Es wäre eine Rebellion, oder fast eine kleine Revolution – oder sogar eine Art Evolution, weil es so lange dauern würde? –, wenn möglichst viele Menschen allen überbordenden Leuten in ihrem Umkreis die Gefolgschaft verweigern. »Borders« nenne ich diese professionellen Grenzverletzer in Anlehnung an den klinischen Begriff »Borderliner«. »Überschießend« sagen die Deutschen zu diesem Typus Mensch und ist es nicht eine Art »Schießen«, wenn man immer wieder, bewusst oder unbewusst, die eigenen Grenzen und die Grenzen von Nahestehenden verletzt und überschreitet? Ein Ausloten, wie weit man gehen kann, eine lustvolle Macht-Austestung. Zu schauen, »was geht«, inwieweit die andere Person, das Gegenüber, zur Unterwerfung bereit ist, zum Ignorieren der eigenen Grenzen – angeblich »zum Wohle aller«, wie gerne argumentiert wird.
Jeder kann sich einen Chef vorstellen, der nach zehn Stunden Arbeitszeit sagt, »es wäre doch nett«, wenn man an einem lauen Sommerabend nicht pünktlich Schluss macht. Oder eine nahe Verwandte, die zwanzigmal am Tag anruft und glaubt, man wäre gestorben, wenn man nicht sofort abhebt. Oder einen obsessiven Eifersüchtler, der Schwachpunkte genau erkennt und ausnutzt, um Druck auf seine Freundin zu erzeugen. »Borders«, mit schleichender Überleitung zum klinischen »Borderline«-Verhalten, machen verrückte Pläne und setzen ihre außergewöhnlichen Projekte mit allen Mitteln durch – unter Vernichtung angeblicher Gegner und Kritikerinnen in Grund und Boden. Wer bei dem Tempo nicht mitkommt, wird ausgetauscht. Wer nicht tausendprozentig spurt – denn hundertprozentige Hingabe reicht echten »Bordern« nicht – wird entfernt und sofort komplett vergessen oder sogar völlig abgespalten. Ohne Gefühl von Verlust. Unsere Arbeitswelt ist leider voll mit solchen Leuten.
Schwachpunkte ausnutzen
In unserer Gesellschaft setzt sich dieser Typus Mensch durch. Denn beinahe niemand schafft es, »Borders« einzubremsen. Mit ihren extremen Obsessionen und ihrer genauen intuitiven Kenntnis der Schwachpunkte von Menschen, können sie jeden, der sich ihnen in den Weg stellt, vernichten. Andere, die nicht so obsessiv und aggressiv sein möchten, haben keine Chance. Nur ein »Border« kann einen anderen »Border« stoppen? Dabei wäre es die einzige Möglichkeit, wieder einen klaren Kopf zu bekommen, diese Verrücktmacher aus seinem Leben zu entfernen! Das interessante Buch »Schluss mit dem Eiertanz – für Angehörige von Menschen mit Borderline« von Paul T. Mason und Randi Kreger hat zum Thema, wie man Familienmitglieder und vor allem Kinder vor klinischen Borderlinern schützt. Schutz vor destruktiven Verhaltensweisen bietet, die manchmal gar nicht so gemeint sind, aber bis hin zu tödliche Folgen haben können – zum Beispiel bei Unfällen, die aus Risikoverhalten entstanden sind. Manchmal sind Borderliner dann entsetzt über die Folgen ihres Tuns, oder sterben selber bei Erpressungs-Selbstverletzungen, weil zum Beispiel jemand nicht pünktlich nach Hause kommt. Aber allzu oft erleben sie mangelnden Protest als Anreiz, in ihrem Verhalten und mit ihren Methoden fortzufahren.
Überbordende Politiker
Und warum wählen Menschen nun so gerne diesen Typus Politiker? Die Vermutung liegt nahe, dass sie ihnen ihre Stimme geben, weil sie als Kinder genau diesen Typus Mensch lieben mussten – er ist ihnen vertraut und sie sehen Obsession eventuell als emotionales Engagement. Wutanfälle als ehrliche Ausbrüche, die dann auch wieder vorbei sind. Trump oder auch Kickl sind sozusagen Familie und haben noch dazu den Vorteil, dass sie am liebsten über die Grenzen von »Fremden« gehen. Kickl, mit seiner grenzverletzenden Rede vom »Volkskörper«, in den die Flüchtlinge eine »klaffende Wunde« geschlagen hätten, triggert Überlebende von Gewalt und Enkel von Nazis ganz bewusst. Dazu passt auch, dass Kickl meint, dass man, »wenn man ja eh abhängig ist«, auch gleich wieder das billige Gas aus Russland importieren könnte.
Das erinnerte mich an einen Freund, der als Kind von seinem Fußballtrainer missbraucht wurde und schulterzuckend meinte: »Schlechter Sex ist besser als gar keiner.« Doch! Sexualisierte Gewalt ist schlimmer als gar kein Sex! Klarerweise ist es leichter, sich ständig von einer Verrücktmacherin oder einem Aufwiegler ablenken und blockieren zu lassen, als sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Denn letzteres wäre emotional bestimmt nicht so lustig, sondern würde Handlungsfähigkeit erfordern und ein Stehen zu den eigenen Grenzen!











