© Magdalena Blaszczuk
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Das Leben als Gesamtkunstwerk

Jazzmusiker und Zeichner Walter Malli starb Ende Mai 71-jährig in Wien.

Roman Domanig-Roll hätte wohl zweifelnde Blicke himmelwärts geschickt. Drang sein Gstanzl »Wann der Herrgott mich fragert« da doch in gar seltsamer Weise an das erwartungsfrohe Ohr, fanden sich die melodischen Wienerlied-Konturen von quietschenden, graunzenden Sopransaxophontönen aufgespie&szligt, in bizarren Intervallsprüngen und sperriger, kantiger Phrasierung zerdehnt, während das Piano aus kleinsten Motiv-Bausteinen quasi monolithische Klangarchitekturen wuchern lie&szlig. Es war ein denkwürdiger Auftritt, den Walter Malli da im Juni 2002 mit Pianist Oskar Aichinger im Rahmen der ihm gewidmeten Ausstellung im Kaiserlichen Hofmobiliendepot in Wien bestritt, zwischen seinen an Herzmanovsky-Orlando erinnernden, karikaturhaften Fabelwesen, etwa dem »Grinsendem Einfu&szligwurm« oder dem »halbmechanischen Leichenfledderer«, oder den knalligen abstrakten Farbklecksen der »Salute to John Coltrane«-Serie, Resultat der kurzen tachistischen Phase Ende der 1950er Jahre. Nicht zu vergessen Mallis berühmte Tuschfeder-»Stadtlandschaften«: Unnachahmlich buckelnde Stra&szligenzüge, gekrümmte Plätze und wankende Gebäude waren dort zu sehen, die in ihrem filigranen Strich unwillkürlich an das quasi pointillistische Sopransax-, in ihren verqueren Formen ans rumpelnde, asynchron retardierte Schlagzeugspiel denken lie&szligen, die zu Mallis Markenzeichen geworden waren.

FrühesVersuchslabor: Galerie Zum Roten Apfel

Malli3.jpgDie Schönbrunner Gebäudeverwaltung, in deren Dienste Malli im Mai 1986 getreten war, da die künstlerische Tätigkeit zu wenig Geld abwarf, hatte dem 62-Jährigen damals eine erste umfassende Retrospektive seit Jahrzehnten gewidmet. Zu einem Zeitpunkt, als Malli als Musiker bekannter war als als bildender Künstler. Dabei war dieser, geboren 1940 in Graz, 1956 der Malerei wegen nach Wien übersiedelt. Malli studierte bei Albert Paris Gütersloh und Carl Unger an der Akademie der bildenden Künste bzw. an der ??Angewandten??; 1959 gründete er gemeinsam mit Pianist Richard Ahmad Pechoc in dessen Wohnung in der Landstra&szlige Hauptstra&szlige die Galerie Zum Roten Apfel; Mitte der 1960er Jahre wurde er Mitglied der Künstlervereinigung Der Kreis. Daneben nahm eine eigenwillige Variante jazziger Musizierpraxis immer breiteren Raum ein: »Wir wollten halt Jazz spielen, mit unserem Vermögen und unserer Philosophie. Dass der irgendwie ??free?? war, hat sich erst später herausgestellt«, so Malli rückblickend. Im Zuge der berüchtigen Vernissagenkonzerte und diverser Jam-Sessions in der Galerie Zum Roten Apfel bildete sich jener Musikerstamm heraus, der 1961 im Forum Stadtpark in Graz als Ahmad Pechoc Trio das erste Free-Jazz-Konzert Üsterreichs gab. Das erste in Wien gab es freilich erst 1966, als Malli und Pechoc mit dem Konzertdebüt der Masters of Unorthodox Jazz erstmals an die Üffentlichkeit treten konnten. Als Schlagzeuger und Sopransaxofonist dieses bis 1975 bestehenden Quintetts (wie auch der parallel aktiven Reform Art Unit) hielt Walter Malli in Wien früh die Fahne des Avantgarde-Jazz hoch, um sich in diversen Skandalkonzerten genussvoll am konservativen Establishment zu reiben. Später trat Malli in Projekten mit Franz Koglmann (etwa dessen Flaps-Quintett mit Steve Lacy oder dem Tatitut Tatatu-Ensemble) in Erscheinung. Ab Ende der 1980er Jahre machte er mit kauzigen Wienerlied-Neudeutungen auf sich aufmerksam und beschallte als Sideman von Chrono Popps und Hans Hollers Band HipHop Finger Discos und Dancefloors. Eine seiner grandiosesten Einspielungen erschien 1993 unter dem Namen »Hot Burrito#2«, aufgenommen mit Bassist Werner Dafeldecker und Gitarristen-Weirdo Eugene Chadbourne. Seinen letzten Auftritt als Musiker bestritt er im Jänner 2012 als Mitglied des Reform Art Orchestra im Wiener Porgy & Bess. Seit Jahren gesundheitlich angeschlagen, starb Walter Malli am Morgen des 25. Mai 71-jährig im Schlaf in seiner Wiener Wohnung. Die heimische Musikszene verliert mit ihm eines ihrer schillerndsten Originale.

Peter Zachs Dokumentarfilm: »Malli -Artist in Residence«
wird am Dienstag, 3. Juli um 21 Uhr im Fimhauskino am Spittelberg in Wien 7 gezeigt.

Andreas Felber: »Die Wiener Free-Jazz-Avantgarde – Revolution im Hinterzimmer« Wien-Köln-Weimar: Böhlau Verlag 2005, 512 Seiten, EUR 55,-

 

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Text
Andreas Felber

Veröffentlichung
25.06.2012

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