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Biennale Venedig 2015

Die Biennale Venezia 2015 wurde Anfang Mai unter dem Motto »All the World’s Futures« eröffnet. Sie findet in den Gärten, den Giardini, und deren Länderpavillons, in einer Messehalle auf dem Gelände der Arsenale sowie in den Palästen Venedigs statt. Der künstlerische Leiter Okwui Enwezor lud zur 56. Edition über 140 Künstler aus aller Welt ein und schuf eine anregende, kurzweilige und durchwegs politische Schau im Arsenale. Ein Rundgang.

Carsten Höller & Måns Månsson: »Fara Fara«
Videoinstallation, 2014
Als Installationskünstler kreiert Höller Situationen, die die visuelle Wahrnehmung des Zusehers destabilisieren. Gemeinsam mit dem schwedischen Filmemacher Måns Månsson hat Höller für die Biennale u. a. eine 2-Kanal- Videoinstallation geschaffen. Jeder Kanal der Videoinstallation »Fara Fara« ist einem von zwei rivalisierenden Musikern der vibrierenden Musikszene Kinshasas gewidmet. Diese Präsentation dokumentiert eine lange Tradition in der kongolesischen Musik, in der zwei konkurrierende Musiker mit ihren Musikgruppen versuchen, ihr Publikum – manchmal bis zu 150.000 Personen – zu animieren und beeindrucken. »Fara Fara« zeigt die Schönheit der kongolesischen Musik und legt auch aufschlussreiche Betrachtungen zur Geschichte und zum politischen Einfluss dieser spezifischen Subkultur frei.
Carsten Höller wurde 1961 in Brüssel geboren und lebt und arbeitet in Stockholm, Schweden und Biriwa, Ghana. Der 1982 in Stockholm geborene Måns Månsson ist Fotograf und Videoregisseur. 

Adel Abdessemed: »Also Sprach Allah«
Beschrifteter Teppich/Videoinstallation, 2008
Am Boden steht ein Fernseher, in dem das Video von Adel Abdessemed zu sehen ist: mehrere Männer werfen unentwegt einen anderen Mann in einem Teppich liegend wie im Siegestaumel in die Höhe. Dieser Mann versucht mit einem schwarzen Stift oder Stein in der Hand einen Teppich, der an der Decke hängt, zu beschriften. Er hat für die einzelnen Striche nicht viel Zeit, da ihn die Schwerkraft wieder in die Arme der Männer drückt, die ihn im nächsten Moment wieder mit dem Teppich nach oben katapultieren. Er macht den nächsten Strich. Sie wiederholen den Vorgang, bis er den Satz »Also Sprach Allah« auf dem Teppich fertiggestellt hat. Der beschriftete Teppich wurde neben dem Fernseher an die Wand gehängt. In seinen Arbeiten untersucht Abdessemed die Konzepte von Exil und Exodus und die Beziehung zwischen Materialisation und Konflikt im Spannungsfeld zwischen Politik, Geschichte und Religion. Seine Reisen zwischen Berlin, New York und London haben diesen kulturellen Nomaden beeinflusst.
Adel Abdessemed wurde 1971 in Algerien geboren, er lebt und arbeitet in London.

Ibrahim Mahama: »Out of Bounds«
ortsbezogene Installation mit Jutesäcken, 2014/15
Inmitten des Arsenale tritt der Besucher plötzlich aus den Messehallen. Im Freien hat Ibrahim Mahama eine riesige Arbeit geschaffen, indem er die Außenwände der Messehallen mit hunderten Jutesäcken abgehängt hat. Wenn man die Jutesäcke genauer betrachtet, erkennt man aufgrund ihrer Beschriftung ihre ursprüngliche Bedeutung. Es handelt sich um Säcke aus Ghana, in denen Kakao in großen Mengen aufbewahrt und transportiert wurden. Der Künstler beschäftigt sich mit Handel, Arbeit und Export, also was Ghana mit dem Rest der Welt verbindet. Inmitten der Ausstellungsinfrastruktur wird seine Arbeit zum lebenden Organismus.
Ibrahim Mahama wurde 1986 in Tamale, Ghana geboren. Er lebt und arbeitet in der ghanaischen Hauptstadt Accra.

