Schade, dass es ein Festival wie Positive Futures nicht in Wien gibt. Sehr wohl würde die Bundeshauptstadt einiges mehr vom Format des 2023 gestarteten Festivals vertragen. Lebensfrohe Global Sounds verschiedenerlei Schattierung stehen im Fokus, was doch einigermaßen neidvoll nach Innsbruck blicken lässt. Da der Autor dieser Zeilen leider zeitlich verhindert war, sei nun eine Nachlese kredenzt. Hauptkurator Martin Bleicher lässt in der skug-E-Mail-Konversation das PFF 2024 Revue passieren und reflektiert dahintersteckende Passionen und Kollaborationen, die schon jetzt das Festival 2025 schmackhaft machen.
skug: Nun gibt es gar zwei Festivals in Innsbruck, die weit über Österreich hinausstrahlen. Vom 10. bis 12. Oktober fand das Heart of Noise 2024 statt und das Positive Futures Festival erstreckte sich fast über den ganzen Oktober. Beim Heart of Noise haben wohl Finanzierungschwierigkeiten für die Verschiebung in den Herbst gesorgt? Und meines Erachtens steht mensch sich nicht im Weg, weil die Programmierung jeweils eine andere ist. Trotzdem: Kann solche eine »Doppelgleisigkeit« zufrieden stimmen?
Martin Bleicher: Ich glaube, dass Innsbruck sehr wohl zwei progressiv und zeitgenössisch programmierte Festivals verträgt. Ganz im Gegenteil finde ich sogar, dass es in der Stadt aufgrund der sehr umtriebigen und aktiven Subkulturszene durchaus Platz hat und ein interessiertes wie aufgeschlossenes Publikum da ist bzw. auch Menschen aus den umliegenden Ländern immer wieder ihren Weg nach Innsbruck finden. Programmatisch und inhaltlich unterscheiden sich die beiden Festivals doch sehr. Das Heart Of Noise ist im Kern ein Festival, das sehr im Spielfeld elektronischer Musik und ihrer verschiedensten Ausdrucksformen an mehr oder weniger einem Ort stattfindet. Das Positive Futures Festival hingegen spannt den musikalischen Bogen durchaus weiter und nimmt vor allem zeitgenössische Formen von Global Music als Kern des Festivals mit auf und baut darauf das Programm auf. Außerdem bereisen wir mit dem PFF bewusst mehrere Veranstaltungsorte in Innsbruck. 2024 waren das insgesamt sieben Orte. Wir wollen die dortigen Szenen und das dortige Publikum auch oftmals mit einem Programm überraschen, das so vermutlich nicht erwartet werden konnte.
Interessant finde ich, dass Positive Futures, das bereits am 26. September mit Giorgi Koberidze, Zinn und Gischt startete, sich über den ganzen Oktober erstreckte. Wie ist das möglich, gefragt auch, weil doch ein gewisser (hoher?) Subventionsbedarf besteht?
Die Kooperation mit dem openspace im September war eine quasi Last-Minute-Entscheidung, die aber jetzt im Nachhinein betrachtet sehr gut gelungen ist. Da trafen die unterschiedlichsten Soundwelten von Giorgio Koberidze und dessen Klanginstallation auf Zinn und Gischt. Und das alles im alten Fabriksgelände in St. Bartlmä. In dem Fall wurde dieser Abend auch vom openspace im Rahmen des EU-Projekts Slash Transition finanziert. Wir hätten da keinen Spielraum mehr gehabt, da unser Budget bereits für den Oktober verplant war. Die Kooperation und Offenheit in einen Austausch mit lokalen Initiativen und Projekten zu gehen und gemeinsam zu schauen, was wir machen können, ist aber auch eine Sache, die wir fürs PFF für sehr wichtig halten.
Den breiteren Ansatz von Positive Futures finde ich persönlich interessanter. Auch weil Poetry und Performances dabei sind und diversere Sounds, die mit dem tollen Schlagwort »Outernational Music« subsummiert werden. Kannst du euer Festivalkonzept kurz erläutern?
