Graffiti auf dem Denkmal des ehemaligen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger in Wien in Anspielung auf seine antisemitische Haltung gegenüber dem Judentum, September 2020 © Kasa Fue, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0
Graffiti auf dem Denkmal des ehemaligen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger in Wien in Anspielung auf seine antisemitische Haltung gegenüber dem Judentum, September 2020 © Kasa Fue, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

Wien hat’s hinter sich

Die verkorkste Debatte über die Um- oder Neugestaltung des Lueger-Denkmals im 1. Wiener Gemeindebezirk zeigt, dass die Verantwortlichen in der Stadt dem eigenen, weitgehend sinnlosen Repräsentationsbedürfnis auf den Leim gehen.

Kulturstadträtin Kaup-Hasler muss eine gewisse Schläue und Weisheit attestiert werden, wenn sie mit Lennon/McCartney sagt: »Let it be.« Tatsächlich ist es das Beste, im Moment nichts mit dem gruseligen Lueger-Denkmal zu machen. Die aktuelle Ergänzung (andere würden sagen »Beschmierung«) mit dem in roter Farbe ausgeführten Schriftzug »Schande« passt eigentlich ganz gut. Außerdem spiegelt sie auch die hitzige Debatte wider, die 30 Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und Politiker*innen an einen ungewöhnlich großen »Runden Tisch« befahl. Vielleicht wird nun so lange diskutiert und beausschusst, bis der Schriftzug »Schande« unter Denkmalschutz gestellt wird und jährlich vom Magistrat mit roter Sprühfarbe nachgezogen werden muss. Es wäre als Metapher ein fügliches Ende einer Debatte, die letztlich zeigt, dass auch tausend Kommissionen mit Empfehlungen für den richtigen Umgang mit Geschichte nichts an dem Faktum ändern können, dass die Stadt in der Übermacht der eigenen Historie längst ertrunken ist. Wien ist halt ein Has-been.

Wollt ihr euch überhaupt erinnern?

Über Adaptierungen wird man ja wohl nachdenken dürfen, wie beispielsweise in dem Füllhorn guter Vorschläge, das bereits 2020 auf skug unter dem Titel »Denkmalsturm in Krähwinkel« erschien. Aber auch hier ist das Augenzwinkern unverkennbar, niemand im Umfeld der skug-Redaktion hat zu irgendeinem Zeitpunkt geglaubt, dass tatsächlich etwas Nennenswertes passieren würde. Zu fest sind die Gräben in Wien gezogen. Wenn nämlich die »Roten« den einzigen, leidlich bedeutsamen »schwarzen« Bürgermeister abmontieren, dann werden die »Schwarzen« nicht Ruhe geben, bis der »Karl-Marx-Hof« in »Peter-Rosegger-Höflein» umbenannt wird. Aber keine Angst, weder das eine noch das andere wird passieren. Genau deshalb ist die Wiener Obrigkeit gegen jede Art von »Cancel Culture«, weil das Umwerfen von Denkmälern, sei es auch von Mördern, Rassisten oder Antisemiten, einfach politisch zu gefährlich ist.

Die Unsichtbarkeit jeden Denkmals ist Politiker*innen leider noch nie aufgegangen. Wer die Bürger*innen der Stadt befragt, warum ihr Gemeindebau so heißt, wie er heißt, oder wer die Type ist, auf die die Tauben im Hinterhof koten, wird selten bis nie eine historisch brauchbare Antwort erhalten. Volksvertreter*innen stehen aber einfach auf das Steinzeug und haben es deshalb – und in sehr ungeschickter Weise – zum Teil des politischen Spiels gemacht. Der repressive und immer reaktionäre Kampf gibt dem Streit um die Deutung des Vergangenen eine viel zu große Wichtigkeit. Für Politiker*innen ist folglich die Vision der Zukunft meist weniger wichtig als die Visionen der Vergangenheit. Gerade Wien ergeht sich hier in übergeschnappter Beschilderung. An nahezu jedem Haus ist ein Taferl, das kundtut, welcher Bürgermeister und welcher Stadtrat, welchen Aufgabengebietes auch immer, für die Errichtung verantwortlich war. (Aufs Gendern kann hier getrost verzichtet werden, denn Männer sind im Wiener Straßenbild deutlich überrepräsentiert).

