Christian Nothaft hat sein bisheriges Werk als pcn überarbeitet und daraus das Opus Magnum »Collector« kompiliert. Dieses Vinyl-Doppelalbum, erhältlich auch als Stream + Download auf Bandcamp, gab auch Anlass für ein Interview mit dem Münchner Gitarristen. Notizen des Instrumentalisten paaren sich mit Hörempfindungen des Autors, was dem »Collector« einen besonderen Anstrich verleiht.
A-Side
Der Hörreigen beginnt auf Seite A mit »Kind Ness«: »Mein erstes am Computer mit Samples konstruiertes Stück, mit eigenen Samples, deren Sounds etwas naiv das Stück tragen, aber groovy.« Klingt wie eine feine Klangschleifeninstallation mit House-Music-Exzerpt, nicht vertrackt wie Chicago Footwork, sondern als purer Loop verbleibend. Auf »Meimnot/Minimal Bop« hört man deutlich, dass ich von der Gitarre her komme …«, wobei pulsierende Gitarrenloops sehr schön ineinander aufgehen und zwischendurch Störbleeps wie auf einem Editions-Mego-Album reinfunken. »8E« enthält »abgesehen von den Drums mehr oder weniger verfremdete Samples und außerdem No-Input-Sound«, was sich wie gepitchte Elektroniksounds mit Hintergrundgrummeln anhört. Fürwahr ein futuristischer Track, während »Von den Arten« in den Lyrics Schaltkreise querfeldein schräg verkuppelt. Ein tänzelndes Stück Musik, vergnüglich, frohgemut, erfreut das Herz, mit »hauptsächlich Samples von Beethovens ›Fünfter‹, tänzelnd-taumelnd zwischen 4/4 und 3/4, als Bett für den nicht ganz ernstgemeinten Text zu einem bestimmten Aspekt des Themas ›Geschlechterkampf‹/›Gleichberechtigung‹«.
B-Side
Die B-Seite hebt an mit »Back at Maggie’s Funny Farm«, mit fröhlichen Synthiemelodien, die sich im Kreis drehen, Enten quaken, und wie! Erinnert schwer an Der Plan, doch was intendierte pcn? »Groove und Fun … wegen dem Titel: Bob Dylan kam mir natürlich bei den Tiersounds in den Sinn, er zitiert aber auch Motörheads ›Back at the Funny Farm‹. Keine eigenen Samples hier; wurde alles ausnahmsweise in einem kleinen Programm namens ›mario paint composer‹ gemacht.« »Zombie Dance Parade« macht auf ähnliche Weise Spaß. Ein ideensprühender Teufelsritt. Speedio mit spiraligen Referenzpunkten, die eine ähnlichen Schalk wie Felix-Kubin-Tracks im Nacken sitzen haben. »Auf diesen Psychedelic Industrial House Track, gestrickt aus verschiedenen Klangquellen, folgt mal wieder ein Track mit omnipräsenter Gitarre, eng verschränkt mit mancherlei anderem. Ursprünglich für einen Videovertonungswettbewerb für Anton Kaun alias Rumpeln gemacht.« Dieses »Box’s Way« klingt wie das Aufeinander-Crashen von Gitarrenloops. Schroffe Eleganz auch auf »Nr. Null«, das im Spiralnebel tänzelt. »Hier bilden Gitarrenloops die rohe Substanz, die schließlich mit Synthie-Pop gekrönt wird«, während das songhafte »Human (Owdtodon)« eine Reminiszenz an Captain Beefheat darstellt, »vom experimentellen Ansatz bis zur Stimmenimitation. Die hämmernden Sounds bestehen aus einem Gitarrenakkord, der atonal geschichtet wurde, und das Noise-Solo in der Mitte orientiert sich durchaus an der Machart der Leadgitarren, die bei ihm üblich waren.«
C-Side