Das PFF ist ein Festival für Outernational Music, das in verschiedenen Innsbrucker Locations stattfindet. Bei uns geht es nicht um Genres oder Superstars. Wir bieten unterrepräsentierten Künstler*innen aus diversen Musikrichtungen, Ländern und Kulturen eine Bühne. Wir verstehen Outernational Music als einen progressiven, erfrischenden Ausdruck einer sich stetig verändernden Welt und wir setzen uns über wahrgenommene, metaphorische und ganz reale Grenzen hinweg. Das PFF soll ein überregionaler Leuchtturm für abenteuerliche und inspirierende Kunst werden. Dabei ist es uns auch sehr wichtig, mit kreativen Innsbrucker Kollektiven zu kooperieren und jungen Talenten eine Plattform im Rahmen des Festivals zu bieten. Für 2024 haben wir das EAT network, die Kulturvereine Inseminoid, Talstation, openspace sowie das ZeMiT – Zentrum für Migrantinnen und Migranten in Tirol eingeladen, mit uns gemeinsam einige Abende und Inhalte zu gestalten. »Empathy Over Opinion« ist unsere Kernaussage. Wir leben in einer Zeit, in der Nationalismus, Leitkulturdebatten und Schubladendenken an der Tagesordnung sind. Uns ist bewusst, dass wir nicht auf einmal die Welt verändern können. Wenn wir allerdings bei uns anfangen, unser Umfeld durch Courage, Empathie und Aufgeschlossenheit gegenüber unbekannten Menschen aus fremden Ländern und Kulturkreisen beeinflussen, sind wir überzeugt, uns gemeinsam Schritt für Schritt in eine positive Zukunft zu bewegen.
Wie und von welchem Kernteam wird Positive Futures kuratiert? Müssen es immer Acts sein, die bereits live gesehen wurden, oder reichen manchmal Tipps von verlässlichen Partnern?
Hauptverantwortlich für die Kuratierung bin ich selbst, wobei hinter dem Festival ein Team von musikbegeisterten Menschen steht, die über das Jahr verteilt in den unterschiedlichsten Ländern, auf den vielfältigsten Festivals faszinierende und oft unbekannte Music Acts kennenlernen. All diese Entdeckungen werden für das Festivalprogramm zusammengetragen. Wir sind auch in diversen Gruppen mit Festivalveranstalter*innen aus Wien, München, Augsburg und Nürnberg bzw. tauschen uns mit befreundeten Artists aus und erhalten dadurch jede Menge Tipps und Ideen, die wir in unsere Line-up-Wunschliste mit aufnehmen. Dann ist oft auch die Finanzierung oder zeitliche Verfügbarkeit eine wesentliche Komponente, ob was zustande kommen kann. Allerdings sind wir schon sehr angetan, Acts, die wir buchen, vorher live erlebt zu haben. Es hat sich in der Vergangenheit schon oft in beide Richtungen – besser wie schlechter – herausgestellt, dass ein Album und ein Live-Auftritt sehr unterschiedlich sind und vor allem Stimmungen in Konzerträumen immer eine eigene Dynamik bzw. Stimmung verbreiten, die mit einer Platte nicht verglichen werden kann. Aus all diesen Quellen sortieren wir dann eine Wunschliste und arbeiten uns damit Stück für Stück vor zum finalen PFF Line-up.
