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Saul Williams – »I say nigga more than I say meta!!!«

Preacher. Poet. Kanonenfresse und Karma-Quatscher. Das straßengeerdete US-Reinheitsgebot vom Ghettokünstler, Rap und Nietzsche im Schulterhalfter: Saul Stacey Williams entzückt als Slam Poetry-Landesmeister, Independent Schauspieler, Buchautor und MC mehr als nur schwarzweiss liberale Mittelschichten.

Philosophy with a Fist

Oliver Stone hätte seine Freude: Den Morrison perlt Saul locker aus dem Hemdsärmel. Naturmystizismus. Street Knowledge. Ironiefreier stolzer Blick. Und doch: Real umarmendes Lächeln überm Patchouli duftenden Blumenhemd. Weniger Soul-Food-Zocker als ein denkendes Kifferkind der Schmelztiegelneunziger, der Instant Revolution gone Stadion von Bands wie Rage against the Machine oder Fishbone. Kreaturen des Crossover, die schon begrabene Stile und Messages stoisch und wirr wiederkäuen, lauter, immer lauter auf der Flucht, sich als uneigenständigen, wertlosen Loop der Pop-Historie erkennen. Von deren in Punk, Breakbeats, blastenden Raverhythmen gekleidetem Gebrüll um Revolution und Aufklärung, die ständig an ihrer Herkunft als kapitalem Unterhaltungsdienstleister scheitern, nimmt Saul freilich nur die Furie. Mit seinen 28 ist er ein überraschend ruhig gestimmter Souverän im Hardcore-Klangbad.

1995 manifestierte sich sein Name im Ground Zero des gerade wieder beginnenden Spoken Word-Hypes. Das jungliberale Amerika wollte eine eigene Version des europiden Literaturcafés, grad recht zum großen Sterben der Beat-Poeten wie Burroughs und Ginsberg. Nachdem Rap und Comedy die Standup-Wortkultur des Landes fast zwei Jahrzehnte mit zynischem Materialismus dominiert hatte, durften nun wieder zu multiplem Bohnengetränk Esoterik, dichterische Transzendenz und romantische Ideale sprühen.
New York, mit einer fixen Performance-Szene zu New Wave Zeiten, Karen Finley, Laurie Anderson, John Giorno, einzig ernstzunehmender Statthalter des Spoken Word (die ebenfalls tätige L.A., Chicago oder Seattle-Szene saugte derweil Shit), entwickelte mit dem Nuyorican Café auch das hippste Epizenter der Next Gen Rhymesmithin‘. Natürlich ein Hype des kaufkräftigen Mittelstands, der belesenen Flanierstudenten Manhattans, voll betont kleiner Weltsichten und PC-Gesten, explodierte der brave Reimwettbewerb durch Figuren wie Williams, die sich aus Old School HipHop heraus, aus dem aggressiven Politbewusstsein Public Enemys und dem selbsterzogen gebildeten Nigger-Postulat KRS-Ones erklärten, zu einem schichtüberschreitenden Spektakel. Das Wort war wieder Waffe statt Produkt und Szene-Tool geworden.

Bei Rap begann alles so bei 100 Wörtern die Minute. Gemütliche Partymusik. Dann kam KRS und machte 300 daraus. Sagte: «Nehmt den Beat weg! Es geht um die Worte! Es geht um Verständnis!» Viele haben lang versucht diesen Level des Reimens zu erreichen. Und dann kam Naz und machte noch mehr Wörter draus. Und heut haben wir Eminem mit noch mal mehr Wörtern, die fast überhaupt keine Melodie mehr haben, sondern eher einen abgehetzten Exorzismus in sich tragen. Anfang der Neunziger war vieles sehr flach. Die Leute ballerten sich mit Gangsterklischees zu oder hörten nur die Beats und Sounds wie im frühen TripHop. Für jemanden, der seine Inspiration aus dem Wort, aus der Geschichte zieht wie mich, eine sehr fade Angelegenheit. Also fand ich mich in Poesiekursen wieder, dann in freien Sessions und fand Gleichgesinnte, die die Musik wegließen um eine neue Kunstform daraus zu entwickeln. Wenn ich heute meine Texte durchgehe, passen sie überhaupt nicht mehr in das Gefüge genormter Old-School-Beats. Das braucht viel komplexere Beatflächen und variierende Rhythmen. Und mit der Kunst, die sich aus den Leuten entwickelte, wuchs auch was anderes: An Evolution of Consciousness!