Deshalb muss jetzt auch die Leistung des schäbigen Antisemiten und Populisten Karl Lueger (Fans: u. a. A. Hitler) in ihrer »Komplexität« gewürdigt werden. Stichwort »Hochquellenleitung« und »Modernisierer der Stadt«. Hier zeigt sich die Kraftlosigkeit sozialdemokratischer Geschichtsschreibung, die sich selbst ad absurdum führt, wenn sie allzu bürgerlich personalisiert. An die »Fragen eines lesenden Arbeiters« könnte einmal erinnert werden. Hat der Herr Lueger die Kanäle gegraben, die Wien mit frischem Wasser versorgen? Hat er die Pläne gezeichnet? Hat er all die logistischen Schwierigkeiten gelöst? Sicherlich nicht. Hatte er überhaupt die Idee dazu gehabt oder war die auch von jemandem, der heute im Dunkel der Geschichte verschwunden ist? Eine Sozialdemokratie, die jeden gebauten Schas personalisieren muss und sich ständig vor der »Leistung« von Bürgermeistern und Stadträten verbeugen will, versteht dies natürlich nicht. Bei der historischen Leistung des Herrn Lueger wäre es im Übrigen noch interessant, zu erörtern, wie er es um die Jahrhundertewende vom 19. ins 20. hätte anstellen sollen, die Industrialisierung und Modernisierung der Stadt zu verhindern. Wiewohl die damaligen Leistungen auf dem Feld der Verhinderung durch die Habsburger beachtlich waren, aber dafür wird ihnen ja auch in unzähligen Denkmälern gedankt.

Wir können ja nichts mehr ändern – leider

Der Ort an dem das Lueger-Denkmal vor sich hin stänkert ist übrigens sehr bezeichnend für das wienerische Ersticken in Geschichte. Das Denkmal steht natürlich auf dem Dr.-Karl-Lueger-Platz, der übrigens per Federstrich der Verwaltung umbenannt werden könnte – Problem dabei, siehe oben. Der Platz liegt selbst auf der ehemaligen Dominikanerbastei und ist somit Teil der Ringstraßenverbauung. Nachdem im 19. Jahrhundert die Verteidigungswälle der Stadt militärisch unsinnig geworden waren, entschieden sich die Stadt- und Staatsoberen jener Jahre, in einem Exzess der Selbstrepräsentation den freigewordenen Raum zu einer Prachtstraße umzubauen. Ein Schlag, von dem sich die Stadt Wien nie mehr erholen sollte.

So wie zuvor die Basteien und Mauern die Stadt eingeschnürt hatten, legte sich ein Ring verblödeter Protzbauten um die City. Dem Geschmack der Zeit geschuldet wurden historisierend italienische Palazzi oder gotische Spukschlösser nachgebastelt. Dem Gedanken einer Prachtstraße völlig widersinnig geht es dabei immer um die Ecke. Das war vielleicht der Entwicklung der Psychoanalyse förderlich, sieht aber im Erscheinungsbild deppert aus, denn so wirkt die Stadt, die auf groß machen will, immer eigenartig klein. Paris kann bis heute über Wien nur lachen. Städtebaulich ist die Ringstraße ein einziger Griff ins Klosett, weil der Stadtkern des ersten Bezirks umschlossen und abgekapselt wird (und deshalb so seltsam leblos ist), die äußeren Bezirke aber nicht erschlossen werden können, wegen der Wagenburg der Protzbauten. Ist alles schon hinlänglich und vor langer Zeit beschrieben worden, nachzulesen etwa bei Adolf Loos. Und was nützt es? Kann ein einziges dieser Prachtbauterln weggesprengt werden, um eine bessere Stadterschließungen zu planen? Neue menschenfreundlichere Räume erschlossen werden? Ökologischere vielleicht sogar? Eine bessere und urbanere Nutzung gebaut werden, die den verwaisten »Ersten« mit dem Rest der Stadt verbinden? Nö, darüber braucht niemand nicht einmal nachdenken, denn das wird auf ever unmöglich sein. »There will be an answer: Let it be«.

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