Hans-Christian Dany © Donnie Londi
Hans-Christian Dany © Donnie Londi

Krieg und Moden

Die Geschichte der Bomberjacke verrät viel über modischen Wandel der Subkulturen, über Krieg und Militarisierung und warum man sich heute lieber tarnt als aufzufallen. skug sprach mit Hans-Christian Dany über sein neues Buch »MA-1. Mode und Uniform«, das beim Verlag Nautilus Flugschrift erschien.

Am 11. Jänner 2019 stellte der Hamburger Autor und Künstler Hans-Christian Dany unter dem Titel »Reisen der Bomberjacke« im Tanzquartier Wien sein neues Essay-Buch »MA-1. Mode und Uniform« das erste Mal in Österreich vor. Tarnen war sinnlos, skug erwischte ihn für dieses Interview, in dem der Wandel der Öffentlichkeit und der Mode- bzw. Kunstszenen, der Einfluss des Militärs und ein gewisser Epochenwandel erörtert wurden.

skug: Um diese Frage kommen wir zu Anfang nicht herum: Tragen Bomberpiloten überhaupt Bomberjacken? Oder anders formuliert, welche Kleidung trug der Pilot Giulio Gavotti, als er 1911 das Konzept des Luftkrieges bzw. die asymmetrische Disziplinartechnik des »police bombing« erfand, und wie kleiden sich heutzutage Drohnenbürobomber für ihr »blutiges Tagesgeschäft, das mit Computerspielmentalität am Desktop erledigt wird?
Hans-Christian Dany: Giulio Gavotti saß noch recht ungeschützt in seinem offenen Flugzeug und zog oft zwei Jacken übereinander: eine weite, schmucklose Wetterjacke, darunter eine eng geschnittene, tailliert über die Hüften fallende Uniformjacke mit hohem Stehkragen und Schulterklappen. In der hätte er auch auf einem Pferd reiten können. Die Drohnenlenker tragen in ihren wohltemperierten Büros tatsächlich keine Jacken, sondern meist olivgrüne Overalls. Mag sein, die sind beim langen Sitzen komfortabel, da sie den Bauch nicht einschnüren. Einteiler mit den schräg aufgesetzten Reißverschlüssen, wie man sie auch aus »Top Gun« kennt, gehören zu den Klassikern der Air Force. Auch beim distanzierten Töten soll wohl eine gewisse Tradition und Form gewahrt werden.

Sie erklären, dass fast alle Basics heutiger Kleidung ihren Ursprung in militärischen Uniformen haben. Die Bomberjacke MA-1 der Marke Alpha Industries, die bis 1977 für die US Air Force hergestellt wurde, zählt zu den am häufigsten hergestellten Uniformjacken aller Zeiten. Gibt es global gesehen ähnliche Phänomene (z. B. in China …), bei der Kriegskleidung im großen Stile zur Alltagskleidung mutierte?
Besonders erstaunlich finde ich die Entstehung des Mao-Anzugs, an dessen Entwicklung Designer aus der ehemaligen DDR beteiligt waren. Sie brachten Elemente der preußischen Uniform mit, wie die vom Klassizismus geprägte Liebe zur Symmetrie, die aufgesetzten Brusttaschen oder den Stoff sparenden engen Schnitt. All das mischte sich mit traditioneller chinesischer Tracht zu einer neuen Alltagskleidung, die den Ansprüchen eines revolutionären Lebens gerecht zu werden versuchte.

Im zwanzigsten Jahrhundert wurde der Krieg unendlich/unbeendbar. Die Deklaration des Krieges, die bereits den späteren Frieden mitzudenken versuchte, geschah im Wissen um das mögliche eigene Leid. Die Bombardierung aber ist distanziert und leidensfrei, sie gipfelt im Einsatz der Drohne, bei der die Pilot*innen keinerlei Gefahren mehr ausgesetzt sind. Sehnen sich Bomberjackenträger*innen nach einem magischen Schutzgewand, das sie im Dauerkrieg heutigen »Friedens« umhüllt?
Eine Bomberjacke zu tragen, vermittelt auf der Straße ein Schutzgefühl, da es die Träger*innen kräftiger erscheinen lässt. Diese optische Verpanzerung schützt aber glaube ich kaum und nicht einmal gefühlt gegen die Bedrohung durch die gegenwärtigen Kriegsausläufer in die westlichen Metropolen. Diesen gegenüber haben die Zivilisten kaum noch das Gefühl der Möglichkeit zur Abwehr. Sie werden als lebendes, relativ zufälliges gewähltes Ziel gar nicht mehr näher betrachtet und können durch eine Bomberjacke auch nicht geschützt auftreten. Materiell liefert die Bomberjacke MA-1 wenig Schutz gegen militante Gewalt. Das war schon ein Problem der MA-1 am Anfang ihrer militärischen Nutzung. Sie fing leicht Feuer, wodurch es zu fürchterlichen Verletzungen kam, da das geschmolzene Nylon auf der Haut in die Wunden eindrang. Deshalb wurden später auch Stoffe wie Kevlar verwendet.