Pictures of a Blackstick Man

Nicht umsonst spielt Mister Williams hier im Tonfall den schottischen Akzent Sean Connerys aus »Finding Forrester«durch, um sich gleich darauf vor Lachen zu kringeln. Jene schaurige Hollywood-Kitschversion des Selftaught Niggers, mit der Gus Van Sant die Thematik seines eigenen meisterlichen »Good Will Hunting« aufwärmte und durch die Fortsetzung statt der Brechung von Stereotypen vernichtete. Wenn im Film der kleine Schwarze vom zurückgezogenen alten Weisen Connery durch die Poesie den Weg aus Klassengrenzen und Ghetto findet, ist es nur die bravsüsse Clinton-Variante vom Nike-Nigger der Reaganomics, der durch Basketball, Gucci und G-Funk-Skills wertvoller Bestandteil eingeweißter Rat-Race-Gesellschaft wird.
»My Adidas are three years old like my Daughter« heißt es im Song »La La«, gleichzeitig Anklage auf die Commoditygeilheit der Contemporary Black Awareness wie auch Forderung ihres Erwachsenseins. Gerade »Slam« aber, jener Indie-Spielfilm , der 1998 als kleiner Kino-Hit Drehbuchautor und Hauptdarsteller Saul Williams schlagartig bekannt macht, vereint mitunter dasselbe Figurenarsenal in einer Person.
Ein natürlich dank penetrant bravem US-Ethos nur Kiffe dealender Streetpoet in den Washingtoner Housing Projects wird unschuldig in den Knast gesteckt und darf zwischen unmenschlichem Strafvollzug und Gangwar das Wort als Rettungsanker unters Volk bringen. Gerade Sauls leidenschaftliche Verbissenheit, inmitten Sam Fuller/Elia Kazan-Style dokumentarisch quergemischter Original Locations und Original Prison Camper, vermittelt eine zumindest glaubwürdige, fesselnd realisierte Botschaft: Nimm dein Wissen, dein Bewusstsein, deine Worte in die eigenen Hände. Es ist dein Schicksal.

Poesie ist im Übermaß ein Werkzeug des Bewusstseins. Manche aber empfinden sie als elitär. Musik und Kino haben ja als unsagbar machtvolle Kulturtrends die letzten dreißig Jahre fast ausschließlich bestimmt. Film bedient dabei deine bewusste Wahrnehmung. Genau wie dieser Film »Pearl Harbor«. Wenn sie die Geschichte falsch erzählen, wird dennoch jeder die falsche Geschichte glauben, weil er es so will. Und sie werden die Geschichte falsch erzählen und upfucken. Beschränkte amerikanische Perspektive, und so weiter. Und das wirklich Merkwürdige dabei ist, wie das jeder schon weiß, bevor der Film überhaupt draußen ist. Musik bedient dagegen eine unbewusste Dramaturgie.
Wie die Violinen im Horrorfilm, die dich anspannen, bevor du überhaupt was bemerkst. Und das kann man mit High-End-Language, einer musikangepassten Sprache, deutlich anders als meine als solche verfassten Gedichte, zu einer unbewusst passierenden Kunstform verknüpfen.
Viele Dichter vor mir haben Poesie als Art der Magie verstanden. Als Verhexung. Als Gebete. Flüche. Übersinnliche Rituale. Die Kraft der Poesie entsteht durch die Kraft der Magie. Speziell im Moment des Vortragens. Du kannst Dinge geschehen lassen. Ich habe sie geschehen sehen. Ist deine Musik gut, werden die Leute sie verstehen, ohne auch nur ein Wort mitkriegen zu müssen. Alles was ich ihnen dabei mitgeben möchte, ist diese Kraft in sich zu entdecken, für sich selbst denken und formulieren zu können.