Aïta Mon Amour aus Marokko zündeten absolut beim heurigen Salam Music Festival in Wien, super, dass dieses Duo nun auch in Innsbruck aufgetreten ist. Die Auslegung, zeitgenössische Musik mit ethnischen Volksmusik-Ursprüngen zu koppeln, scheint heuer etwas weniger der Fall zu sein, oder täusche ich mich? Futuristische Folklore à la Huum hat gerade Konjunktur …
Ich war auch beim Salam, wo Aïta gespielt haben. Hat schon eine unglaubliche Power gehabt, diese Show. Du täuschst dich nicht. Es ist mit unserem Budget einerseits nicht immer alles möglich, was wir gerne hätten. Wir sind doch auch einigermaßen auf Acts on Tour angewiesen, hatten aber 2024 doch wieder etliche sehr spannende Projekte aus dem Bereich, wie Dal:um, Romperayo, Fauna, Fulu Miziki, 3Phaz, Sinem, dabei. Aïta Mon Amour waren auch am PFF ein absolutes Highlight. Es war sehr schön, zu beobachten, wie sich das Duo weiterentwickelt hat im Vergleich zum Auftritt beim Salam im Frühjahr. Es wurden bereits neue Songs gespielt und die Zwei haben einen dermaßen engen Bund, den sie dem Publikum auch auf ihre ganz eigene Art und Weise vermitteln. Widad schaffte es einerseits mit ihrer unglaublichen Stimme, andererseits mit ihrem Charisma und ihrer Bühnenpräsenz, das Publikum am 25. Oktober im Treibhaus zu verzaubern. Ich fand auch ihre einfühlsamen und emotionalen Erklärungen zur Herkunft der Songs großartig. Das macht sie nochmals sympathischer. Und Khalil Hentati, der für die musikalische Seite des Projekts verantwortlich ist, ist unserer Meinung nach einer der talentiertesten Produzenten zeitgenössischer tunesisch/marokkanischer Ausdrucksformen, die derzeit aktiv sind.
Dann gab’s zum Einstieg in die PFF Wochenenden am 17. Oktober in der Bäckerei Dal:um aus Seoul, die neben ihren Kolleg*innen Park Jiha, Jambinai und Leenalchi an der Spitze einer neuen koreanischen Musik stehen. Das Duo Ha Suyean und Hwang Hyeyoung spielte ein beeindruckendes Set auf zwei verschiedenen traditionellen Zithern, dem Gayageum und dem Geomungo. Dabei dreht sich ihre Musik geschickt durch eine Fülle zeitgenössischer Einflüsse: Minimalismus, experimenteller Folk und abstrakter Jazz, und Dal:um reformieren und modernisieren frei ihre klanglichen und interpretatorischen Möglichkeiten. Es war sehr schön, zu beobachten, einerseits mit welcher Konzentration und andererseits mit welcher Fantasie die beiden live ihre Musik zelebrieren. Ein weiteres sehr gutes Beispiel waren heuer die vier Kolumbianer von Romperayo, die tief im Cumbia verankert sind, aber ihre Wurzeln auf eine rasante und faszinierende Weise neu interpretieren. Da kommen traditionelle Rhythmen vor und der Sound wird aber auch immer mit moderner Elektronik kombiniert. Es grenzte teilweise an totalen Irrsinn, war aber sehr tanzbar und das Publikum genoss vor allem auch den musikalischen Humor, den Romperayo am 24. Oktober ins Treibhaus mitbrachten.
Außerdem gastierten noch einige afrikanische Acts. Bitte mehr zu allen Eingeladenen, skug findet z. B. alles, was via Nyege Nyege vermittelt wird, grandios …
Fulu Miziki hatten wir ja bereits 2023 im Rahmen einer unserer damaligen Satellite Shows dabei. Wir fanden diese Performance unfassbar, in welcher Virtuosität und Punktgenauigkeit dieses Ensemble auf ihren aus Müll gebauten Instrumenten funktioniert und wie sie das Publikum mitnehmen und vielseitig untereinander laufend Instrumente und Positionen wechseln. Da sie heuer wieder auf Tour waren, haben wir die Chance wahrgenommen und sie als Headliner vom ersten Festivalwochenende nochmals gebucht. War wiederum einzigartig und das Publikum war verzaubert. Fulu Miziki verstehen es, innerhalb von Minuten ein Publikum zu begeistern und mit ihrem bunten Sound-Mix mitzunehmen. Ismail Hosny aka 3Phaz aus Kairo spielte am 18. Oktober in der PMK ein äußerst erfrischendes wie kraftvolles Set, das auf einer wohl noch nie dagewesenen Interpretation des ägyptischen Mahraganat- und Shaabi-Sounds aufbaut. An allen Ecken und Enden finden sich da die klassisch ägyptischen Sound-Motive wieder, die man z. B. in Kairo an jeder Straßenecke hört. Und Ismail schaffte es mit zeitgenössischen Electronic Sounds, die irgendwo im UK Bass oder ähnlichem zu verorten sind, etwas Neues zu erschaffen, das den Dancefloor in ein eskapistisches Abenteuer verwandelte.