Die Militarisierung der Öffentlichkeit erleben wir aktuell in Wien ganz konkret durch vermehrte Polizeipräsenz auf der Straße mit zunehmend schwerer bewaffnetem Personal und Vermummung. Ist die modische Imitation dieses Wandels auch als ein Karneval zu begreifen, der sich selbstermächtigend darüber lustig macht, dass nur mehr schwere Fighter auf der Straße sind?
Aber irgendwie sind Plastikrüstungen der Polizei nie so richtig in Mode gekommen. Und die Hasskappen hat sich die Polizei von den Autonomen abgeschaut. Ob der zeitweiligen Neigung des Schwarzen Blocks zur wetterfesten Marke North Face ein heiteres Spiel mit Masken zugrunde lag, würde ich bezweifeln, da dieser Trend in Deutschland entstand, wo Karneval und Humor an festgeschriebenen Tagen üblich sind.

Wie könnte man den Siegeszug der Funktionskleidung und Outdoor-Mode erklären, die sich nahezu überall findet und die stete Einsatzbereitschaft der Workforce suggeriert, à la »Ihr könnt mich ruhig auch in den Regen stellen, ich maloche trotzdem weiter«. Hängt das auch mit dem »Verlust der Öffentlichkeit« zusammen, bei dem mittels Bekleidung nicht mehr unterschieden wird zwischen Arbeits-, Frei- und Festzeit?
Zur Innovation der MA-1 als einem der prägenden Vorläufer heutiger Funktionskleidung gehörte es, eine Jacke zu erfinden, die sich einem Spektrum von 30 Grad Celsius der Umgebung anpassen konnte. In ihr konnten die Truppen an unterschiedlichste Orte geschickt werden. In den 1990er-Jahren wurde das ganz anders umgedeutet und die Jacke schien perfekt, um darin auf tagelangen Raves zu feiern. Heute passt die MA-1 und Allwetterkleidung aller Art zu einem flexibilisierten Arbeitsleben, dessen mobile Bewohner nie so genau absehen können, wo sie heute noch hinkommen, geschweige denn, wo sie ankommen.

Mode galt im Barock noch als Männersache und blieb es bis ins frühe 19. Jahrhundert. Sie bezeichnen Hochstapler als »Akrobaten des Sozialen«, als wichtige Schlüsselfiguren für die Modeentwicklungen. Welche Rolle spielte der Lebemann und Hochstapler Georges Bryan Brummell zu dieser Zeit?
Dem Bäckersohn Brummell gelang es, zur Stilikone des Adels zu werden, obwohl in seinen Adern keinen Tropfen blauen Blutes floss. Während sich das aufsteigende Bürgertum am Anfang eher durch den Verzicht auf Mode vom Adel abzugrenzen versuchte, entwendete Brummell dem Adel dessen Spiel und entwickelte es radikal weiter.

Welche Folgen für die experimentelle Modeszene hatten die Anschläge auf das World Trade Center 2001?
New York war um die Jahrtausendwende eine aufregende Bühne für einen genauso spielerischen wie progressiven Umgang mit Mode, wobei sich ziemlich leichtfüßig zwischen Industrie, Kunst und Subkulturen bewegt wurde, weshalb es nicht zwangsläufig um Geld ging. Dieser Möglichkeitsraum implodierte mit dem Schock des Anschlags. Modische Spiele samt ihrer Freiheit von Sinn und Bedeutung schienen vielen nicht mehr angemessen. Man entschied sich für Kunst, wie Helmut Lang, ging zur Industrie, wie Raf Simons, oder interessierte sich für politischen Aktivismus, wie die Bernadette Corporation.

