Nach »Mustererkennung« und »Quellcode« bildet nun »Systemneustart« (englischer Originaltitel: »Zero History«) den Abschluss einer Trilogie (»Bigend-Trilogy«), deren Romane seidenschnurartig verbunden sind und aus der Feder von William Gibson stammen. Darin beauftragt der Medienmogul Hubertus Bigend die ehemals berühmte Sängerin Hollis Henry und den Ex-Junkie Milgrim mit der Suche nach einem Modedesigner, dessen außergewöhnliche Kreationen unter dem Undergroundlabel »Gabriel Hounds« laufen. Dessen extraordinäre Schnitte und die hochqualitativen Materialen locken nicht nur eingeweihte Fashion-Victims, die zu den Geheimverkäufen durch die ganze Welt tingeln, um eine echte »Gabirel Hounds«-Jeans zu ergattern, sondern auch Hubertus Bigend, der ein tapferes Schneiderlein benötigt, um sich einen Auftrag des Militärs für Uniformen zu sichern. Das Aufspüren des doch nicht so unbekannten Modedesigners entpuppt sich als gefährlich und als ein undurchsichtiges Konstrukt: Konkurrierende Designer, Armeeangehörige und weitere Dunkelmänner, die selbst vor Entführungen nicht zurückschrecken, kreuzen den Weg von Hollis und Milgrim – und im Hintergrund laufen die ominösen Machenschaften Bigends, der mit seinen Beauftragten wie mit Bauern und Läufern einer spannenden Schachpartie spielt.
»Systemneustart« besticht nicht gerade auf der Inhaltsebene, sondern vielmehr durch die bemerkenswerte Erzählart Gibsons, die dem Roman die Exklusivität einer »Gabriel Hounds«-Hose, die gerade auf der Schneiderpuppe vollendet wurde, verleiht. Gibson schreibt nicht etwa wie in früheren Werken über die Zukunft, vielmehr analysiert er gekonnt und detailverliebt die Gegenwart. Dabei gewährt er den Lesern aber keine transparenten und flanierenden Bilder des Jetzt: Oft sind es nur Blicke durch nadelöhrkleine Schlüssellöcher, mal lässt er einen größeren Fokus in einem Raum zu, den dann allerdings mit doppeltem Boden. Diese Verschachtelungen und das verwirrende Inhaltsgeflecht schließt uns Leser mit den Hauptcharakteren gleich, die auch nur erahnen können. Ein weiterer Spiegel, der dem Leser vorgesetzt wird, ist die Verwendung von modernen Informationstechnologien, die die Grenzen von Raum und Zeit aufzuheben scheinen. Hier passiert Gibson ein Kunstfehler, der dem Begründer des Begriffs ??Cyberspace?? nicht passieren sollte und zur Folge hat, dass man sich als Leser veräppelt fühlt: iPhone und MacBook finden gar zu häufig Erwähnung. »Systemneustart« ist ein lesenswerter Roman, der uns den Wahn von Marken und Waren sowie die Profitgier des Kapitalismus vor Augen hält.
William Gibson: »Systemneustart«. Aus dem Englischen von Hannes Riffel, Stuttgart: Tropen bei Klett Cotta 2011, 490 Seiten, EUR 25,70