Knallrot ist sie, die Blüte einer ganz speziellen Pflanze, die die eigentliche Hauptdarstellerin in Jessica Hausners Film »Little Joe« ist. Abgesehen von ihrer spektakulären Blüte ist die Blume recht unansehnlich, doch die mit Hilfe von Gentechnik gezüchtete Topfpflanze soll eine besondere Eigenschaft entfalten, wenn sie von ihren Besitzer*innen aufmerksam umhegt und gepflegt wird, dann macht ihr Duft angeblich glücklich. Neben der Versorgung mit Wasser, Wärme und Dünger ist es auch essenziell, mit ihr zu sprechen, um sie dazu anzuregen. »Little Joe«, so nennt ihre Schöpferin Alice (Emily Beecham) die Wunderpflanze, ist das Opus Magnum der Wissenschaftlerin. Bedenklich findet die Züchtung nur Alices ältere Kollegin Bella (Kerry Fox), während Karl (David Wilmot), den Chef des kommerziellen Pflanzenzüchtungsbetriebs, nur interessiert, dass die »Glücksblume« auf der jährlichen Fachmesse vorgestellt werden kann, um auf dem Markt zu reüssieren. Unerlaubterweise nimmt Alice eine ihrer Pflanzen mit nachhause, um sie ihrem halbwüchsigen Sohn Joe (Kit Connor), nach ihm hat sie die Blume benannt, zu schenken. Als Alleinerzieherin mit einem fordernden Beruf (unzählige Überstunden, durchgearbeitete Wochenenden) plagt sie ein schlechtes Gewissen, zu wenig Zeit mit ihrem Sohn zu verbringen. Das außergewöhnliche Geschenk soll diesen Umstand wohl ein wenig kompensieren, gleichzeitig macht Alice ihren Sohn damit zum Versuchskaninchen. Bella warnt immer eindringlicher vor der Pflanze, die angeblich Wesen, die ihren Blütenstaub einatmen, manipuliert. Irgendwann ist sich auch Alice nicht mehr sicher, ob »Little Joe« harmlos und wohltuend ist.
Die Frage, ob ein künstlich generiertes Glück(sgefühl) Wert hat und ob es ethisch vertretbar ist, Wohlbefinden mittels »Chemie« herbeizuführen, wird spätestens seit Huxleys »Brave New World« diskutiert. Fakt ist, dass Freude, Angst, Wut, Euphorie etc. immer (auch) mit chemischen Abläufen im Körper zusammenhängen. Project Itoh plädiert in seinem Science-Fiction-Roman »Harmony« dafür, Ambivalenz und Zweifel durch neurotechnologische Eingriffe ins Gehirn auszuschalten. In seinem Buch führt die Umsetzung dieser Maßnahme zum Verschwinden von Suiziden – beim Lesen stellt sich ein mulmiges Gefühl ein. Ist die Ablehnung »künstlichen Glücks« einer »Sehnsucht nach der Traurigkeit«, wie es in einem Friedrich-Hollaender-Schlager heißt, geschuldet oder sind wir indoktriniert, dass »the pursuit of happiness« und vor allem das Erreichen von Glück uns nur durch harte Arbeit, also Leistung, zusteht?
In ihrem ersten in englischer Sprache gedrehten Film verwendet Jessica Hausner für ihre Arbeiten typische Elemente wie eine gewisse Stilisierung der Akteur*innen und deren Interaktionen, auffällige und durchgestylte Farbgebung von Interieurs und Kostümen (in diesem Fall Pastell) und eine grundlegende Künstlichkeit von Handlung, Handelnden und Schauplätzen. Da ein Großteil des Films in einem Labor spielt, ist Letzteres naheliegend, doch selbst die idyllische Naturlandschaft, in der Alices geschiedener Mann und Vater ihres Sohnes seinen Wohnsitz hat, wirkt unecht. Diese wiedererkennbare Bildsprache verdankt Hausner einem Team, mit dem sie z. T. seit Beginn ihres Filmschaffens zusammenarbeitet; neben anderen sind das Tanja Hausner (Kostüme), Martin Gschlacht (Kamera) und Katharina Wöppermann, die für das Produktionsdesign zuständig ist. Als Filmmusik werden Arbeiten des 1982 verstorbenen Komponisten Teiji Ito, der u. a. die Musik zu den Experimentalfilmen Maya Derens schrieb, eingesetzt. Die Stücke, die den Klang der Shakuhachi (japanische Rohrflöte) und elektronisch erzeugte Geräusche verbindet, unterstreichen die befremdlichen Vorgänge der Bildebene.
»Little Joe« zählt wie etwa auch Hausners Film »Hotel« zur Kategorie gehobener Horrorfilm, gleichzeitig ist er auch eine Satire auf eine hochtechnologisierte Wirtschaftssparte und im Dienst der Ökonomie tätige Wissenschaft. Hausner spricht von einer »Parabel über das Fremde in uns selbst«. Genmanipulation und rücksichtsloses Gewinnstreben sind aktuelle Thematiken, der Charakter der genial-verrückten Wissenschaftler*in, die Doppelung (Joe/Little Joe), die Ununterscheidbarkeit von Einbildung und Realität sind traditionelle Topoi in Literatur und Film, die Hausner souverän einsetzt, um ihre doppelbödige Geschichte zu erzählen. Dennoch scheint »Little Joe« weniger geheimnisvoll als andere ihrer Filme und bleibt seltsam spannungsfrei. Sehenswert ist der Film schon aufgrund der grandiosen Bilder.
Nach der Premiere im Rahmen der Viennale 2019 läuft »Little Joe« jetzt auch regulär in den österreichischen Kinos.