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Ibrahim Mahama: »Out of Bounds« / Biennale


Joanna Hadjithomas & Khalil Joreige: »Latent Images, Diary of a Photographer«

354 Bücher auf einem Regal, 2009-15
Die Arbeit von Joanna Hadjithomas & Khalil Joreige besteht aus drei Teilen: einerseits sind 354 Tagebücher an einer riesigen Wand angebracht. Unter jedem der dicken Tagebücher mit weißem, umbeschriftetem Einband ist ein Datum handschriftlich hinzugefügt worden, für jedes Buch ein bestimmtes Datum im Zeitraum zwischen 2009 und 2015. Die Tagebücher erzählen die Geschichten eines Fotografen, der mit seinen Bildern das Geschehen im Libanon dokumentierte. Im zweiten Teil erschließt sich ihre Methode: auf jeder Seite ist nicht das Bild dargestellt, sondern das Abgebildete in kurzen Sätzen beschrieben. Um weiterlesen zu können, ist es jedoch notwendig, mit einem Brief- öffner zwei zusammenhängende Seiten zu trennen. Jeder Besucher ist eingeladen, dies zu tun, damit das Tagebuch weitergelesen werden kann. Die Künstler haben für die Biennale als dritten Teil der Arbeit ein Live-Event geschaffen, bei dem Donnerstags bis Sonntags Lesungen stattfinden. Die Künstler möchten die Rolle von Bildern in Beziehung zu Gedächtnis und Geschichte ihres kriegs- geschüttelten Landes in Frage stellen.
Joanna Hadjithomas & Khalil Joreige wurden 1969 in Beirut, Libanon geboren und leben dort.

Mika Rottenberg: »NoNoseKnows«
Videoinstallation, 2015
Nähert man sich der Videoarbeit von Mika Rottenburg, so muss man zuerst an einem Pult vorbei, auf dem Perlenketten sowie Plastiksäcke voll mit Perlen präsentiert werden. Aus dem Video erschließt sich auch warum: es zeigt die Gewinnung von Perlen. Eine asiatische Frau öffnet mit einem großen Messer unentwegt Muscheln, holt die Perlen aus den jeweiligen Hälften heraus und säubert anschließend die Perlen. Daraufhin sieht man andere Frauen, wie sie fingerfertig und flink am Fließband perfekt runde, glänzende Perlen von den ovalförmigen, zweitklassigen Perlen trennen. Im nächsten Augenblick schwenkt Rottenberg ins Surreale: Eine Frau mit einer übergroßen Pinocchio- nase sitzt vor einem Blumenstrauß und muss ständig niesen. Sie niest jedes Mal auf einen Teller mit Essen, legt den Teller auf andere volle Teller, niest wiederum auf den nächsten Teller und stapelt diesen auf den vorherigen Teller usw. Rottenberg beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit dem weiblichen Körper und dessen Beziehung zu Systemen der Produktion. Sie setzte sich u. a. mit den Schriften von Karl Marx auseinander, die ihre Arbeiten beeinflussten.
Mika Rottenburg wurde 1976 in Buenos Aires geboren und lebt und arbeitet in New York City.

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Mika Rottenberg: »NoNoseKnows« / Biennale

 

Die Künstler der Länderpavillons in den Giardini werden hingegen von unterschiedlichen Kuratoren ausgewählt:

Japan: Chiharu Shiota: »The Key in the Hand«
So entschloss sich z. B. der Kurator Hitoshi Nakano für die in Berlin lebende japanische Künstlerin Chiharu Shiota, die ihre neue poetische Arbeit »The Key in the Hand« präsentiert. Im Eingangsbereich sprechen kleine Kinder in einem Video über ihre Erinnerungen an den Moment bevor und unmittelbar nachdem sie geboren wurden, sowie über ein Foto von einem Kind, das einen Schlüssel in ihren Händen hält. Im ersten Stock des Pavillons befinden sich zwei alte Holzboote. Diese sind mit einem dichten dreidimensionalen Netz aus roten Fäden verbunden. In das Netz sind tausende teils verrostete Schlüssel eingeknüpft, welche über den Köpfen der Besucher hängen. Die Arbeit beschäftigt sich mit den Erinnerungen der Menschen über die Zeit hinweg und möchte laut Shiota Hoffnung und Möglichkeiten aufzeigen.