Auf was ich als Kurator sehr stolz bin, ist, dass es uns gelungen ist, den togolesischen Rapper und politischen Aktivisten Yao Bobby mit dem Schweizer Noise Maker Simon Grab nach Innsbruck zu lotsen. Die spielen heuer auch wieder am Nyege Nyege Festival in Uganda. Soundtechnisch gab’s da am 26. Oktober in der PMK einen intensiven Klangkampf zwischen energiegeladenen Reimen, entfacht in einer düsteren Klangwelt aus rohen elektronischen Bass-Eruptionen mit Dubby-Punk-Attitüde, erzeugt auf analoger Feedback-Elektronik. Freeform Rap, Noise und synthetische Rhythmen, entlockt aus improvisierten Rückkopplungssignalen und dynamischer Mikrofonsteuerung. Yaos Texte, in seiner Muttersprache Ewé, Französisch und teilweise Englisch, befassen sich mit den aktuellen Ungerechtigkeiten in Afrika und den Problemen der kolonialen Folgen durch den Westen und seine verbleibende Herrschaft über den Kontinent. Unabhängig davon, ob du jeden Text verstehst oder nicht – der unaufhaltsame Fluss, der vielseitige Dynamikbereich und die Emotionen in den Frequenzen vermitteln Lebenskraft und ein Gefühl des Widerstands.
Spannend finde ich auch, dass ihr mit Kessoncoda und Kasho Chualan Klavierklänge neu deuten ließet. Besonders die kurdisch-kanadische Pianistin Kasho Chualan hat es mir angetan. Ihre Händel-Interpretation, die nach dem Reduktionismus von Arvo Pärt klingt und ordentlich auf Nachhall setzt, ist ganz besonders.
Ja, das wurde bei uns intern sehr viel diskutiert. Wir wollten es 2024 schaffen, Klavierklänge oder wie im Fall von Kessoncoda Erfrischendes aus dem »neueren« Jazz-Electronica-Bereich mit ins Programm aufzunehmen. Es hat beides sehr gut funktioniert und das PFF auf unterschiedliche Art und Weise bereichert. Kessoncoda als Start Act am 25. Oktober im Treibhaus hatten den perfekten Einstand mit der Präsentation ihres Debütalbums, das zwischen akustischer Tradition und Electronica steht. Ihre Basis ist eine einzigartige Mischung aus melodischem Klavier und unerschütterlichem Schlagzeug. Dabei hat ihre Musik etwas stark Filmisches an sich, wie eine Erzählung, die sich durch verschiedene Themen und Stimmungen entfaltet, mit einem Auf und Ab der Intensität spielt, während atemberaubende Melodiewellen ins Leben platzen, um sich schließlich in einem wundersamen Höhepunkt aufzulösen. Danach funktionierte Aïta Mon Amour hervorragend.
Kasho Chualan war am Abschlusstag des Festivals am 26. Oktober in der Bäckerei am Start. Sie spielte zu Beginn ein ca. 25-minütiges Soloset, das gleichermaßen experimentell wie eindringlich war. Sie kreierte traumhafte und melancholische Szenarien und überwand in dieser Performance – auch irgendwie sehr passend zum Festivalmotto – etliche Grenzen. Dabei kamen rohe Klänge, experimentelle Improvisationen, Keyboards, Spielzeuge und einiges an Undefinierbarem zum Einsatz. Im Anschluss fand ein Experiment mit drei Poetry Slammer*innen statt. Kasho und die Slammer*innen entschieden kurzerhand vor Ort, dass Kasho live zur vorgetragenen Poesie mit einer Art Zither und etlichen Effektgeräten improvisierte. Es funktionierte nicht nur für die Artists bestens, auch im Publikum fand das Experiment großen Anklang.