Verflixte sieben Jahre hat der Held vieler in den 80er Jahren popkulturell Sozialisierter auf diese zwölf neuen Songs warten lassen. Über Morrisseys Befindlichkeit oder gar seinen jeweiligen Wohnsitz war wenig bis nichts zu erfahren, und diese Ungewissheit schraubte die Erwartungshaltung in schwindelerregende Höhen. Das Ergebnis hätte Ernüchterung und eine kritische Evaluierung der eigenen Urteilskraft herausfordern können, glücklicherweise ist das Gegenteil der Fall: Sämtliche an der Ex-Smith-Rampensau einst geschätzte Ingredienzen sind wieder da, zum Teil (gesanglich!) sogar in verfeinerter Form. Hymnische, nie banale Melodien, die so manchen perseverativen Charakter schon wieder in die Verzweiflung treiben können. Die Altspatzen Boorer/Whyte zupfen und schlagen druckvolle Gitarren, die im richtigen Moment Tempo und Lautstärke anziehen bzw. wegnehmen, und damit den lakonischen-euphorischen Melodien das dynamische Unterfutter liefern.
Inhaltlich verliert Morrissey in den meisten Stücken – im Gegensatz zu den mit Literaturzitaten gespickten früheren Werken – fast völlig die Distanz, wodurch der Eindruck seltener Wahrhaftigkeit entsteht. Was bei anderen schnell in peinlichen Unmittelbarkeitsanspruch abdriftet, ist aus dem Mund des Exzentrikers immer noch schwer im grünen Bereich. Die Rolle des stellvertretend für seine Fans Leidenden verkörpert der Oscar Wilde des Informationszeitalters konkurrenzlos authentisch, wenn es auch mit der Authentizität immer so eine Sache ist. Moz hat jede Menge Liebe zu gegeben, die aber den/die passende/n Adressaten/in nur selten findet (und somit Leiden verursacht). Immerhin ist Morrissey generöser Weise bereit, Jesus das ihm eingepflanzte Begehren, das er nicht befriedigen kann, zu verzeihen (»I Have Forgiven Jesus«). Auch dem Heldenhaft- Tragischen wird – wie einst etwa in »Boxers« – gehuldigt (»First Of The Gang To Die«). Vermeintlich sind das Bilder aus längst vergangener Zeit, tatsächlich aber bezieht sich der Song auf mexikanische Gangs in der kalifornischen Jugendkultur, deren ambivalenter Heroismus Morrissey fasziniert. In »America Is Not The World«, dem kühnen, auf ungewohnten Dancebeats basierenden Opener, schreibt der heilige Sebastian des Pop einen offenen Brief an seine aktuelle Wahlheimat USA (er residiert in L.A.), in dem er v.a. die Intoleranz und den Kulturimperialismus seiner neuen Landsleute geißelt, um letztlich – ganz wandelnder Widerspruch – mit der Zeile »And I Love You …« zu schließen. Im Video zur ersten Single-Auskoppelung»Irish Blood, English Heart« präsentiert sich Morrissey optisch auf den Spuren von Brian Ferry, leicht ergraut, im blütenweißen Jackett in bewährt ungelenker Bühnengymnastik. Schön, den Mann wieder auf der Bühne zu sehen. Zu einem Österreich-Gastspiel wird es wohl auch bei der nächsten Tour leider nicht kommen. »you are the Qarry« ist ein fulminantes Comeback und bestätigt die These: It???s the Singer AND the Song! Die beste Morrissey seit »Your Arsenal (1992)«.
Morrissey
»you are the Quarry«
Attack/BMG
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