Der Künstler Seth Price schuf 2008 unter dem Titel »Vintage Bomber« mit seiner Serie von Reliefarbeiten ein kunstikonisches Motiv des 21. Jahrhunderts. Gibt es andere Künstler*innen, die die Bomberjacke künstlerisch ausdeuteten?
Wirklich überzeugend finde ich nur William Gibsons literarischen Entwurf der gegen Markenzeichen allergischen »Coolhunterin« Cayce Pollard, die sich in ihre schützende Bomberjacke hüllt. Es ist ein Roman, der eine kommende Mode vorwegnimmt, jenen Trend, den die Gruppe K-Hole zehn Jahre später Normcore taufte.

Als Schutzmantel nicht geeignet. Die Bomberjacke brennt sehr gut und das geschmolzene Nylon hinterlässt fürchterliche Wunden. © YouTube

Warum funktioniert die Technik des Readymade in der Mode anders als in den geschlossenen Systemen der Kunst?
Ein Readymade in der Kunst funktioniert durch den hochformalisierten White Cube, die Galerie und einen spezifischen Diskurs, der um einen Gegenstand und die Künstler*in, die es als Kunst behauptet, entfaltet wird. Das Wechselverhältnis von beiden entscheidet darüber, ob eines von einer Million möglicher Fertigteile und tausend Behaupter*innen im Auge des Publikums zum Kunstwerk wird. In der Mode entscheidet hingegen eine kaum formalisierbare und unkontrolliertere Schwarmintelligenz darüber, dass meinetwegen ein Schnitt oder auch ein bestimmtes Kleidungsstück, wie vor ein paar Jahren die Bomberjacke, in Mode kommt.

Warum wird der Börsenbegriff emergent auch im Kunstbetrieb verwendet?
Der Handel mit zeitgenössischer Kunst ist spekulativer geworden. Aufsteigende Künstler*innen, die in Outdoor-Kleidung noch zu unbekannten Höhen unterwegs sein könnten, versprechen einen größeren Wertzuwachs als fest eingeführte Werte, die im Anzug als Beweis ihres gesetzten Wertes bestenfalls noch stetige Zuwächse versprechen.

Sie erzählen im Buch auch von Ihrem persönlichen Ringen, Ihre Außendarstellung durch Mode zu beeinflussen, und weshalb dies heute schwerer geworden ist. Warum und wann wurden die Dresscodes so unübersichtlich?
Ich würde es lieber so formulieren: Diese Spiele sind raffinierter, schneller, komplexer und nicht selten subtiler geworden. Kaum etwas haftet noch die Eindeutigkeit an. Zeichen, Bedeutungen und Kleidungsstücke binden sich polyamourös in die verschiedensten Richtungen. In einer auf Transparenz setzenden Kontrollgesellschaft können sie sich nicht mehr in Nischen zurückziehen, in denen vielleicht noch geordnete Verhältnisse stattfinden. Alles findet mehr oder minder im freien Gelände statt. Das ist herausfordernd, aber auch spannend.

In Ihrem modischen Essay taucht auch der Architekt Adolf Loos auf. Welche Bedeutung kommt Adolf Loos im Kontext Mode zu?
Mich interessiert Adolf Loos als Pionier der Unisex-Mode. Der Modernist fühlte sich recht unwohl bei dem, was er als künstliche und bedrohliche Sexualität der Frauen wahrnahm. Um diese, oder genauer seinen Blick auf die weiblichen Körper abzukühlen, wollte er ihnen praktische, undurchsichtige und vom Ornament befreite Hosen anziehen, in denen sie sich durch Arbeit von ihrer angeblichen Fixierung auf den Mann befreien könnten. Heute kann man diesen geschlechtsneutralen Modernismus bei Zara kaufen, wo in der genderbefreiten Abteilung nur im Ausnahmefall Röcke und verspielte Muster zu entdecken sind.

