Der bildende Künstler und Tänzer Luis Mario Casanova Sorolla hat ein künstlerisches Aufzeichnungssystem für die Makro-Raumschriften der Raumwege eines Tänzerkörpers entwickelt. Die fixierten Bodenmuster stellen farbliche Kartografien von Choreografien dar. Sie visualisieren Bewegungsphrasen und -akzentuierungen und wurden im Selbstversuch mit dem akrobatischen Bewegungsvokabular der afrobrasilianischen Tanz- und Kampfkunst Capoeira, die Luis schon seit langem praktiziert, getestet. Für sein Abschlussprojekt »Signapura« an der Akademie der Bildenden Künste in Wien 2012 hat der bereits international aktive Künstler die Bewegungsformationen von klassisch trainierten Tänzerinnen und Tänzern des Wiener Staatsopern Balletts und ihren speziellen Tanzkodex poetisch und farblich verdichtet. Im Interview mit skug gibt er Auskunft über die Bilderserie »Signapura« und seinen Werdegang als Künstler.
skug: Du hast ja schon früh mit der Malerei und auch mit dem Kampftanz Capoeira begonnen. Hattest Du Vorbilder in Deiner Familie? Wurdest Du von Deiner Familie stark gefördert?
Luis Mario Casanova Sorolla: Meine Eltern haben mich sehr gefördert. Ich komme aus einer Mittelschichfamilie. Zu Hause gab es keine Musikinstrumente oder Literaturbücher. Mein Vater war Verkäufer, meine Mutter Hausfrau. Als kleines Kind habe ich viel am Boden gezeichnet. Meine Eltern entdeckten meine außergewöhnliche Freude daran und wollten dieses Talent fördern. Ich kam dann als einziges Kind zu einer Zeichenprofessorin für Erwachsene. Sie war sehr streng. Ich bekam ein Blatt Papier und einen Kohlestift und musste als Achtjähriger gleich klassische Stilleben zeichnen. Damals schon habe ich mich gerne mit sehr viel älteren Menschen unterhalten und war sehr neugierig. Zu Vorbildern in meiner Familie: es gab mütterlicherseits einen sehr wichtigen Maler. Er hieß Joaquin Sorolla und war einer der bedeutendsten Maler Spaniens, der als Impressionist weltweit Aufträge hatte. Die spanische Botschaft in Peru hat uns zwei Mal zu Ausstellungen seiner Werke im Nationalmuseum von Lima eingeladen. In Mitteleuropa ist er allerdings nicht so bekannt. Einer meiner Onkel war auch ein begabter Künstler. Er war vor allem handwerklich sehr talentiert und hat vom Sessel bis zu Torbögen so ziemlich alles bauen können.
Kannst Du kurz die Bedeutung deiner Bilderserie »Signapura« erklären?
Ich versuche, meinen Werken stets eine Identität zu geben. Als diese Bilder entstanden, war auch mein Zen-Meister, der Philosoph und Theologe Daniel Medvedov, gerade in Wien. Als Akademiker ist er mit der lateinischen Sprache vertraut. Das hat mich inspiriert. »Signapura« steht für Unterschrift und etwas Pures. Der Begiff »Signapura« lässt sich ja vom lateinischen Signum, mit der Bedeutung Zeichen, herleiten. Dieser Begriff drückt aber für mich zu wenig diese Eigenheit aus, die meine Bilderserie charakterisiert. Diese Bilder sind mehr als Körperunterschriften oder Körperstempel. Ich versuche einen reinen, transparenten, puren Bewegungsmoment festzuhalten. Deshalb kam dann auch das lateinische Wort »pura« mit der Bedeutung »rein« dazu. Ich habe diese beiden Wörter dann zu »Signapura« vereint.
Wie kam es dann zur Zusammenarbeit mit den Tänzerinnen und Tänzern des Wiener Staatsopernballets? Was hat Capoeira mit Ballett zu tun?
