»Mit einem gigantomanischen Saiteninstrument bringt sie die sakrale Architektur in Schwingung«, vermerkt der Katalog. Es entstünde eine enorme Spannung im Raum, sprich in der Kirche. Ganz so fühlbar ist die Spannung dann aber nicht, zumindest wenn man nicht oben direkt neben dem riesigen, neu erfundenen Instrument steht und nachspürt, dass die Holzteile mitschwingen. Das MAK hat damals stärker geschwungen und die Säulen im Museum wankten beinahe, als Anish Kapoor durch ein riesiges Katapult eine Wachskugel in die Ecke donnern ließ, in regelmäßigen Zeitabständen. 25 Meter lang ist nun diese Instrumentenskulptur in der Kirche, in rosa und weiß gehalten. Die Metallsaiten stammen aus Klavieren und werden mit Schlegeln und Rosshaarbögen gespielt – es klingt aber leise, nach spontanen Geräuschen, Melodien scheinen eher nicht möglich.
Samsonow ist bekannt für ihre Skulpturen, die gleichzeitig Klanginstrumente sind, auf denen man spielen kann. Ihr »Labor des Endo-/Exokorpus« ist extra für die Dominikanerkirche in Krems erdacht und erbaut worden. Während der Performance spielen zwei Frauen auf dem riesigen Holzteil, der so genannten Labor-Skulptur. Gesinge. Blüten auf dem Kopf. Die schöne, hohe Kirche wölbt sich über dem Klang, im Kirchenschiff. Eine kleinere Holzskulptur steht auf Rädern, mit Licht drin, eine goldene Skulptur schimmert. Samsonow möchte, dass ihre Skulpturen Töne von sich geben. »Wenn ich die Saiten aufziehe …«, sagte sie. Es herrscht noch Tageslicht vor, in der hellen Kirche aus Sandstein, die oben Risse hat, und ein Fresko an der Wand, die teilweise altrosa übermalt wurde. Der Maler Hermann Nitsch humpelt herein und erhält einen Stuhl. Samsonow verwendete sehr viele Linden für ihre Skulpturen, dann einmal eine Trauerweide, die sie als Telefonzelle mit Saiten anlegte. Die Schallwellen wirkten stark. »Mich hat’s fast zerlegt«, meinte sie dazu.
Weder Sakrileg noch Ritual
Nach der Performance befragt, ob man ihr skulpturales Labor nicht lauter hätte spielen können, meint die Künstlerin, Philosophin und Akademieprofessorin, dass es doch laut gewesen sei. Nun ja. Hellblau leuchtet der Himmel hinter den Kirchenfenstern aus Glas. Alle diese neonrosa und quietschrosa Skulpturen, samt einer einzigen in hellblau, auch das helle Lindenholz, passen farblich gut zum ehemaligen Gotteshaus, das seit der Ordensauflösung unter Joseph II verschiedenerlei Funktion hatte, bis es ab 1892 das erste Museum der Stadt Krems beherbergte. Trotzdem wirkte die Performance komisch, als Form von »Sakral« – kein Sakrileg, aber auch kein Ritual, trotz Anlehnung an alle möglichen Figuren aus der griechischen Mythologie. Christliche Religion blieb aus dem Spiel. Doch gab es sehr wohl Versatzstücke anderer Religionen und Zeiten, ins Erdendasein versetzt. Viel Glitzer. Heiden? Inka? An einer Skulptur hängt ein Kinderhochstuhl, an einer anderen ein rosa-weißes Pferd. Die Transplants genannten Skulpturen sollen »die Beziehung zwischen Mensch und Pflanze vertiefen, die Samsonows Ansicht nach für skulpturelle Praxis essentiell ist« (Katalog). Die grundlegende Idee der Transplants bestehe in dem Gedanken, dass »die Rettung erst aus der Öffnung kommt, wenn man patriarchale Kultur und Familie verlässt«.
Schon die Bildhauerin Barbara Hepworth, eine der ersten britischen KünstlerInnen, die sich in die abstrakte Moderne vorwagte, versah Skulpturen mit Saiten. Im Jahre 1938 war Piet Mondrian nach London geflüchtet, ein enger Freund von Naum Gabo, der ihm nachfolgte. Die beiden Familien Mondrian und Gabo zogen nach Cornwall in die Nachbarschaft von Hepworth. Angeregt von Gabos linearen Raumkonstruktionen und durch ihre Liebe zu Bachs Fugen begann Hepworth in den frühen 1940er Jahren ihre ausgehöhlten Ovaloide mit Saiten zu bespannen. Gabo wurde wütend: Hepworth habe ihm »das Oval geklaut«. Seine »Konstruktion auf einer Linie« aus 1937 – 39 besteht z. B. aus einem einzigen Metalldraht, um den herum eine Glaskonstruktion mit Öffnungen aufgebaut ist.
Der Schwung überträgt sich
In Krems fügen sich bunte Lindenholzskulpturen mit Namen wie »Buchfresserin« oder »Kapitolinische Wölfin« gut ein in den fröhlichen Ausflug der Samsonow-Akademie-Klasse zur Ausstellungseröffnung ihrer Professorin. »In der Höhe wäre der Klang besser«, merkt der Samsonow-Student Marc an, »doch in einer Kirche in die Höhe zu bauen, wäre seltsam, denn dann sähe die Skulptur gleich wie ein Kreuz aus.« Ihn erinnerten die langsamen Passagen der Musik-Perfomance an die französischen Black Metal-Bands Deathspell Omega und Blut aus Nord, wegen des Ausschwingenlassens der Basssaiten. »Mir gefällt der Schwung«, sagt er. Der Nachschwung, der Hall. Marc hätte die Saiten mit Stahlstiften angeschlagen und packt auch gleich sein Plektron aus seiner Brieftasche aus. Das riesige Holzinstrument ist mit Stahlseilen in der ehemaligen Krypta verankert. Oben darüber probieren mehrere ZuseherInnen selber die Klangmöglichkeiten aus. Einer hat die Blütenkelch-Kopfbedeckung der Performerinnen umgedreht auf seine Glatze gesetzt. Schaut viel besser aus.
Elisabeth von Samsonow. Transplants
05. Juni – 16. Oktober 2016
Dominikanerkirche in Krems