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 Chiharu Shiota: »The Key in the Hand« / Biennale


Norwegen:
Camille Norment: »Rapture«
Wer den Norwegischen Pavillon betritt, muss zuerst an überdimensionalen Fensterrahmen mit gesprungenem Glas vorbei. In den Fensterrahmen sind Transmitter eingebaut, die die verbliebenen Glassplitter im Rahmen zum Schwingen bringt. Dadurch werden Obertöne erzeugt. Nähert sich der Besucher dem hinteren Ende des Raumes, so sind dort von der Decke hängende Boxen installiert die wie Kanonen aussehen. Jede einzelne Box zielt in eine unterschiedliche Richtung des Pavillons, aus den Boxen ertönt ein weiterer Teil der skulpturalen, ortsbezogenen sonischen Installation von Camille Norment. Die Sounds der Fensterrahmen scheinen mit jenen der Lautsprecher zu interagieren. Die in Oslo lebende US-Künstlerin komponierte Neue Musik auf der Glasharmonika, einem ›legendären‹ Instrument aus dem 18. Jahrhundert, das ätherische Musik aus Glas und Wasser kreiert. Es diente ursprünglich zu Heilungszwecken, später wurde es wieder verbannt, da man vermutete, dass ihre Musik eine Art (sexuelle) Ekstase bewirkt.

Armenien: Arminity mit Arbeiten von Künstler_innen mit armenischen Wurzeln
Der armenische Biennale-Beitrag wurde von der Jury mit dem Goldenen Löwen zur besten Arbeit 2015 gekürt. Dies mag auch aus politischen Gründen passiert sein, heuer jährte sich zum hundertsten Mal der Genozid der Türken an den Armeniern. Da Armenien keinen Pavillon in den Giardini bespielt, wird der armenische Beitrag im Mechitaristenkloster außerhalb Venedigs auf der Insel San Lazzaro gezeigt. Das Kloster an sich ist schon ein Juwel, das armenische Kunst der letzten Jahrhunderte beherbergt. Armenien hat seinen Pavillon den Künstler_innen der armenischen Diaspora gewidmet. Das kuratorische Konzept impliziert die Idee von Vertreibung und Territorium, Gerechtigkeit und Aussöhnung. Ein nachmittäglicher Ausflug mit einem Vaporetto bringt eine willkommene Abwechslung zu den überlaufenen Touristenpfaden der Lagunenstadt.

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Armenischer Pavillon / Biennale


Deutschland: Fabrik mit Arbeiten von Olaf Nicolai, Hito Steyerl, Tobias Zielony, Jasmina Metwaly und Philip Rizk

Der Deutsche Pavillon ist diesmal ein Resonanzraum, in dem der Produktionstakt einer globalisierten Welt zu vernehmen ist. Ausgehend von ihren unterschiedlichen Reflexion der Begriffe Arbeit, Migration und Revolte, verwandeln die vier künstlerischen Positionen das Gebäude in eine imaginäre Fabrik, in eine Fabrik der politischen Erzählungen und der Analyse unserer Bildkultur. Die Akteure, die die Arbeiten von Olaf Nicolai, Hito Steyerl, Tobias Zielony und des Künstlerpaars Jasmina Metwaly/Philip Rizk bevölkern, sind Figuren des Aufbegehrens und der Revolte. Der vertikale Pavillon wird auf eine Art und Weise interpretiert, die es erlaubt, diese Bilder mit ihrem Geist des Widerstandes auf verschiedenen Ebenen zu zeigen: eine Black-Box im Keller, ein lichtdurchflutetes erstes Oberge- schoss und eine Bühne auf dem Dach, wo Freiheit neu gedacht wird.

Belgien: Vincent Meessen: »Personnes et les autres« 
Die Ausstellung nimmt als Ausgangspunkt die Geschichte des Belgischen Pavillons und den Kontext der Biennale, beide abgeleitet von kolonialen Ausstellungen und Weltausstellungen. Meessen entwickelte eine thematische Ausstellung, die internationale Gastkünstler präsentiert. Das Projekt zeigt Beiträge von nationaler Repräsentation. Es hinterfragt die eurozentristische Idee der Moderne, indem es ein gemeinsames Erbe von Europa und Afrika aus der Zeit der kolonialen Moderne und ihre Nachwirkungen untersucht. Die Ausstellung gibt Einblick in diverse künstlerische, kulturelle oder intellektuelle Formen und Geschichten, die durch koloniale Begegnungen produziert wurden.

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Vincent Meessen: »Personnes et les autres« / Biennale

Die Biennale läuft noch bis 22. November, für einen ausführlichen Besuch sollte man zwei bis drei Tage einplanen.

Klaus Moser ist musikalischer Konsulent und Leiter der Abteilung Kommunikation/Marketing des Donaufestivals.

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