Für den Autor dieser Zeilen war das fluc in seinen Anfangsjahren fast so etwas wie ein erweitertes Wohnzimmer. Ich kannte noch das Schallplattenggeschäft Carola unter dem Dach der ÖBB-Schnellbahnstation Wien Nord, wo sich nach dessen Schließung ab Mai 2002 die Homebase des fluc befand. Der jetzige Knotenpunkt U1/U2/S-Bahn, seit 2006 Wien Praterstern getauft, war damals zum Teil noch eine Gstettn, denke ich nur an die ehemalige Studentenkantine, die vorübergehend als große Konzert- und Partyhalle fungierte. Vintage pur, als noch Nadelbäume vor dem Eingang Idylle verströmten. Ein großartiger Ort, um eine aus Wien nicht mehr wegzudenkende Institution, zu der sich das fluc ziemlich rasch mauserte, zu etablieren …
skug: Im Lauf der Jahre hat sich das fluc ziemlich gewandelt. Bitte erzähl mal, wie du das fluc damals siehst und wie du eingestiegen bist als Booker.
Peter Nachtnebel: Das alte »kleine fluc« war für das Wien nach der Jahrtausendwende ein wichtiger Ort. Damals gab es viele off-spaces, wo man – nicht anders als heute – unter oft suboptimalen Bedingungen elektronische Klangkunst hören konnte. Im fluc sollte das über eine von Martin Moser (Verein dy´na:mo) entwickelte Anlage anders werden. Der Klang im fluc war plastisch fühlbar und in kürzester Zeit standen nationale wie internationale KünstlerInnen für einen Auftritt Schlange. Mein erster Beitrag in der Eröffnungswoche war ein Label-Abend des damals von mir gefeierten BipHop-Labels, betrieben vom Sound Artist Philippe Petit. Es folgten rasch weitere Konzerte, durchschnittlich ein bis zwei pro Woche. Die Qualität des damaligen fluc lag aber nicht nur im Klang. Es war auch das Ambiente des ruinösen Bahnhofes Wien Nord, der freie Blick auf das Riesenrad und die Größe des spitz zugeschnittenen, nicht zu großen Raumes. Die fast tägliche Bespielung und eine funktionierende Gastro machten das fluc schnell zum beliebten Geheimtipp. Unerreicht einmalig und anders als heute war die Mischung des Publikums: JournalistInnen, KünstlerInnen, Musikmenschen, ÖBBler, Prater-Touris und unsere zwei Haussandler waren immer ein Garant für einen guten Abend, der nicht selten am frühen Vormittag beim Branntweiner an der 21er-Haltestelle endete.
skug hat sehr gerne mit dem fluc kooperiert. Ich selbst erinnere mich gern an die am Anfang stehende Improv-Reihe, die schillernde Präsentation des »Orgasmus«-Samplers, eine Koch-»Show« mit Wam Kat oder das mit Budapest und Bratislava durchgeführte SoundBridges-Festival in der fluc_Mensa im Jahr 2005. Wie siehst du die Zusammenarbeit mit den Reihen »skug presents« oder »Salon skug« im Rückblick?
skug und fluc haben von Beginn an gut zusammengepasst, keine Frage. Ein wichtiger Teil des musikalischen Inputs aus der Anfangszeit des fluc kam aus dem erweiterten skug-Umfeld. So wie das fluc war ja auch skug ein Schwamm, der diverse Leute anzog. Ich denke, wo es sich gespießt hat, war, als das fluc mit der Mensa den Weg Richtung Berliner Partyhedonismus eingeschlagen hat. Das ging mit dem elitären Anspruch an Kunst und Musik, den einige skugler in ihren Texten einforderten, nicht mehr ganz zusammen. Umso schöner, dass uns der »Salon skug« (ab 2006 im jetzigen fluc) noch eine Menge aufregender Abende beschert hat. Und Gary Clail war nur einer von vielen.
Wie läuft es zurzeit, unten in der Wanne und oben im fluc?
Das fluc im oberen Bereich findet mit seiner Mischung aus Kunstausstellungen, Konzerten, Lesungen u. v. a. m. nach wie vor großen Anklang beim Publikum. Ich trau mich fast zu sagen, dass wir (wahrscheinlich) Wiens beliebtester Veranstaltungsort sind, wenn ich es an der täglichen Menge an Anfragen messen würde. Natürlich ist nicht alles umsetzbar, vieles passt inhaltlich nicht rein und die interessantesten Projekte scheitern nicht selten an der Finanzierung. Als Booker wie auch als Gast des Lokals kann ich täglich miterleben, wie sich mit dem Inhalt das Publikum und der Raum verändert. Diese Transformationen faszinieren mich am meisten.
Die fluc_Wanne ist ab 2007 Wiens erste Adresse in Sachen Bass-Culture geworden und konnte diesen Platz meiner Meinung nach bis jetzt gut behaupten. Das verdanken wir v. a. ein paar leidenschaftlichen Crews, die uns die Treue halten und die Wanne immer mit frischen UK-Sounds bereichern. In letzter Zeit haben wir es mit einer neuen Techno-Generation zu tun, die schwer Anti-Rave ist, und die BPM-Zahl stark zurückschraubt, was der Musik und somit auch der Wanne eine fast schon erotische Dimension verleiht.
… Wiens erste Adresse in Sachen Bass-Culture, die fluc_Wanne (Foto: © Martin Wagner)
Als fluc’sche Geldkuh muss die Wanne auch mit Sachen gefüllt werden, auf deren Inhalte wir jetzt nicht so stolz sind, die aber auf jeden Fall ihre Berechtigung haben: Goa- und Acid-Tek-Partys gelten in Wien allgemein als geschmacklos und prollig. Ist uns egal. Spätestens seit Bourdieu wissen wir, wie sehr sozialer Status und Geschmacksbildung zusammenhängen. Wir wollen niemanden wegen einer »falschen« Playlist ausschließen.
