Spätestens seit »Tomboy« wissen wir, dass Thomas Meinecke ein Dichter des Hybriden, ein Meister des popliterarischen Versatzstückes ist. Auch sein neuester Roman »Lookalikes« bedient sich eindrucksvoll unzähliger Quellen, scheinbarer Prä- und Intertexte. Kulisse dieser irrwitzigen Collage aus Film- und Literaturtheorie, Medien-, Musik-, Film- und Sozial- oder auch Kulturwissenschaften, Anthropologie und Genderstudies (um in etwa 67 weitere Bezugsfelder zu unterschlagen) sind dieses mal zwei Handlungsstränge. Einer davon spielt sich auf der hippen Düsseldorfer Königsallee ab, wo die Lookalikes täglich flanieren – so trifft Josephine Baker mal eben bei Starbucks auf Serge Gainsbourg, Greta Garbo und Shakira besuchen einen »Freiwilligen Lacan-Lesekreis« und Britney Spears (eigentlich Günter) betreibt eine Akademie für Nachwuchssternchen. Vernetzt sind die Doppelgänger durch Social Media, die sie nutzen, um ihre wechselnden Beziehungen zueinander, sowie ihre Interessen und Fetische zu pflegen. Auf der anderen Seite der Welt – in Salvador da Bahia – macht sich der Autor auf, die afro-brasilianische Religion des Candomblé zu erkunden, nur um sich unversehen als Protagonist in seinem eigenen Roman wiederzufinden und fortan als »Popliterat Thomas Meinecke« rituellen Versammlungen und Opferungen beizuwohnen – immer auf der Spur des Ethnopoeten Hubert Fichte.
All das hat mit der klassischen Form des Romans nur noch wenig zu tun. Meinecke bedient sich scheinbar mühelos eines Setzkastens an Theorien und Autoren – von Sigmund Freud bis Judith Butler, von Roland Barthes bis Friedrich Schlegel und legt dabei wie schon zuletzt besonderen Wert auf uneindeutig-alternierende Geschlechterrollen und das transitorische Element der Gegenwart, für das vor allem die religiösen Versammlungen in Bahia, in denen die Teilnehmer in Trance fallen und von Göttern besessen werden, das eindrucksvollste Beispiel bieten. Die Literaturwissenschafterin Florence Feiereisen hat sich mit Meineckes »Klangliteratur« der »erzählten Theorie« als »Materialsammlungsprozess« und »Assoziationsnetz«, die sich vor allem in ihren »utopischen Lücken« offenbart, ausführlich beschäftigt. Nur manchmal scheint dem Autor seine Quellenbibliothek zu entgleiten und droht die Leser zu erschlagen – dann fällt es schwer, der Aneinanderreihung von Zitiertem zu folgen. ?ber einige Seiten mutet die Auswahl der einzelnen Schnipsel willkürlich an. Trotzdem rettet Meinecke vor allem in den südamerikanischen Passagen sich selbst als Protagonisten und die Leser wieder in ein spannendes Spurensuchen und anspruchsvolles intertextuelles Verknüpfstück.
Thomas Meinecke: »Lookalikes«, Berlin: Suhrkamp 2011, 393 Seiten, EUR 23,60