Im Booklet zu »Alien, Marx & Co. – Slavoj Žižek im Porträt« (u. a. auch mit kleinen spitzfindigen Essays zum Thema Philosophie im Medienzeitalter) erklärt Jens-Christian Rabe »Das Žižek-Prinzip« wie folgt: »Ich sehe was, was du nicht siehst – obwohl es direkt vor deiner Nase liegt«.
Die Betonung liegt hierbei natürlich beim angesprochenen »du«. Etwas anderes wäre da schon »Ich sehe was, was ich nicht sehe – obwohl es direkt vor meiner Nase liegt«. Womit wir wieder bei Žižek wären: Kann ein »Ich« überhaupt das Direkte vor seiner/ihrer Nase sehen? Žižek wäre kein Lacanier, wenn er das bejahen würde.
Žižek spielt Punk
Žižeks eigene »blinde Flecken« erscheinen immer weniger unter diesem Gesichtspunkt. So erfrischend sein Denken »Auf verlorenem Posten« stellenweise sein mag, so komisch wirkt mittlerweile sein bockiges Draufhauen auf alles, was nur irgendwie mit Identitätspolitiken (vulgo das Minoritäre, Differente, Feministische, Queere etc.) zu tun hat. Das erinnert nicht nur an das längst überwunden geglaubte Gerede von »Nebenwidersprüchen« (oder wie es Franz Josef Degenhardt mal formulierte: »Zwischentöne sind Krampf im Klassenkampf«), sondern schlittert bei Žižek auch immer mehr in eine Richtung, wo political correctness einfach »Verklemmtheit« vorgeworfen wird (interessanterweise argumentierte ja auch Jochen Distelmeyer mit diesem Begriff gegen jene, die seine neuen Lieder als »Schlager« gelesen haben). Kurz: Alles linksliberale Weicheier! Dann doch lieber »Auf verlorenem Posten«, »für immer Punk« sein wollen und provozierendes Anecken mit der positiven Besetzung von Begriffen wie »Terror«, »egalitärer Schrecken«, »Umerziehungslager«, »Gulag« (wobei der Vorschlag einzig aus sich heraus schöpfende Kunst-Genies für zwanzig Jahre dorthin zu schicken schon verlockend ist). Gerade bei »Auf verlorenem Posten« untergräbt er sich immer wieder selber als Scharlatan, der jede Menge politischen Schabernack im Schilde führt. Kaum wird es in der »atonalen Welt« ohne fixen, verbindlichen Herrschaftssignifikanten (also in den neoliberalen globalkapitalisierten Kontrollgesellschaften) zu nebenwidersprüchlich, wird der totalitäre Joker gezogen. 2009 über Rammsteins angebliche ?beraffirmationsgesten zu schreiben (»Fürchtet euch nicht, genießt Rammstein!«) als ginge es um Laibach von vor 20 Jahren passt da leider ebenso ins Bild wie die Forderung nach »Informanten« (also Spitzeln). Das verwundert (und ärgert) umso mehr, weil Žižek beim Perodikum »Lacanian Ink« (www.lacan.com) sehr wohl große Anstrengungen unternimmt, an den Verkomplizierungen der Verhältnisse mitzuarbeiten.
Žižek spielt Žižek
Als Entwirrer des Komplizierten und Verkomplizierer des scheinbar banal Einfachen präsentiert er sich hingegen bei der ursprünglich als TV-Portrait gesendeten Philosophie-Doku »Alien, Marx & Co.«
Natürlich sind das alles vergnügliche Inszenierungen, die wir hier sehen. Žižek als ein im wahrsten Sinne des Wortes »wandelnder Exzess«, aber umgänglich und sympathisch. Kokett aber nicht eitel (Žižek ist keine Diva wie Lacan es war). Mitunter jedoch auch ein verkappter Kontrollfreak (wie im Vorgespräch mit einem französischen Radio-Redakteur); andererseits flippt er wie ein kleines Kind aus, als ihm DDR-Spezialitäten wie »Vita Cola« angeboten werden (bei einem Restaurantgespräch im Bonus-Teil). Und zu allem eine Rede parat! Das erinnert mitunter an Spongebobs »Ich bin bereit!« (auch Žižek kultiviert bekanntlich seine Ticks). Ein ewiges »Bla bla, blubber, fasel, fasel« – egal ob auf Englisch, Deutsch, Französisch, Slowenisch. Egal ob Marxismus, Hollywood oder sowjetische Science-Fiction-Filme. Faszinierend vom Anfang bis zum Ende. Er überwältigt einfach, zieht alles auf sich, ist der Mittelpunkt der Party.
Nur, sehen wir hier jemanden »beim Denken« zu (wie es bei Deleuze der Fall ist) oder (hauptsächlich) beim Reden? Um das nicht falsch zu verstehen: es geht hierbei (gerade mit Lacan als Herrschaftssignifikanten) ums Quasseln! Um jene Momente, wo der Redefluss entgleist und das Unbewusste selber zu sprechen (quasseln) beginnt. Žižeks »Wunsch«, nur »als Text« wahrgenommen zu werden scheitert so auch immer wieder an seiner Lust nach medialer ?berpräsenz. Hier noch verstärkt durch Begegnungen mit Alain Badiou und Jacques Rancière via Monitorzuspielungen. Hier sitzt Žižek, zusammen mit den virtuellen Manifestationen der restlichen linksradikalen, anti-identitätspolitischen »Gang of Three« der »Politik der Wahrheit«, in einem fast dunklen Raum, der, je nachdem, auch an dem unterirdischen Schlupfwinkel von Dr. No oder Dr. Evil erinnern kann. Vielleicht helfen diese Assoziationen ja auch über weite Strecken von »Auf verlorenem Posten« hinweg. Ebenso machen die DVD-Extras enorme Lust auf Philosophie. Vielleicht ist das ja auch der Punkt: Wenn schon alles qua Politik Scheiße ist, dann wäre Philosophie als Futter für die Birne ja wieder eine Option. Sonst bezichtigen sich bald ein stalinistischer Norman Bates und Jerry Lewis als Peppone gegenseitig der Farce.
Slavoj Žižek: Auf verlorenem Posten, 319 S., edition suhrkamp 2009, EUR 14,-
Susan Chales de Beaulieu, Jean-Baptiste Farkas: »Alien, Marx & Co. – Slavoj Žižek im Porträt«, DVD plus Extras und einem Essay von Jens-Christian Rabe, ca. 100 Minuten, filmedition suhrkamp, 2010, EUR 19,90