Friederike Mayröckers jüngste Publikation täuscht nur auf den ersten Blick durch ihre geringe Seitenanzahl – dies ist ein Text von Gewicht. Das Hörspiel zum Nachlesen entpuppt sich bei der Lektüre (und der sich fast schon zwangsläufig einstellenden Relektüre) als Trauerbuch, eines von mehreren. Neben Ernst Jandl, dem verstorbenen Lebensgefährten der Autorin, sind es nach Friedrich Hölderlin nun die Eheleute Clara und Robert Schumann, die als verschriftlichte Echos im Rahmen einer literarischen Geisterbeschwörung poetisch reanimiert, die schlicht greifbar werden. Gemeinsam mit Verbündeten und/oder Zeitgenossen wie Ludovico Ariosto, Dante Alighieri, Samuel Beckett, Jacques Derrida oder Ferdinand Schmatz bevölkern sie den diffus in der Wiener Gegenwart angesiedelten Text, der weder seine poetologische Prozesshaftigkeit noch seine Bezüge zum in letzter Konsequenz heilsamen Thema der Musik unterschlägt. ?beraus deutlich wird die Trauerarbeit der Berichtenden im Kontext mit den Künsten, allen voran eben die Tonkunst, gestellt. Gerahmt von zwei lyrischen, titelspendenden Passagen wird der echte Schmerz des Liebesverlustes ebenso berührend wie durchdacht in dem von Sprüngen und schnellen Wechseln durchzogenen Wortstrom verhandelt: Gemeinsam spaziert man über den Naschmarkt, macht eine Pause im »Drechsler« oder sitzt am erotisch aufgeladenen »Soffa« des Komponisten.
Die zahlreichen Hinweise auf das wohl als unglücklich zu bezeichnende Leben Schumanns, hin bis zum einsamen, bitteren Ende in der Heilanstalt Endenich, geben dem Prosastrom seine melancholische Grundstimmung. Die Situation der Einsamkeit, des Fremdwerdens und ein ungeschönter Blick auf Altern und körperlichen Verfall werden deutlich, ohne in billige Wehmut abzustürzen. Zusätzlich geprägt durch Wiederholungsschleifen scheiternder Handlungen, das Integrieren des fotografischen Diskurses und Momente des die klassischen Naturgesetze überwindenden Schwebens wirkt Mayröckers dichter ??Schumannwahnsinn?? aber vor allem als vitaler Impuls des Literarischen, der auf die Üffnung neuer Räume und Optionen abzielt. Schreiben wird erneut als stiftender Prozess begreifbar; Leben und Lieben wiederum können als unverzichtbare Teile einer Ansteckungsgeschichte der gefährlichen, doch klar wünschenswerten Art gelesen werden. Friederike Mayröcker schließt mit diesem Band auch an länger zurückliegende Arbeiten – etwa »brütt oder Die seufzenden Gärten« – an, und hebt erneut die konventionellen Bedingungen der Literatur spielerisch und scheinbar mühelos aus den sprichwörtlichen Angeln.
Friederike Mayröcker: »vom Umhalsen der Sperlingswand, oder 1 Schumannwahnsinn«, Berlin: Suhrkamp Verlag 2011, 42 Seiten, EUR 15,40