Die C-Seite eröffnet mit der »Sti_ick Suite«, einer »speziellen Komposition mit Samples, genauer gesagt solchen, bei denen immer der titelgebende Stock benutzt wurde. Ein recht komplexes Ding, in dem tanzbare Rhythmen meistens eine Rolle spielen.« Es rattert und rumort in dieser extravaganten Suite wie in einer altertümlichen Textilfabrik. Ein schräges manipuliertes Sample setzt eines drauf! Passend auch der Titel von C2: »LC OP (Schwingkreis Module)« trägt ein Sound, der tatsächlich an die Partys in stillgelegten Fabrikhallen oder Warehouses anknüpft. Ein dermaßen trockener Techno, wo nach einiger Zeit die Module zu tanzen anfangen. Klingt auch 2023 unverbraucht, eben, weil der Mut zum Experiment drinsteckt. Hervorgegangen ist dieser längere Track »aus einer Improvisation mit einem Software-Synthesizer. Eines der wenigen Stücke, das nicht auf Samples basiert. Lange habe ich überlegt, ob ich das zusammenkürzen soll, aber der Flow funktioniert mit dem Techno-Beat so gut, dass ich schließlich nur ein paar Längen rausgezwackt habe, ansonsten so wie improvisiert.«
D-Side
Die Platte wird gewendet und mit »Back« ertönt zu Beginn der Seite D ein verschroben schönes Lied, das in seinen Lyrics an den großen Kevin Coyne erinnert, mit eingestreutem Toy-Piano. Christian Nothaft hat auch das Zeug zum Songwriter, doch »es gibt wenige Lieder von mir, weil ich mir mit Texten schwer tu. Aber ›Back‹ ist, denk’ ich, gut gelungen, wohl auch, weil ich mit dem Thema Depression/Phlegma vertraut bin.« Dann groovt sich ein Synth ein, das Hämmern klingt wie das Dengeln einer Sense. Das tolle Quietschen und Quaken ist zurück in »Funny Farm Basement«, in dem sich grandios tönende Effekte breit machen. Hat Flavour und ist die »Weiterspinnung von ›Back at Maggie’s Funny Farm‹, aber bei ganz anderer Stimmung; wer weiß, was da in diesem Keller passiert …« Im Erdgeschoß eiert ein etwas unrunder Machinefabriek-Vorschlaghammer, Gitarrenschneisen und grelle Geräusche fahren drein. Helle Freude beim Hören von »A Log, A Mallet And The Sledgehammer«, das ein Versuch ist, »mit reduzierten Samplequellen Musik zu machen, sprich, hier eben ein Holzklotz, ein Schlägel und ein Vorschlaghammer, aus denen die meisten Sounds generiert wurden«. Darauf marschiert in »021903/Restux« eine Drummachine los, derbe Basssynthläufe sorgen für Tempo und der Rezensent stellt sich bei einem klanglichen Intermezzo vor, dass die Geräusche eines Nadeldruckers eingearbeitet seien. »Ein Nadeldrucker ist hier nicht dabei. Ich bin nicht sicher, ob ich einen solchen bei einem Remix verwendet hab’ oder er noch unverwendet im Samplelager liegt, doch handelt es sich hier um eine bunte Mischung aus Klangquellen, aber Sample-lastig.« Das Finale birgt mit »Walk Like Me« den dritten Song auf diesem fulminanten Doppelalbum. Nothafts Gesang und der besondere Hall lassen an eine Beatles-Produktionsphase (»Walrus«?) denken. Kurz und schnurz, mit harmonieseligem Widerhaken. Es ist eines der frühesten pcn-Stücke: »Nachdem ich das 4-Spur-Homerecording wie die Achtziger hinter mir gelassen hatte, habe ich ab 2000 erstmals wieder alleine (damals neben der Band) mit neuen computergestützten Möglichkeiten Musik gemacht. Der Drumgroove kommt hier das erste und letzte Mal komplett aus der Dose (nicht ohne kleine Haken einzufügen); aber egal, kann man schon mal machen. Die Musik ist gitarrenorientiert, der Text ist reiner Nonsens.«