»Da gehen wir in einer Drehpause der ??Malina??-Verfilmung durch ein Wäldchen, er zieht seinen Schwanz heraus und pinkelt mächtig vor sich hin, ohne ihn dabei zu halten oder den Strahl irgendwohin zu richten. Der geht ungebremst in den Boden«, erinnert sich Elfriede Jelinek in ihrem Vorwort zu Werner Schroeters Autobiografie, die nun, fast ein Jahr nach dem Krebstod des deutschen Film-, Opern- und Theaterregisseurs, erschienen ist. Unter den berühmtesten Protagonisten des Neuen Deutschen Films blieb der Kosmopolit dem Kinopublikum der wohl unbekannteste. Abgesehen von Cineasten, die eine Vorliebe für Exzentrik, alineare Erzählstrukturen und ästhetisch komplexe Filme haben, ist Werner Schroeter wohl kaum jemandem ein Begriff – zu Unrecht.
Zwischen Underground-Filmer und Post-Neorealist
Während seine Freunde Wim Wenders, Rainer Werner Fassbinder und Werner Herzog große Spielfilme drehten, montierte er budgetarme Kunstfilme. Mit »Regno di Napoli« (1977) versuchte er den Sprung ins große Kino, in linearer Erzählform, aber mit Hang zum Exaltierten, zum Pathos und zum Operesken. »Der Tod der Maria Malibran« (1971), »Palermo oder Wolfsburg« (1980, Goldener Bär), »Malina« (1990), »Diese Nacht – Nuit de chien« (2008) zählten zu seinen erfolgreichsten Filmen. Für Werner Herzog inszenierte Schroeter auch die Opernszenen in »Fitzcarraldo« (1982). Obwohl seine Bilder symbolisch aufgeladen waren, hielt er von psychologischen Spitzfindigkeiten und Interpretationen seiner Werke und seiner Person nicht viel. »Ich ließ mich nicht festlegen, weder auf den Undergroundfilmer, das Wunderkind Puppi Goldbär mit seinen schwülstigen ?ber-Melodramen, noch den Post-Neorealisten.« »Schlurpsgenies« und »Schauergurken« bewohnten seine Welt, schreibt die Koautorin und Filmjournalistin Claudia Lenssen, die sich sechs Monate lang immer wieder mit Schroeter in Berliner Cafés traf. In seiner Selbstdarstellung ist Schroeter selbstbewusst und leidenschaftlich, aber nicht selbstgerecht und sentimental. »Gut, man war dreißig Jahre alt, die Eier juckten, das Herz schlug schnell. Man hatte diese Sucht, diese Sehnsucht nach dem Körper des Anderen, wie man sie auf dem Höhepunkt der männlichen erotischen Potenz besitzt.«
Romantischer Außenseiter
Homosexualität war für ihn nicht nur eine sexuelle Neigung, sondern eine Lebenseinstellung. Künstlerisches Schaffen war für ihn immer auch Ausdruck eines »tragischen Weltempfindens«, wie er es poetisch beschreibt. Ein Gefühl, das eine recht romantische Vorstellung eines Außenseitertums vermittelt, das ihm ein wichtiges Motiv war. Früh, sagt Schroeter, trieb ihn eine sonderbare Todessehnsucht an. Offen spricht der Regisseur auch über sexuelle Abenteuer, Drogenexzesse, aber vor allem auch über den Verlust von Menschen, die ihm nahestanden. Fragmentarisch und auch zum größten Teil chronologisch, erzählt er von Begegnungen mit namhaften Zeitgenossen. Es mangelt nicht an kuriosen Anekdoten, angefangen bei der Begegnung mit Maria Callas, über Josephine Bakers Schamhaar-Toupet, Marlene Dietrichs Sturz in einen Orchestergraben, bis hin zu Episoden mit Mitgliedern der Charles-Manson-Gruppe. Primär geht es um das Innenleben eines vom Leben und von der Liebe Besessenen. Ein Außenseiter, der sich wohl fühlt in seiner Isolation: kompromisslos und provokant, liebestoll und von der Kunst bestimmt, aber auch hochgradig egozentrisch. Ein bisschen weniger Tratsch und ein bisschen mehr Punk wären der Autobiografie möglicherweise dienlich gewesen, aber Schroeters Leben liest sich sympathisch. Ja, zuweilen erscheint einem beim Lesen das eigene recht blass und undramatisch.
Werner Schroeter mit Claudia Lenssen: »Tage im Dämmer – Nächte im Rausch. Autobiographie«, Berlin: Aufbau Verlag 2011, 408 Seiten, EUR 22,95