Evolution in Stereoscopic Sound

Ganz Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik, ist die Tonfolge für ihn der höchste Stepping Stone kultureller Entwicklung. Jeder ist für sich ein selbstdeterminiert rockender Stern aus Schicksalsabgewandtheit und Naturbewusstsein, nicht nach der Austauschdekadenz der 15 Warhol-Minuten. Weisheit dringt für den diplomierten Philosophen nur dorthin, wo keine Worte mehr hinfinden.
Klar, dass nach dem Performer, Literaten, Moviestar, der nächste Schritt des Projekt Williams Rockheroe sein muss. Rick Rubin, Produzentengott der 80er (Mainstream-Etablierung des HipHop durch Heavygitarren via Beastie Boys, Public Enemy, Run DMC) und frühen 90er (Neo-Arenarock aller Härtegrade von Black Crowes, Danzig bis Slayer), wurde zuletzt eher als spinnerter Bikerzausel belächelt, dessen Output (Rereleases von Gang of Four, Devo, Flipper, Wiederentdeckung von Donovan, Nusrat Fateh Ali Khan oder Johnny Cash, lahme Youngsters wie System of a Down’s Gothmetal oder Wesley Willis??? Schizophrenen-Folk) arg an den Massen vorbeischrammte, die er vorher wie kein anderer bewegt hatte.
Als Innovator mit Sinn für heftigst metallös geprägte Soundteppiche aber war er kongenialer Partner für Sauls Vision, Slam Poetry nur als Ausgangspunkt eines stilzerrissenen, lautstark
packenden Beatteppichs zwischen HipHop-Breaks, Drum’n’Bass, Afro Beats und aggressiv psychedelischen Ambientschwällen zu inszenieren, in dem das Wort selber verschwinden sollte.
Das Albumdebüt »Amethyst Rock Star« zeigt sich entsprechend fern jeglichen zarten Literatentums. Da tummeln sich stampfende Refrains, fett brockende Songstrukturen, Feedbackschwälle, parolierende Shoutouts, absichtsvoll krude einherreitende Reimfolgen. Fast zeigt es sich wie eine verpunkte Version der Conscious-Rapper der frühen 90er (Goats, Consolidated, Disposable Heroes of HipHoprisy), die auch immer einen lärmenden Industrial-Flavour mitlaufen hatten. Bei Williams aber gehen die Einflüsse ins Diffuse und bleiben im ständigen Wechsel, im fast krautrockartigen Klanggrößenwahn, dem doch immer irgendwo Strophe und Refrain eine ferne Klammer bilden, spannend.

Es gibt nichts Öderes, als ein Gedicht vorzutragen und nachher ein bisschen Liftmusik im Hintergrund zu inszenieren!
Musik darf nicht intellektualisiert volllabern, ist nicht das poetische Gespräch. Sie muss einen bis zur Bewusstlosigkeit rocken. Die US-Presse, freilich eher zarte Ethnocollagen und Basic Beats der Poetry-Kollegen wie Mike Ladd, Ursula Rucker oder Carl Hancock Rux bzw. die edlen Jazzthetics der Roots und Fugees (allesamt by the way verstehende Kollaborateure von Saul) schätzend, verriss diesen Weg leider fast einhellig. Dabei verweigert sich die Songkollektion bis auf den Track »Untimely Meditations«, der ein davor existentes Gedicht mit rollenden Ohms verrührt, aller gängigen Spoken Word Gimmicks. Der wahrhaftige Gossenhauer »Fearless« etwa summiert ein ganzes Buch (»She«, die zweite erschienene Gedichtsammlung nach »Catch a Fire«, die eine eigene elendig zerbrochene Frauenbeziehung exhumiert) in wenigen kurzen Lyrics, streicht den Anspruch für alle nackte kindische Emotion des Alleinseins, und drängt es in ein grandios dekonstruiert, vernoiserocktes Skelett von Michael Jacksons »She’s out of my Life«, das er wie ein volltrunken aus dem CBGB’s geworfener Lenny Kravitz in den Gulli croont. Zu anderen Tracks wie »Penny for a Thought« oder »Tao of Now« schrieb er erst nachträglich zu vorvisualisierten Klang- und Beatcollagen aus Kammermusik und schwitzigem Beatclustern die Lyrics. Und zeigt damit einen tatsächlich exzellenten, fortgeschrittenen Crossover aus Wort, Rock und Beat.

