»Wir ham varlurn!«, ruft Michi, genannt »Hämma«, ins Mikrophon. »Wie ma nur verlieren kann!« Das Publikum schreit mit. Lauthals gröhlend. Viel Publikumsbeteiligung hier, im Venster, der Punk-Hütte am Wiener Gürtel bei der U6- Station Alser Straße. Das Publikum spiegelt die Bühne. »Niemand ist varlurn, weil heute noch keiner gestorben ist«, sagt Alfi, der zweite Punk mit Lebenserfahrung, von der Bühne herunter und schrummt seine Gitarre, die wie ein Bass klingt. »Just do it!«, schreit ein Lustiger aus dem Dunkel heraus. »Wir sind nicht verloren! Noch nicht!«, ist die Antwort. »Weil ma ka Hian ham«, geht der Liedtext weiter. »Juhu!«, schreit das Publikum. Zwei Frauen hüpfen nach vorne und springen gleich tanzend durch die Gegend. Das Venster ist bekannt für seine kleinen, lustigen Konzerte und berühmt berüchtigt für seine Spaßpunk-Partie. Besser gesagt: bekannt für seine echten alten Punks, die noch immer Spaß haben.
Heute stehen aber zwei Herren auf der Bühne, die bei der Band Dope, Guns und Fucking in the Street spielten, bis einer der ihren, der Kellner des Arena-Beisl, verstarb und der lange Gustl aus der Ägidigasse sich in die innere Emigration zurückzog. Er war der Sänger der wieder auferstandenen Band und brachte Rock’n‘ Roll-Feeling ein. Nun haben Hämma und Alfi alleine eine Band gegründet, DeValira. Heute stehen sie aber immerhin in langen Hosen auf der Bühne, nicht wie bei ihrem ersten Auftritt in Untergatte. Michi spielt rasant am Schlagzeug, stark treibend, »Wir ham verloooooren«, Trommelwirbel, yeah. Das englische »Loser« klingt ganz anders und dem fehlt dieser rotzig-trotzige Beigeschmack des Rebellischen, Aufmüpfigen. Vorne spielt einer mit Hut imaginär Ziehharmonika mit, zieht sie auf und drückt sie zu – lauter VerliererInnen da und auch noch stolz drauf!
Zum Verhältnis von Alk und Sex
Männerwitze machen DeValira auch, bzw. heutzutage heißt das wohl genderfreundliche Selbstironie. Männer als Verlierer, das hört man selten, abgesehen von der Väterbewegung mit ihrem oftmals verdrehten Hass auf Frauen. Verlierer, und dann auch noch mit Augenzwinkern. Männer! Geschlechterbeziehungen! Ironie! »Hallihallo«, sagt Michi hinterm Schlagzeug hervor. »Jetzt kommt ein schwieriger Song, da geht’s ums Pudern.« »Ficken heißt des«, wendet Alfi ein. »Pudern!« Schlagzeugeinsatz. »Ich sitz (wo versteht man nicht) und frag‘ mich, ob ich heut‘ pudern soll. Und ich sauf mich an, dass ich nicht mehr pudern kann.« Das Publikum ist von den Socken. Lieber saufen, als Frauen näher kennenlernen, tja – da reißt es doch den einen oder anderen gedanklich hin und her. Welche Begierde steht uns näher? Und kommt auf Dauer billiger? Eine Frau ruft rein: »Primitiv!« Andererseits scheint sie schon ziemlich angesoffen zu sein. »Ich überlege, ob ich heute pudern soll oder tue ich mir das heute nicht mehr an!«, schallt es von der Bühne. Melodie, Refrain, Strophe. Viele tragen ein leichtes Lächeln im Gesicht. »Beim pudern muss man aufpassen, weil das kann eine Liebesgeschichte werden und die können ziemlich hart ausgehen«, gibt Alfi Liebesunterricht für Anfänger. Aber im Interview vor dem Konzert meinte er auch, dass sie auf Minimalismus stehen. »Wir haben nicht viel zu sagen und das wiederholen wir.« Und dass sie »anarchistisch verwurzelt« wären und einen »Kulturauftrag hätten«. Es gibt einen neuen Song über die »Pizzeria Anarchia«. »Ich bin Solidaritäts-Anarchist, ich gehe erst auf die Straße, wenn es wirklich wichtig ist«, tönte Alfi. »Das ist aber schön«, grinste Michi. »Demonstrieren ist die letzte Möglichkeit, bevor man kriminell wird. Auch wenn meine Musik nicht so hart ist – ich lebe so. Ich bin kein harter Terrorist, der denkt fuck off and die.« Alfi will schließlich leben. Sein Vater wurde von der Kärntner Gestapo als »Zigeuner« umgebracht. Insofern ist er ein klassischer Punk, zweite Generation nach dem Holocaust.
Janis Joplin-Fan und Fäkalsprache
»Satire kann sehr einfach sein. Wir sind intellektuell unkompliziert«, manchmal weiß man bei den beiden nicht, ob etwas selbstkritisch oder ironisch gemeint ist. Lachen muss man so oder so, wenn man die beiden Helden anschaut. »Wir haben keinen Erklärungsbedarf«, betont Alfi vor dem Venster auf der steinernen Umrandung der Wiese sitzend. Die Autos brausen am Gürtel vorbei. Wiener Nachtleben. »Wir san die Partisanen in der Disko.« Alfis zweite Band heißt Holly Huricans. »Vor dem Konzert war ich beim Spiel Sportclub gegen Vienna – ein verdientes Unentschieden. Wir werden nie mehr so wie früher sein, aber Janis Joplin did the same. They are all in heaven. Ich bin der treuste Fan«, sagt Alfi und schaut in seine leere Bierdose. Unergründlich. Das letzte Lied der Valira strotzt vor Fäkalsprache, man könnte glauben, man sei im Kindergarten, in einem Alter, wo endlich die Windeln abgelegt werden – auf was hier alles geschissen wird. »Ich bin der Tatanion aus Patanion«, ruft Alfi. Paterunion? Patagonien? Die Band war gerade auf Ausflug in Murska Sobota in Slowenien, weil ein Bassist dort eine Ranch besitzt.
»I bring mi um, i drah di ham. Mi? Di?«, ohne Wien und das Wienerische bzw. Österreichische würde man den Hintergrund nicht verstehen, doch sogar der Brite Fränk, der in einer Londoner Punk-Band spielte und der Band einen Liedtext* spendieren wollte, kommt inhaltlich mit. Tabus in die Öffentlichkeit und mit den Mitteln der Ûbertreibung und Persiflage bearbeiten, ist die Devise. »Ich kann euch nur empfehlen, dass ihr einen Spaß habt’s. Wir scheißen jetzt auf was«, resümiert Alfi, bevor er öffentlich auf der Bühne musikalisch untergeht und Michi verzweifelt. Ein typischer Verlierer halt.
*»Trying to swim to Fortress Europa« über die im Meer ertrinkenden Afrikaner, eine Ode an das Mitgefühl.