Es ist schwierig, Michael Glawoggers »Whores‘ Glory. Ein Triptychon zur Prostitution« richtig zu schätzen, denn ein kleines, dickes Buch kann schlecht mit einem spannenden Film mithalten, selbst wenn es voller Bilder dreier toller FotografInnen ist – Fotos sind immer ›Standstills‹, sie bewegen sich nicht. Es gibt kein ›Vorher‹ und kein ›Nachher‹ – ein Problem, das schon vorchristliche griechische Vasenmaler erkannten und zu dem es ganze Theoriegebäude von FotografInnen gibt, die eine »Ein-Bild-Politik« ablehnen.
Zusätzlich verfolgt Glawogger im Buch in kurzen Aufsätzen einen direkteren, aber ›platteren‹ politischen Ansatz. Statt wie im Film eine »Erotik der Dominanz« zu hinterfragen und zu kritisieren, berichtet er z. B. von Angriffen Tausender Fundamentalisten auf das »Ghetto«, die Siedlung der Prostituierten in Tangail in Bangladesh, die sich mit großen Hackmessern selbst verteidigen. Die Fotos der entschlossen blickenden älteren Prostituierten mit den sichelartigen, verrosteten Messern in der Hand sind schon sehr stark.
Gleichzeitig verliert sich Glawogger im Buch aber auch – im Vergleich zum Film – in einer Mischkulanz von Liebe, Sex und Prostitution bzw. sexualisierter Gewalt. Oder kann man diese Vermischung dort an einzelnen Sätzen besser fest machen? Wenn er etwa von einem »Ghetto der Lust« spricht, aus dem es »für Frauen kein Entkommen« gibt. Wessen Lust ist das dann? Oder er setzt Prostitution mit Liebe gleich: »Die Art von Liebe mit der sie aufwachsen und von der sie leben, ist nicht die, von der sie träumen.« Liebe ohne Anführungszeichen … »Sie brennen sich den Namen eines Freiers in den Unterarm, denn sie sind verrückt nach Liebe. Und so mancher in die Haut gebrannter Name wird mit hunderten Rasierklingenschnitten wieder notdürftig entfernt.« Schnitte in die eigene Haut und bis aufs Blut gegen verlorene Liebe – ist das nicht doch ›Liebe‹? Heftig wird es für mich, wenn er genau bei der mexikanischen Prostituierten, die im Film eindeutig Missbrauchs-Sprache zeigt (Selbstverletzungen, Feuer legen, Todes-Sehnsucht), persönlich als Dritter beim gekauften Sex im Zimmer mit dabei ist und auch noch stolz darauf ist. Die Grenze zwischen Kunde und Filmemacher ist nicht mehr ganz klar.
Hardcore wird es aber, wenn Glawogger berichtet, dass in Mexiko viele Mädchen schon durch Vergewaltigungen in der Familie mit 13 Jahren Kinder kriegen. Um Geld für diese Kinder, die sie nicht abtreiben oder im Stich lassen, zu verdienen, werden sie Prostituierte – und er dann lapidar kommentarlos und scheinbar ohne Mitgefühl festhält: »Viele dieser Kinder sind entstanden, weil die Mädchen vom Vater oder einem anderen Familienmitglied missbraucht worden sind. Sie kommen aus dem Schoß der über allem stehenden Familie hierher.«
Michael Glawogger: »Whores? Glory. Ein Triptychon zur Prostitution«, Freiburg: orange press 2011, 256 Seiten, EUR 30,90