Szene aus »Nico 1988« von Susanna Nicchiarelli © Emanuela Scarpa
Szene aus »Nico 1988« von Susanna Nicchiarelli © Emanuela Scarpa

»When I was beautiful, I was unhappy«

Sie war die »Godmother of Goth«, einflussreiche Avantgarde-Musikerin und in einem anderen Leben vielleicht einfach nur schön – Christa Päffgen alias Nico. Susanna Nicchiarellis aktuelles Biopic »Nico 1988« zeigt die Musikerin lange nach ihrer Modelzeit und ihrer kurzfristigen Phase bei The Velvet Underground.

Vor 30 Jahren, am 18. Juli 1988, starb Christa Päffgen, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Nico, aufgrund einer Hirnblutung auf Ibiza. Sie war mit dem Fahrrad gestürzt und im Krankenhaus war das geplatzte Aneurysma, das sie sich dabei zugezogen hatte, nicht bemerkt worden. 49 Jahre alt wurde die aus Deutschland stammende Musikerin. Nach ihrer Rückkehr von der Baleareninsel nach England hätten die Arbeiten für ein neues Studioalbum beginnen sollen.

Nico (Trine Dyrholm) und ihr Sohn Ari (Sandor Funtek) © Filmladen Filmverleih

Die letzten Jahre
Susanna Nicchiarellis Biopic »Nico 1988« konzentriert sich auf die letzten drei Lebensjahre der Künstlerin, in denen sie unter anderem eine Tournee durch osteuropäische Staaten machte und endlich ihre schwere Heroinsucht überwand. Grundlage für das Drehbuch waren in erster Linie Gespräche mit Menschen, die Nico persönlich kannten, darunter ihr Sohn Ari. Der Film zeigt also Szenen aus Nicos Leben in den Jahren 1986 bis 1988, beginnend mit dem Aufbruch zu ihrer letzten Radfahrt, dann Schnitt zurück auf 1986, wo es chronologisch weitergeht mit Alltagsdingen wie einer Wohnungsbesichtigung, (mitunter desaströsen) Auftritten, drogenbedingter Euphorie und Paranoia im Tourbus, Gesprächen am Küchentisch, Interviews mit taktlosen und schlecht vorbereiteten Journalisten und dem ganz normalen Wahnsinn, der das kompromisslose Leben Nicos begleitete. Eingestreut sind kurze Rückblenden, etwa auf die Kindheit Christa Päffgens oder die Geburt ihres Sohnes. Dazwischen Original Film-Footage aus den 1960ern und 1970ern aus dem Archiv Jonas Mekas’: Warhol, The Factory, New York, wirres Flackern von Citylights und Bühnenspots.

»Nico 1988« ist das Porträt einer selbstbestimmten Frau, einer nicht nur aufgrund ihres Drogenkonsums schwierigen Zeitgenossin, die trotz sonstiger Unzuverlässigkeiten und Crazyness eine äußerst professionelle Musikerin war. Natürlich ist der Film wie alle biografischen Spielfilme auch Fiktion, Nicchiarelli begeht jedoch nicht den Fehler, ihre Hauptfigur zu erhöhen oder gar zu verklären. Dargestellt wird Nico von der dänischen Schauspielerin und Sängerin Trine Dyrholm, die tatsächlich in die Rolle Nicos schlüpft und sie nicht bloß imitiert. Der Film verzichtet auf Playback, Dyrholm singt die zahlreichen im Film vorkommenden Songs selbst, nicht mit dem harten deutschen Akzent Nicos, aber doch in einer ihr nah kommenden Stimmlage. Wer bereits ein wenig mit dem Leben und Werk Nicos vertraut ist, wird dem Film vermutlich leichter folgen können, möglicherweise verleiht Unbelecktheit dem Filmkonsum aber auch Spannung. Schön wäre es, »Nico 1988« im Double-Feature mit Susanne Ofterdingers Doku »Nico Icon« von 1995 zu sehen.

Nico (Trine Dyrholm) bei einem Live-Auftritt © Filmladen Filmverleih

»I hate the word ›commercial‹«
In vielen Texten und Infos über Nico (ärgerlicherweise sogar in der Presseinfo zum Film) wird sie zuerst als Supermodel, Warhol-Muse, Velvet-Underground-Sängerin beschrieben, erst danach wird ihre Solo-Musikkarriere erwähnt. Rund zwei Jahrzehnte lang, bis zu ihrem Tod, arbeitete sie als Musikerin, schrieb Songs, nahm sechs Studio- und sieben Live-Alben auf. Kommerziell war sie damit nicht erfolgreich (Nico: »I hate the word ›commercial‹«), zu ungewohnt, zu düster, zu wenig eingängig für damalige Hörgewohnheiten waren ihre Songs.

Heute gilt Nico als eine der einflussreichsten Frauen in der Popgeschichte. Mitunter wird sie quasi als Erfinderin der Gothic-Szene gesehen (schwarze Kleidung, Lyrics, die sich oft mit Tod und Wahnsinn beschäftigen usw.) und auch Ambient-Pioniere berufen sich auf den Einfluss ihrer Musik. Mit Velvet Underground hatte sie nur drei Songs auf deren Debütalbum aufgenommen (»Femme Fatale«, »All Tomorrow’s Parties» und »I’ll Be Your Mirror«), bei Auftritten spielte sie Tambourin und fühlte sich als eine Art Bühnendeko. Dass die Chemie zwischen Velvet Underground und Nico nicht gerade die beste war, ist kein Geheimnis. Ihren Wunsch zu erfüllen, selbst musikalisch kreativ zu sein, war für sie in der Band nicht möglich. Für ihre eigene musikalische Entwicklung war die kurze Zeit mit Velvet Underground trotzdem von eminenter Bedeutung. John Cale produzierte mehrere ihrer Alben (z. B. »Desert Shore«, »The Marble Index«) und trat in den 1980ern mit ihr gemeinsam auf.

»Am I ugly?«
Es heißt, Nico sei das allererste Supermodel gewesen. Models nannte man damals Mannequins (frz. Gliederpuppe, Schneiderpuppe) und wie Puppen gab man diesen jungen Damen nur Vor- oder Spitznamen wie Capucine, Veruschka, Twiggy oder eben Nico. Gegen die Reduktion auf ihr perfektes Äußeres wehrte sich Christa Päffgen immer. Modeln war für sie nur eine Verdienstmöglichkeit und gab ihr die Chance, Deutschland zu verlassen. Später sah sie ihre Schönheit geradezu als Hindernis. Im Film gibt es diesen Dialog zwischen ihr und ihrem Tourmanager Richard: Nico: »Am I ugly?« Richard: »Yes, very.« Nico: »That’s good. Because when I was beautiful, I was very unhappy.«

»Nico 1988« ist ab 20. Juli 2018 in den österreichischen Kinos zu sehen.

Link: https://www.filmladen.at/film/nico-1988/

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