Mein Problem ist, dass der HipHop von heute infiziert ist. Es ist lange kein schwarzes Ding mehr, sondern eine Generationssache, die die typische Rags-to-Riches-Story runterknattert. Überall dasselbe Hugh-Hefner-Horatio-Alger-American-Dream-Szenario. Goldkettenmenschen in Bentley und Mercedes. Schwarze Musik ist inzwischen die erfolgreichste Mainstreammusik. Sie hat einen unabschätzbaren Einfluss auf das kollektive Unbewusste. Und alles was wir hören ist dieser misogyne gewalttätige Bullshit, den ein paar Kindsköpfe daherlallen, die lieber Kinofiguren wären. Deswegen auch die Rappermaske als Godfather. Oder als Scarface. Musik ist ein so mächtiges Mittel. Gerade jetzt, wenn ich mit dir spreche, zeigst du eins der grundlegendsten Zeichen über alle Kulturgrenzen hinaus. Du nickst mit dem Kopf. Das ist immer Zeichen eines Ja, das dieses Signal durch den ganzen Körper schickt. Und es hat nichts mit der Aussage zu tun, sondern mit der Musik, mit dem Wohlbefinden im gesamten Szenario. Du würdest als Frauenrechtler auch zu »Bitches ain’t Shit but Hoes and Tricks« headbangen, wenn du dich im Beat wohl fühlst. Es geht nur mehr um den Drum-Schlag und den Wortklang, zwei perkussive Aussageformen. Und die Leute, die diese Aussageformen heute am erfolgreichsten verwenden, sind leer an Ideen, sind sich überhaupt nicht im Klaren was für eine Macht sie in den Händen haben.
Der zukünftige Präsident der Vereinigten Staaten in vielleicht 40 Jahren, liegt vielleicht grad daheim und snifft sich zu Eminem weg. Was cool ist, versteh mich nicht falsch. Eminem ist sehr talentiert. Und er formuliert eine sehr echte Angst. Dass das Land Scheiße ist. Dass alles Scheiße ist. Dass es nichts zu tun gibt.
Im Kino zeigen »American Beauty« oder »Magnolia« diesselben jugendlichen Ängste nur in Form älterer Männer, die ihre Väter, ihr Land, ihre Konventionen genauso ausweglos hassen. An deren Erfolg sehe ich, dass die USA noch in der Pubertät sind, mit den Problemen eines 18/19-Jährigen hadern. Die Angst ist in ihrer Äußerung sehr wichtig. Sie darf nur nicht alles sein. Es braucht Balance. Ich sehe mich da nicht als Opposition, eher als Teil des HipHop, der erwachsen wird. We’re in a process of Growth.

Revolution, multichanneled’n’televised

Gil Scott-Heron steht als handy Ahnherr des angry young Talkisten natürlich überstark im Raum. Doch 6’n’7-O sind gegangen. Revolutionen sind im 21. Jahrhundert nicht vorgesehen. Alles dreht sich am dafür vorgesehenen Platz. Die kulturelle Übersicht zu bewahren ist anspannend genug. Aussicht auf mehr als den Status Quo kann nur mehr das Herausfallen, Ausfallen, Kapitulieren, das kapitalfrei genießerische Versagen von erwartbaren Kunstnormen sein. Scott-Heron, Grundstein des dichtenden Ghettorevoluzzers, hatte nie etwas anderes als das melodizierte Wort gewollt, und erst ein parentaler Freund wie die Jazzgröße Bob Thiele klopfte ihn in ein zartroh jazzperkussives, musikalisch verkaufbares Musikgewand.
Williams hat mit ihm nur das Handwerk der Poesie als Ursprung gemein. Und das Wiederentdecken der Menschlichkeit als einzig denkbaren Fortschritt. Wo Heron aber mit der Revolution, die nicht televised wird, trotzt, inszeniert sich Williams als ikonischer Zentralmensch, der sich im vielfachen Gewand, im Multichanneltum, in Myriaden an Styles auszweigt. Die Revolution findet in ihm selbst statt, darf alles, kann alles, zeigt wie’s geht.

Als Poet hat er zwei Bücher geschrieben, ist in sechs Anthologien enthalten, tourte die Staaten, Europa, Südamerika, schreibt regelmäßig in Zeitungen, Literatur- und Lifestyleblättern. CD-Lesungs-Compilations wie »Eargasm« oder »Our Souls Have Grown Deep Like The Rivers« featuren ihn inmitten bedeutendster schwarzer US-Literaturträger wie Langston Hughes, Gwendolyn Brooks, Amiri Baraka. Filmisch feierte er nicht nur mit »Slam!« des weißen Juden Mark Levin, der sonst in Dokus wie »Thug Life in DC« oder Filmen wie »Brooklyn Babylon« Black Gangstatum-Gemeinplätze peinsam durchexerziert, Charisma und Conscious-Auftreten.
Auch auf Festivals umjubelte Dokus zeigten seinen dichterischen Werdegang, Reggie Gaines‘ schöner »Underground Voices« über das Nuyorican Café selbst und Paul Devlins eher lahme »SlamNation« während eines Portland-Contests in Sachen Reim. Aber auch Hollywood umarmte ihn schon als kurzen Szenehüpfer in Carl Franklin’s Mama muss-sterben-Schmonzette »One True Thing« oder in Ian Softleys demnächst fertigem »K-Pax«, wo er »12 Monkeys«-Style Kevin Spacey, dem Alien im Irrenhaus, begegnen darf.