Wird sich bald jeder modische Spleen einer Subkultur augenblicklich in eine Warenform verwandeln? Können wir das aufhalten oder ist das aussichtslos? Sie erwähnen als Beispiel unter anderem die Marke Supreme, können Sie auf die speziellen Strategien, die sich im Laufe der Firmengeschichte geändert haben, eingehen?
Mir kommen Subkulturen, die sich durch Bekleidungsstile abgrenzen, wie ein Phänomen des späten 20. Jahrhunderts vor. Was es in der Richtung noch gibt, sind Überbleibsel, Ausläufer oder sentimentale Erinnerungen. Spleens dienen sich oft selbst offensiv an, so als sei ihr letzter Erfolg, doch bitte zur Warenform zu werden. Es scheint mir interessanter, das zu beschleunigen, um wieder zu einer Situation mit Aussicht zu kommen oder vielleicht auch zu einem Überdruss, in dem es wieder mehr blinde Flecken geben könnte. Supreme waren vermutlich schon 1994, als sie als ein Community-verbundener, kleiner Skater-Laden in New York eröffneten, Avantgarde einer neuen Form neoliberalen Unternehmertums. Geschickt wurde die Selbstermächtigung der HipHop-Kultur mit situationistisch geschulten Techniken der Kommunikationsguerilla und dem Flair von Kunst zu einem Geschäftsmodell arrangiert. Der Versuch scheint jetzt, diese nachhaltig erfolgreiche Melange mit den Möglichkeiten künstlicher Intelligenz zusammenzubringen. Zu diesem Zweck fusionierte Supreme im vergangenen Jahr mit der Carlyle Group, einem Investor, der viel Geld in die Weiterentwicklung von Drohnen steckt. Sowohl im Drohnengeschäft, in dem autonome Waffensysteme die kommende Stufe bilden, als auch in der Mode geht es aktuell um die Erschließung künstlicher Intelligenz zur Auswertung visueller Informationen. Was ziehen diese störrischen Konsumenten eigentlich an und wo stecken diese nervigen Widerstandsgruppen in ihren Hochgebirgen? Die Allianz, die das Streetwear-Geschäft mit den Hightech-Lieferanten des »Krieges gegen den Terror« gebildet haben, ist äußerst unheimlich.

In den Nullerjahren des 21. Jahrhunderts tritt das Phänomen beziehungsweise der Phänotyp des »Mädchen-Jungen« (Dior-Boy in hautenger Skinny-Jeans) in Erscheinung. Woher rührt das wachsende Interesse der männlichen Vertreter der Generation Y an Mode, welche gesellschaftliche Entwicklung veranschaulicht sie?
Ich habe den Ausdruck zunächst in Verdrehung zu dem von der französischen Zeitschrift »Tiquun« geprägten Begriff des »Jungen-Mädchens« gewählt, der mir ein wenig zu männlich auf das konsumierende Mädchen blickte. Mit dem Mädchen-Jungen scheint mir ein Typus aufgetreten, bei dem durchschlägt, was Nina Power als »Feminisierung des Kapitalismus« beschreibt. Unter den Bedingungen kurzer Arbeitsverträge müssen fast alle viel öfter für sich werben, damit sie auch noch morgen eine Arbeit bekommen. Man führt sich dabei auf der Höhe der Zeit vor und unterstreicht durch die Wahl der Hose in der Farbe der Saison, dass man auch die jüngste Version von Office kennt und andere Innovationen mitgehen kann. So begrüßenswert es ist, dass nicht mehr nur die Frau sich schön machen muss, wirken die neuen Männer in der Mode leider allzu oft wie auf dem Weg zu einem besseren Platz im Büro.

»It strikes me how similar we look«, die Versuche, als bunter Vogel aufzufallen, werden weniger, eher scheint es ein Bedürfnis nach modischem Abtauchen zu geben. Steht dies im Zusammenhang mit jenem »Epochenwechsel«, bei dem wir uns aus dem »Zeitalter der Hysterie« und in jenes der Depression verabschiedet haben?
Muss ich depressiv sein, um den Wunsch zu verspüren, mich nicht die ganze Zeit der Überwachung besonders sichtbar zu zeigen? Hinter der Neigung, durch Ähnlichkeit unauffällig auszusehen, wirken glaube ich eine Reihe verschiedener Motive und Kräfte. Die Erschöpfung am Rand zur Depression, da würde ich schon zustimmen, gehört dazu. Es lässt sich nicht leugnen, dass oft die Kraft fehlt, »bunt« zu leben. Und die Anstrengung ist auch größer geworden, wenn um einen herum ständig alles blinkt. Meistens ist man schon froh, die Komplexität des Tages wieder bewältigt zu haben. Ich glaube, es gibt aber auch einen Streik gegen die verordnete kreative Subjektivität, Gegenbewegungen zur Differenz, in der Postmoderne endlos verfeinert und getrennt. Eine neue Epoche hat auf jeden Fall begonnen.

Hans-Christian Dany: »M-1. Mode und Uniform«, Nautilus Flugschrift.

Link: https://edition-nautilus.de/programm/ma-1-mode-und-uniform/

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