Das Konzert zeigt einen etwas unterkühlten »Fire Room«, mit düsterem, norwegischem Einfluss sozusagen, und mit dem Lichtträger Luzifer, dem Ankläger Satan und wie hieß der dritte gefallene Engel noch mal? Beelzebub, der Herr der Fliegen. Das passt.
Zornesfalten auf der Stirn, harte Bass Drum, der Schlagzeuger agiert urschnell, reagiert auf die Noises des »Elektro-Meisters«. Wirft Töne hin, lässt Pausen. Das sind die besten Stellen des Konzerts im Wiener Chelsea, in denen der Elektromeister Lasse Marhaug mit seinen geschüttelten Holzsieben und der Schlagzeuger Paal Nilssen-Love interagieren. Sich gegenseitig kleine Plätze offen lassen, für Töne, Geräusche, Noten. Punktgenau ineinander spielen. Der tapfere Saxophonist zieht sich die Jacke aus. Schrille Saxtöne, Schnauzer, ein Amerikaner mit Sax-Spleen, Spleen-Sax, kreisch. Der Texte schreibt auf seinem Blog. Dessen Vorfahren im 17. Jahrhundert aus Holland kamen. »One was from Belgium«, sagt Ken Vandermark später. Mit dem Schiff. Paal Nilssen-Love hämmert inzwischen einzelne Schläge von weit oben herunter auf seine Snare, wie ein Kleinkind, das mit dem Löffel auf den Tisch haut. Das erste Schlagzeug der Welt: Neandertaler-Kind haut mit Stein auf Stein. Bär statt Beeren!
Die Bass Drum läuft davon
Bass Drum! Relaxtes Sax dazu. Ken Vandermark bläst quer durch den ganzen Fire Room, konstante Feuer-Zuckungen und Licht-Blitze, er hört nicht auf. Fast ohne Anstrengung bläst Lichträger Luzifer Vandermark eine gewaltige Menge Luft ins Feuer. Schlagzeug und Elektronik führen inzwischen kleine Kämpfchen aus. Man weiß immer erst im Nachhinein, eine Ohren-Gehirn-Sekunde später, was Schlagzeug, was Elektronik ist. Das ist Fortschritt! Es geht dahin. Den Elektro-Charakter aka Ankläger Satan erschüttern Stromschläge, er nutzt Pausen aus, fährt mit Gewitter dazwischen. Mister Love krümmt seine linke Hand, in einer Haltung zwischen der Jazz-Variante, Stecken schräg, und der Rockhaltung, gerader Stecken erstarrt. Das kommt von der umgehängten Trommel in der »March Music«, die man noch heraus hört. Elektro und Schlagzeug passen sich hinein in die Sax-Melodie-Passagen. Blaues Licht hinten im Gewölbe, vorne orange. Die Schallplatte rennt total verbogen vor sich hin, das schaut toll aus. Mister Love haut sein Schlagzeug und schreit leise dabei. Die Hi Hat läuft exakt mit, genau und unauffällig. Ich denke an Kraftwerk, an den deutschen Typen, der seine Roboter und Schlagzeugcomputer selber baute, genaustens austüftelte, der lebendige Schlagzeuger ersetzen wollte. Mister Love ist selber ein kleines Kraftwerk, aus Fleisch und Blut. Der Elektro-Charakter ist sicher Linkshänder. Inzwischen geht die Klarinette kaputt, inwendig aufgefressen von den Tönen, Rost quillt heraus, auf Ken Vandermarks rostrotes T-Shirt. Der Schlagzeuger bindet sich seine Schnürsenkel. Er schraubt die Aufhängung der Bass Maschine wieder fest.