Genügend Besucher zu den Konzerten zu locken, ist immer schwieriger geworden. Bitte schildere Gründe bzw. Gegenmaßnahmen, die möglich sind.
Ein viel diskutiertes Thema. Folgende Faktoren könnten es sein:
a) Musik spielt bei der Identitätsbildung Heranwachsender nicht mehr so die Rolle wie in der Zeit von 1955 bis grob 2000.
b) Die Anzahl an Live-Bühnen in den Städten hat sich mit der Vergrößerung des Live-Marktes vervielfacht. Es gibt zu viele Shows. Live-Konzerte laufen in kleineren Städten mit geringerer Auswahl besser als in 2-Millionen-Städten.
c) Geringere Einkommen, die größere Unsicherheit am Arbeitsplatz, die Flexibilisierung vieler Berufe und dass Studenten jetzt studieren müssen, anstatt bis um 4 Uhr in der Früh etwa im Flex abzuhängen, spielen sicher auch eine Rolle. Es hat einen Grund, warum es seit 2000 Unmengen an Bars und Beisln in Wien gibt. Essen und Plaudern nach der Arbeit haben einen höheren Stellenwert bekommen als früher, wo man das eher für spießig oder frühvergreist gehalten hat.
Gegenmaßnahmen zu setzen halte ich für sinnlos. Jede Generation muss aus sich heraus aufbrechen und die Dinge tun, die sie für notwendig hält. Der Rock’n’Roll- und Party-Lifestyle ist so stark in der Mitte angekommen, dass er als alternatives Lebensmodell an Attraktivität eingebüßt hat. Heute nimmt dir keiner mehr den Rebel ab. Künstler- und Kreativsein sind Teil des Systems. Normcore oder der Mainstream als neuer Underground sind die viel coolere Distinktion geworden. Das ist subversive Affirmation in einer neuen Spielart.
Künstler- und Kreativsein sind Teil des Systems. (Foto © fluc)
Gerüchteweise hörte man sogar, dass nach dem fluc-Umbau das fluc als Esslokal weitergeführt werden könnte. Ein Schicksal wie dem Ost-Klub wollen wir aber dem fluc nicht bescheiden. Gibt es schon nähere Umbaupläne?
Die Gerüchte über die Gerichte haben mit der Idee eines Schinken-Käse-Toasts begonnen. Den wird es hoffentlich auch geben. Toast ist der neue Burger! Eine Renovierung wie auch eine Neugestaltung sind geplant. Wird aber alles noch dauern.
Könnte das fluc zum Teil auch Bühne für die boomende Kabarettszene werden?
Wir wollen neue Publikumssegmente erschließen, weil wir trotz der Vielfalt in unserem Programm schon sehr in der alternativen Suppe schwimmen. Wir hatten vor »Stand up Fluc« (im ORF: «Pratersterne«) nie etwas mit der Comedy-Szene zu tun, haben uns das jetzt mal angesehen und sind positiv überrascht. Drüber hinaus gibt es aber keine Pläne.
HYPEREALITY, das neue Format der Wiener Festwochen, könnte das werden, was in Wien lange fehlte, und das Donaufestival mit Thomas Edlinger als künstlerischem Leiter ist eine gute Ergänzung. Wäre eine Zusammenarbeit mit Koproduktionen für das fluc und weitere Venues mit avancierter Musik wünschenswert oder ist die extrapolierte Lage in Simmering ein Hinweis auf Exklusivität?
Ich sehe HYPEREALITY in einer Linie mit Big Beat, phonoTAKTIK, Hyperstrings, Prototype und diversen anderen elektronischen Festivals mit Gegenwartsanspruch, die es in den letzten 25 Jahren gab. Ein hervorstechendes Merkmal dieser Festivals war immer der Ort oder eben der Nicht-Ort, die Ortsungebundenheit. Insofern stört es mich gar nicht, wenn HYPEREALITY im Schloss Neugebäude, unweit der Feuerhalle Simmering stattfindet, wo auch phonoTAKTIK damals eine Spielstätte hatte und eben nicht in Wiener Clubs. Den »Gegenwartsfetischismus« (wie das Thomas Edlinger unlängst im »Falter« so schön formulierte) sehe ich bei HYPERREALITY als das größere Problem. Diese Unmenge an aktuellen, »ganz okayen«, aber künstlerisch nicht selten halbgaren Acts macht so ein Festival zu einem Klassentreffen nomadisierender Laptop-ArtistInnen. Die Geste steht über dem Werk. Wir drehen uns da ein wenig im Kreis.
Programm 15 Jahre fluc, jeweils ab 20:00 Uhr
Donnerstag, 27. April 2017
Bruch, Brian Hill & The Noh Starrs (NYC), Westblock
Freitag, 28. April 2017
Repetitor (SRB), Franz Fuexe, Quehenberger/Kern
Samstag, 29. April 2017
Taris, Hearts Hearts, Infinite Pal
Sonntag, 29. April 2017
FEMME DMC (DJs & Live), Pop:sch, Denice Bourbon (DJ)
Montag, 1. Mai 2017
Clashinistas, Tini Trampler & Playbackdolls; davor um 16:00 Uhr: Matthäus Bär singt Kinderlieder
Pop:sch live – zu Ehren von 15 Jahre fluc am 29. April (Foto: © fluc)