Beim Betreten des Raumes, mit Blick hinunter in den leeren Tribünenbereich stellt sich die Eingangsfrage: Stehen wir schon zu Beginn vor dem Abgrund? Wir blicken auf einen großen weißen Vorhang. Was mag sich dahinter verbergen? Ein White Cube als Black Box? Ineinander verschlungen entdecken wir auf einem weißen Tribünenstreifen zwei Menschen, eine europäische Frau, einen arabischen Mann. Sie zucken in Zeitlupe, wie gestrandete Fische in Slow-Motion – laufen noch Reste salziger Meereswellen oder mit Tränen verdünntes Kielwasser der Kolonisation durch ihre Körper? Nach einer Weile löst sich der Mann aus der Verschlungenheit und erzählt eine Geschichte auf Arabisch. Die Sprachmelodie transportiert die Besucher*innen zu ihnen unbekannten Orten, nach einer Weile wird die Erzählung mit englischen Untertiteln auf die gespenstische Leinwand projiziert. Wir erfahren von einer geheimen Eselsvereinigung, einer widerständigen intellektuellen ägyptischen Vereinigung. Donkeys and Colonisation. Im Buch der Geschichte hat die Kolonisation ihre Eselsohren hinterlassen. Wir verlassen den Zuschauerraum und werden im nächsten Kapitel dieses performativen Dialoges zu Bildträger*innen: Die Welt wird ausgestellt. Wir werden ausgestellt. Wir sind Teil der Inszenierung im lichtdurchfluteten Raum. Dieser Raum ist eine Konstruktion. Die Welt ist eine Konstruktion. Die Welt ist eine Konstruktion, die auf Imitaten von Imitaten beruht. Auf dislozierten, listigen Inszenierungen für Schaulustige.
Geo- und Geschlechterpolitik
Kann Mann/Frau sich hinter den Schaulustigen verstecken? Welche Verschränkungen gibt es zwischen ihren Bewegungen. Wo finden sie Halt? In ihren Biografien? Welche Ereignisse wiegen schwerer: Geopolitische Geschehnisse, die millionen- und milliardenfach in unterschiedlichsten Köpfen abgespeichert wurden, oder radikal subjektive Empfindungen, die einen so bewegten oder erstarrten, dass man sie nur schwer kommunizieren kann? Ist Heimat wirklich der Ort, wo sich die Erinnerung auskennt? Immer wieder gibt es auch akustische Kommentare, die durch den Raum flitzen. Sie wollen nie lange an einem Ort verweilen, laden den Raum mal mit unheilvollen, dann wieder mit besänftigenden Schallwellen auf. Linear scheinen nur die Grenzen des Raumes, die Fluchten des Raumes zu sein. Die Narrative überlagern sich, es endet mit Crescendo-Imaginationen. Auch am Schluss wird klar: Dieser Zweikampf der Geschlechterkonstrukte wird immer spielerisch bleiben. Der Sound verdichtet sich zu einem Spuk, zu einem ohrenbetäubenden Gezerre. Wurden wir gerade Zeitzeugen einer exorzistischen Geschichtsbereinigung? Haben die Gespenster, die anwesenden abwesenden, nun den Raum verlassen oder betreten?
»dialogue on difference« von und mit Claudia Bosse, Abdalla Daif und Günther Auer war am 15. und 16. November 2019 im Kosmos Theater, Wien zu sehen und gastiert am 22. und 23. November um 20:00 Uhr mit theatercombinat im Vierte Welt, Berlin.
Links:
http://www.viertewelt.de
http://www.theatercombinat.com
http://www.guentherauer.com