihnen den ästhetischen Geist und die visuelle Philosophie, die er voll und ganz mit einbezieht – und die, was bemerkenswert ist, seine Praxis auf dem Weg zum Licht (und nicht zum Rampenlicht) leiten. (…) Leprohon, von Jugend an mit Morsezeichen vertraut, entwickelt seinen eigenen Licht-Code – die Farben werden zu seinem Alphabet. Er verbindet sie zu komplexen Mustern mit Formen, die als Modulatoren fungieren. Würde er statt mit Farben mit Klängen arbeiten, wäre sein Vorgehen nicht anders. Robert Leprohon malt Musik, und ebendies macht sein künstlerisches Schaffen so einzigartig und verleiht ihm merkwürdigerweise all seine ästhetische Bedeutung.«

Robert Leprohon: »Takou« © Robert Leprohon

Der deutsche Philosoph Peter Sloterdeijk wird an einem Abend mit dem Titel »Nordlicht« vor dem Konzert von Nordic Affect über Metaphysik, Mystik und Politik des Lichts sprechen.
Ich habe das Buch »Der ästhetische Imperativ« von ihm gelesen. Im zweiten Kapitel »Im Licht« bezieht er sich im Text »Erleuchtung im schwarzen Kasten: Zur Geschichte der Undurchsichtigkeit« auf dieses Zitat des Philosophen Ernst Bloch: »Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst. Das Bin ist innen. Alles Innen ist an sich dunkel. Um sich zu sehen und gar, was um es ist, muss es aus sich heraus.« Peter Sloterdeijk wird mit dem jungen Wiener Philosophen Marco Elias Hebesberger, der mir von Sloterdeijk selber empfohlen wurde, ein Gespräch führen. Ich bin auch schon sehr gespannt auf das isländische Ensemble Nordic Affect danach. Ich habe über den Komponisten Jóhann Jóhannsson von diesem Ensemble erfahren, er hat darüber geschrieben.

Am nächsten Tag wird der Literat Raoul Schrott einen Vortrag halten, er ist ja bekannt dafür, auch ein Unterhalter zu sein. Der Abend ist eine Kombination mit dem Ensemble Lemma, bestehend aus algerischen Frauen. Die kommen aus einem Gebiet in Afrika, im Südwesten von Algerien, in dem drei Flüsse zusammenkommen. Saoura wird auch als Tor zur Sahara bezeichnet. Dort haben sich zentralafrikanische Kulturen und viele Sklaven getroffen. Das Ensemble Lemma singt auch Texte von sufistischen Brüderschaften. Das waren eigentlich verbotene Texte für Frauen. Irgendwie haben sie die Erlaubnis von der Brüderschaft erhalten. Vor allem Hasna el Bécharia, die ich in Marokko erlebt habe, eine richtige ältere Lady, hat mich als Grande Dame am Gombri [eine Kastenhalslaute, Anm.] mit ihrem Timbre fasziniert. Das ist eine Laute mit nur einer Darmsaite, die einen tiefen Ton erzeugt.

Wie kam es zur Auswahl des Themas Licht?
Eineinhalb Jahre vor einem Festival fixiere ich die Themen. Ich war in den letzten paar Jahren in sechzig Ländern unterwegs und habe viel gesehen. Immer wieder habe ich mir die Frage gestellt: Wie ist es möglich, dass man den Leuten einreden kann, dass es ihnen schlecht geht? Und warum haben Populisten so ein leichtes Spiel? Wenn Leute dir ständig einreden, dass es dir schlecht geht, dann glaubst du es auch irgendwann. Und das wirkt sich auf fatale Weise auf die Gesellschaft aus. Es entsteht Neid und Hass. Damit kann man leicht Politik machen. Und ich selber bin auch in Situationen gesteckt, wo ich mich ständig über meine Situation beklagt habe. Einige Festivals, die ich machen wollte, haben nicht funktioniert, weil die Geldgeber oder die Politik nicht mitgespielt haben. Und schon siehst du dich ständig als Opfer …

Wir stehen alle dauernd im Licht und sind alle überfüllt von Informationen und Verlockungen, die dir von leuchtenden Werbelügen versprochen werden. Dauernd steht man im Licht und fühlt sich als Individuum von den Glücksverheißungen aus der Werbung geblendet. Man sieht die Realität nicht mehr. Dann haben Populisten natürlich ein leichtes Spiel. Auch unser Wirtschaftssystem gibt das vor: Alles soll immer größer, mehr, besser, perfekter sein. Das ist aber gegenläufig dazu, wie wir eigentlich leben sollten. Die Ressourcen gehen uns aus, wir verlieren unsere Empathie-Fähigkeiten. Aber es gibt dieses japanische Zitat: »Wer nicht ums Dunkel weiß, kann das Licht nicht erkennen.« Ich wollte Licht heuer zu einem Generalthema machen. Eine Affirmation, die auch mich stark betrifft.

Link: https://www.klangraum.at/de/osterfestival-imago-dei

favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Ähnliche Beiträge

Nach oben scrollen