»Eine bestrapste Brünette reitet wild einen Typen ab«; »Männer im Pensionsalter, die grad mal volljährige Burschen befummeln«; Prostituierte, Zuhälter, Transsexuelle, Sex-Touristen und Faschisten. Willkommen im Kern-Gebiet. Die Protagonisten von Peter Kern, sie sind eigensinnig und verletzlich, zerbrochen an einer übersexualisierten, sensationslustigen und mediengeilen Gesellschaft. Im Verlag filmarchiv austria erschienen, unternehmen der Presse-Filmredakteur Christoph Huber und Filmexperte Olaf Möller mit diesem Buch den Versuch, das Werk des Wiener Regisseurs, Schauspielers, Produzenten und Autors Peter Kern zu vermessen. Da wird dem Leser auch nichts vorgemacht, denn schließlich »wollen und werden wir nicht verbergen, dass wir Kern kennen und mögen«, wird im Vorwort eröffnet. Sie verschreiben sich ganz im Zeichen des Künstlers dem »Kern-Weg«: »Hoch verdichtete Leidenschaft«. Und was sie versprechen, das halten sie auch. In vier Essays geben sie mit Hilfe von »Kern«- und Filmanalysen einen ?berblick über künstlerisches Schaffen und Lebensweg. Ein dreiteiliges Interview führt von Kerns erster 8-mm Kamera, seinen Anfängen als Dokumentarfilmer auf den Philippinen mit »Die Bootsmänner von Pagsanhan« (1980) und »Die Wasserlilie blüht nicht mehr« (1980), bis hin zu seiner Arbeit als Schauspieler, seiner Rückkehr nach Üsterreich und seinen jüngeren Filmen wie »Blutsfreundschaft« (2009) und »Die Mörderschwestern« (2011). Kern erzählt aus seinem Privatleben, seiner Arbeit, von finanziellen Schwierigkeiten, Schwulenparties und Zungenküssen mit Leonard Bernstein. Mit Beschimpfungen wird nicht gegeizt. Der österreichische Hochkulturbetrieb kommt dabei ebenso zum Handkuss wie die internationale, deutsche und österreichische Film- und Theaterszene. Tabus gibt es offenbar keine in diesem Gespräch.
Alles, bloß keine Schublade
Eine, so Huber & Möller, »Vorliebe für ?bergangsmontagen impressionistischer Eindrücke« und der »genussvoll irreführende Richtungswechsel im Inszenierungsfluss« kennzeichnen Kern als Regisseur. Jede Kameraeinstellung sitzt. Alles ist bis ins kleinste Detail durchdacht. Sinnlichkeit sei die Haupttriebfeder aller seiner Filme, von denen es ein Drittel ins Kino, kein einziger ins österreichische Fernsehen geschafft hat. Dem Geschmack der breiten Masse verweigert er sich. Vor Schubladen verschließt er sich. »Kerns Kompromisslosigkeit rückt ihn als Regisseur in eine Art Underground-Position«, schreibt Huber, womit wir schon wieder bei einer Kategorisierung wären. Und obwohl er oft diesen Eindruck erweckt, betont Kern, dass er Filme nicht für sich selbst mache, weil »für mich ist mein Film auch ein Koitus. Ich brauche einen Partner, und der ist das Publikum, egal ob es sich aufregt oder freut oder Widersprüche anmeldet«. Seine Filme sind intensiv. Das kratzt am Kortex. Er provoziert und spielt mit standardisierten Sehgewohnheiten. Man muss Peter Kerns Filme nicht mögen, um dieses humorvolle und kompakte Portrait eines der wohl exzentrischsten Filmregisseure des deutschsprachigen Raums zu mögen. »Im Kernwerk wächst die Magie selbst aus dem Müll«, schreibt Christoph Huber. Und das haben bisher nur wenige geschafft.
Als DVD-Premieren werden mit Donauleichen (2005) und Die toten Körper der Lebenden (2007) zwei Raritäten veröffentlicht, gemeinsam mit den beiden Glücksfunden und jüngeren Werken Ishmael Bernal – Truth and Dare (1993) und Visionary Filmmaker – Marilou Diaz-Abaya (1999). Drei Texte von Kern selbst, eine Kurzbiographie, ein Werkverzeichnis und eine Filmografie runden das Portrait ab.
Christoph Huber & Olaf Möller: »Peter Kern«, Wien: verlag filmarchiv austria 2011, 210 Seiten + DVD, EUR 14,90