Musikalisch erschien er schon vor Def American als Aufwärmer für Acts wie die Roots oder Erykah Badu, durch Kollaborationen mit dem persönlichen Gottvater (»When I reach an Endpoint and I look back, I’ll never see a beginning cause he’s always been there«) KRS-One, Chuck D. oder Company Flows El-P, extra gefertigte Arbeiten wie die D’n`B-Hommage »Coded Language« für DJ Krust, die am eigenen Album noch mal variiert wird, oder die gnadenlos grandiose 12″ »Elohim (1972)« auf Ninja Tune’s Sidelabel Big Dada, die inszeniert wie instrumentierter Spoken Word (diesmal wirklich) sein kann und sollte. Williams jedenfalls ist gemachter Mann, im Sinne Frank Capras, nicht Ice Cubes. Er ist ein Meister der Reflektionen, der wichtigste Schlüssel zum 21. Jahrhundert, der einerseits den Straßenmenschen trotz Magister, anderseits den veganen Schamanen trotz blutend punkigem Erdbewusstsein geben kann. Glaubhaft ohne authentisch zu sein. Der Song »1987« allein zeigt die Schizophrenie der Herangehensweise, wieder Kurzfassung ei
nes kommenden Drehbuchs zu einem Film, der mit bestehenden Drehstandards nie realisiert werden kann: Einerseits Chronik des Jahres 1987, als HipHop die Partyhaut fallen liess, um mit Boogie Down Productions oder Jungle Brothers Bestandteil einer Jugendrevolution zu werden, andererseits das Jahr als die Bewohner von Atlantis, jener versunkenen Stadt, Jahrhunderte bevölkert von über Bord Gesprungenen der Sklavenschiffe aus Südafrika, zurückkehrten. Liquid Ghetto Science Fiction. Das mag mächtig verquast sein, ist aber befreiender Fortschritt gegenüber den Heerscharen der limpen Biz Kids, die erst recht nur ihren Bentley und Mercedes, ihr Silikon und Gen-Leder herbeiholterdipoltern. Freedom Rock, Sailin‘ On!!!

Schau dir unsere westliche Kultur an: Christliche patriarchale Kultur, die den matriarchalen wilden Ursprung überdeckt. Ostern, das einem was von der Rückkehr Christi erzählen will und einem dann Eier und Häschen vorsetzt. Du weißt schon, Fruchtbarkeitssymbole. Atlantis verkörpert da die Wahrheit, die aus dem Dunkel der Erde zurückkehrt. Das Erdige, Mütterliche, Unvermeidliche.
Deswegen singe ich auch: »Dear Godess – I made this Breakbeat just for you!«
Musik ist unsere letzte reine Verbindung zum Universum, deren Bestandteil wir eigentlich sind. Wir sind nur drei Teile Wasser wie der Rest der Erde auch, den der Wandel der Gezeiten, der Mondwechsel bestimmt. Wir spüren das genauso im Fließen unseres Blutes. Mit Musik hab ich die Möglichkeit, in diese Gezeiten einzugreifen, mit Wissen, Erfahrung, Sprache und Rhythmus.
Ich glaube dass es Zeit geworden ist für eine wissendere Form des HipHop. Die Leute sind hungrig nach Neuem. Sie haben es satt, zwölf Mal am Tag dieselbe Nummer im Radio zu hören und angewöhnt zu bekommen. Was ist im Rap die letzten Jahre Innovatives passiert außer ein toter Bigname mehr? Natürlich kann man das elitär missverstehen, wie du sagst, wenn ich Worte wie Meta in den Mund nehme. Aber ich sage Nigga öfter als Meta, und das ist mittlerweile ein Wort geworden, das Weiße zu Weißen in amerikanischen Großstädten sagen. Sprache befindet sich in einem wahnsinnigen, schnellen, ständig ihre Bedeutung pervertierenden Wandel. Das einzig Sichere dabei ist, dass die Leute es satt haben sich von den Marktstrukturen, von den Konzern- und Marketingstrategien für blöd verkaufen zu lassen. Ich begegne ständig den Menschen, die mir danken, weil ich sie ernstnehme, weil ich mit ihnen wie mit erwachsenen Menschen kommuniziere. Die fühlen sich von der Sprache ganz und gar nicht überfordert, weil es nichts mit Bildung, Klasse oder Farbe, sondern mit Suche und Offenheit zu tun hat. Andere hören mir vielleicht nur zu, weil ich schwarz bin oder meinetwegen hübsch anzuschauen. Aber sie hören zu. Und damit beginnen sich die Dinge zu ändern.

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Text
Paul Poet

Veröffentlichung
12.09.2001

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