Ich hatte immer eine tiefe Bewunderung für Tanz und Bewegung. Schon als Kind habe ich in der Schule in Peru Folklore getanzt. Sehr faszinierend finde ich auch den peruanischen Scherentanz, einen sehr akrobatischen Ritualtanz. Zwischen Capoeira und Ballet sehe ich für mich noch keine Verbindung – nur vielleicht zum Teil ästhetisch, visuell in den Bewegungen. Aber ich bin nicht von Capoeira zum Ballett gekommen. Capoeira ist sozusagen eine eigene Straße, Ballett eine Seitengasse. Diese Seitengasse habe ich kennengelernt als ich nach Üsterreich gekommen bin. Ich war bis zu dem Zeitpunkt, als ich eine Ballerina aus Spanien hier in Wien kennenlernte, noch nie in der Oper gewesen. Sie hat mich dann einmal zu einer Vorstellung eingeladen und das hat mein Leben komplett geändert. Die Musik und die Tänzerinnen und Tänzer haben mich stark beeindruckt. Durch sie lernte ich dann auch andere professionelle Tänzerinnen und Tänzer kennen, was ja gar nicht so leicht ist, da diese durch ihr hartes, strenges Training fast kein Privatleben haben und eher unter sich bleiben. Ich hatte dann auch fast zwei Jahre lang eine Beziehung mit einer Staatsoperntänzerin, wir haben auch zusammengelebt und ich habe den disziplinierten, entbehrungsreichen Alltag mitbekommen. Durch stundenlange Konversationen mit Balletttänzern über Tanz und Bewegung habe ich sehr viel über klassischen Tanz und Ballett erfahren. Meine Freundin konnte mir über ihre Kunst damals eigentlich nicht so viel erzählen.
Wie kamst du dann auf die Idee, Tanzbewegungen abzubilden?
Die Spuren der Gummisohlen von Tänzerinnen und Tänzern auf Linoleum machten mir bewusst, wieviel mehr noch hinter diesen Bewegungen und dem damit verbundenen Ausdruck des Tanzes steckt. Wie kann man Tanz in Malerei festhalten? Die unsichtbaren Zeichnungen als sichtbare auf Papier bannen? Die ?berlegung war, aus diesen Linien und Kurven einen künstlerischen Prozess entstehen zu lassen, ohne dabei den tänzerischen Ausdruck in irgendeiner Form zu beeinflussen und damit zu verfälschen. Zunächst war die individuelle Gestaltung einer Signatur durch Tanz Ziel dieses Projekts. Für einen Tänzer, der sich in der Bewegung seines Körpers ausdrückt, gibt es keine freiere und authentischere Form ein Signum zu hinterlassen. Jeder Tänzer sollte also frei, ohne Rücksicht auf das Ergebnis, tanzen können. Mit zeitlichem und optischem Abstand zum Ergebnis stellte ich fest, dass man aus dem entstanden Bild ästhetische Formen lesen kann, die immer wieder in dynamischer Weise auftreten.
Gibt es für Dich ?berschneidungen zwischen den künstlerischen Ausdrucksformen Malerei, Tanz und Meditation?
In der Zen-Malerei geht es a posteriori um Beobachtungen. Du kontemplierst zum Beispiel über einen Wasserfarbenfleck und mit ein paar Strichen arbeitest du dann ein finales Bild heraus. Vom Prozess her sehe ich keine Verbindung zwischen Tanz und Malerei. Aber dieses Entstehen lassen aus dem freien Moment heraus, ohne dabei Änderungen vorzunehmen, das sehe ich als Parallele. So wie die Bewegungs-Prints der Tänzerinnen und Tänzer bei »Signapura«. Ich respektiere diese freien Ausdrucks-Momente und greife nicht ein, um diese Bewegungsdokumente nachträglich zu verändern. Und das eigenartige Gefühl dabei ist, dass ich die Bilder doch wie selbstgemalt empfinde.
Wie ergänzt sich die Bewegungs-Philosophie von Capoeira mit der ästhetisch-kontemplativen Ästhetik von Zen?