Hi Hat als Ellipsen-Schaukel
Gutes Elektro-Krachen gegen Schlagzeug? Der Schlagzeuger denkt nach. Versucht einen Einstieg mit der Hi Hat, der andere fährt dazwischen mit der Kiste. Gerade trockener Stil, immer schneller, Triolen auf dem Becken. Gleich wieder abgedreht den Sound, Mister Love geht nicht den leichten Weg. Endlich spielt’s mal mit ihm. Jetzt rutscht er herum auf dem anderen Pedal, mit dem Erfolg, dass die Hi Hat wie eine Ellipse seltsame Schaukelbewegungen macht. Whow, das ergibt einen gequetschten Blech-Sound. Rock hart rechts, links Triolen? Die Hi Hat schaukelt wild, weit kommt sie nicht. Der kann sich nicht entscheiden, diagnostiziere ich, Rock will er nicht, aber Jazz auch nicht. Wie ist das eigentlich mit »improvisierter Musik«? Welche Wurzeln hat sie, auf was baut sie auf? »Er trifft keine Entscheidung«, sage ich später zum Saxophonisten, der in den USA manchmal mit stärker jazzigen Schlagzeugern spielt. »He takes a lot of decisions«, antwortet er. Stimmt auch wieder. Paal Nilssen-Love entscheidet sich täglich neu und auf der Bühne live, in welche Richtungen er gehen will. So sieht Vandermark das.
»Jawohl!«, schreit ein Zuhörer. Der Elektroniker schmeißt mit Keksdosen und rührt die Töne an. Ist Mister Love doch heimlich ein Rocker? Jetzt entspannt er sich erstmalig. Reduktion als Lösung. Wo steht, dass ein Schlagzeuger ständig durchspielen, sich verausgaben sollte? »Funk ins Unkenntliche zerlegt«, nennt später Schlagzeuger Didi Kern das was Paal Nilssen-Love macht. Und: »Beim Zeugeln macht er so viele polyrhythmische Sachen, die mir schon ein bissl suspekt sind.« Noch später nimmt Kern mir eine wirklich tolle Kasette mit seinen fünf Lieblings-Paal-Nilssen-Love-Aufnahmen auf, die auf meinem Uralt-Kasettinger (ITT Touring 120) enorm nach Live-Konzert klingen. Dröhn. Schlagzeug ohne Ende, der haut gewaltig rein. Marschmäßige Snare. Teuflische Becken.
Schlagzeugriffs im Fire Room
Im skug #94-Interview mit Curt Cuisine redete Beelzebub Nilssen-Love von Rock, von Schlagzeugriffs statt Gitarrenriffs? Yes! Vielleicht könnte er auch einmal alte Verbindungen erforschen, versuchsweise ein paar alte Sklavenlieder trommeln? Worin besteht denn sein persönlicher »Fire Room« , durch dessen Flammen er hindurch muss? Auf Dauer und auf Jahre gesehen, wird Mister Love sich nämlich nicht anpassen können, an so viele MusikerInnen und Gruppierungen, in 150 Konzerten im Jahr, jeden zweiten Abend eine neue Partie. Auch »Beelzebub« wird einmal älter werden, Einschränkungen machen müssen. Und Jazz stammt doch aus der Ûberwindung von Schmerz, oder auch dem Beharren auf der Wunde, dem Offenhalten der Wundränder. Siehe »Strange Fruit« von Billie Holiday. Ein hartes Beispiel, okay, aber es geht bei Jazz oder auch bei improvisierter Musik doch um Inhalte. Fire Room!
Norwegen, in dem Nilssen-Love aufwuchs, hat etwas Düsteres, mit seinen weiten, arktischen Flächen Richtung Nordpol, in denen vorzugsweise Flüchtlinge angesiedelt werden, afrikanische Kids, die ein halbes Jahr nicht die Sonne sehen. Eine Freundin, die norwegische Rockerin Anne Britt Rage, hat vier äthiopische Flüchtlings-Kids adoptiert und ein eigenes Gasthaus in Oslo. Schlagzeugriffs? Es gibt sehr wohl »eigene Musik« *, Leute!
Musik beim Schreiben: Don Cherry, »Brown Rice« , Drums: Billy Higgins
*»Paal Nilssen-Love: Es gibt keine »eigene« Musik«, skug#94- Interview