Zen ist eine Lebenseinstellung. Der Versuch, nicht ständig nach Anerkennung zu streben, nicht ständig im Mittelpunkt stehen zu müssen. Dein Ego kann dich vergiften. Die Meditation, die ich von Daniel Medvedov gelernt habe, kann ich überall anwenden. Die Vorstellung: tief Luft holen, sozusagen implodieren, und dann langsam ausatmen und loslassen. Generell ist die Beachtung der Ausatmung dabei sehr wichtig. Du bist entspannt nach außen, und innerlich voll konzentriert. Hier sehe ich auch eine Ähnlichkeit zu Capoeira. Oder auch gewisse Bewegungsabläufe, wie zum Beispiel die »Vingativa« in Capoeira, die findet man auch in Tai-Chi. Alle Kampfsportdisziplinen beinhalten meditative Elemente. Capoeira und Zen ist die Verbindung mit der Natur gemeinsam. Tai-Chi umfasst dreitausend Jahre alte spirituelle und naturverbundene Bewegungsformen. Capoeira bzw. Batuque sind Bewegungen mit afrikanischen Einflüssen, die von sehr naturverbundenen Menschen stammen und teilweise animalisch anmuten. Capoeira ist allerdings eine der jüngsten Kampfsportarten mit einer vierhundertjährigen Geschichte und entwickelt sich noch weiter.
Kannst Du mit dem Begriff Vision etwas anfangen?
Ich selber verwende dieses Wort selten. Vielleicht in Zusammenhang mit Projekten und das hat vermutlich auch mit meiner Zen-Philosophie zu tun. Sobald ich die Projekte »sehe« sind sie sozusagen auch schon wieder passiert. Das »Was« ist entscheidend für mich, nicht das »Wie«. Bei Signapura ist mir wichtig, was da auf den Bildern drauf ist. Wie sie entstehen, die Tänzer und Tänzerinnen tanzen, die Pigmentfarben zusammengesetzt sind etc. finde ich dabei nicht entscheidend.
Arbeitest Du auch im öffentlichen Raum?
Durch Capoeira und das Tanzen kenne ich die Situation, auf einer Bühne zu sein und etwas darzustellen. Vor sechs Jahren habe ich auch einmal live auf einer Bühne ein Model gemalt. Ich wollte den Prozess der Malerei sichtbar machen, habe dabei auch mit Schauspielern zusammengearbeitet. Wir haben einen Tag lang geprobt und einen Tag dann improvisiert. Das Bild wurde noch am selben Abend versteigert. Und um auf Signapura zurückzukommen: Ich möchte ja das Tanzen und den Entstehungsprozess sichtbar machen. Ich möchte das Tanzen aus einer anderen, ungewöhnlichen Perspektive zeigen. Das Bindemittel dafür ist der unsichtbare Schweiß, vor allem wenn barfuß getanzt wird.
Welche Rolle spielt Raum generell bei Deinen Arbeiten? Was fällt Dir im Speziellen zu den Begriffen Tanzraum, Kompositionsraum und Denkraum ein?
Raum ist etwas, das ich als Maler nicht immer kontrollieren kann. Am liebsten würde ich mir natürlich meinen eigenen Raum erschaffen, mit den von mir gewünschten Dimensionen … also ein eigenes Atelier. Zum Malen selber brauche ich keinen großen physischen Raum, da reicht ein Schreibtisch. Für mein Diplomarbeitsprojekt wollte ich keinen Außenraum verwenden, sondern einen großen Raum mit einer entsprechenden Raumhöhe. Die Aula in der Akademie der Bildenden Künste in Wien war für mein Diplomarbeitsprojekt »Signapura« der Kompositionsraum für die Tänzerinnen und Tänzer. Und zum Begriff und zur Größe des Denkraums: der ist für mich infinit.
SIGNAPURA „COLOUR IMPROVISATION“ from CasanovaSorolla on Vimeo.