Samstag, 16. Juni 2018. Wie jedes Jahr ist es auch heuer wieder so weit: Die Regenbogenparade bewegt sich einige Stunden lang in Wien über den Ring entgegen der Fahrtrichtung. Es herrscht ein wunderbarer Ausnahmezustand, der sich an keinem anderen Tag des Jahres so vorstellen lässt: Die heterogenormte Welt wird für einen Tag in ihr Gegenteil verwandelt. Personen sind gestylt, dass es einer/m die Sprache verschlägt, um selbstbewusst und stolz Diversität und Andersartigkeit zu demonstrieren und zelebrieren.
Am 28. Juni 1969, zu einem Zeitpunkt, da Outings von Homosexuellen gesellschaftlich nicht vorstellbar und geduldet waren, kam es in New York bei regelmäßigen Razzien in schwulen Lokalen zum ersten Mal in einem solchen, dem Stonewall Inn in der Christopher Street, zum Widerstand gegen die Polizei. Dieser von Gewalt gekennzeichnete Tag stellt den Beginn einer weltweiten Emanzipationsbewegung von LGBTIQ dar und war Anstoß der vielerorts Christopher Street Day – kurz CSD – genannten, jährlich stattfindenden Umzüge.
Katholisches Österreich
Wie verhält es sich also hierzulande? Viele Queers aus meinem Freund*innenkreis sind inzwischen angenervt von dem vielen »Klimbim« um die Regenbogenparade und wollen aufgrund ihrer kapitalistischen Vermarktung und Ausschlachtung daran nicht mehr teilnehmen. Ich bin zwiegespalten: Trotz des revolutionären Song-Contest-Gewinns von Conchita Wurst 2014 kann nicht behauptet werden, dass im konservativen Österreich, dem der katholische Glaube durch und durch eingeschrieben ist, alle Kämpfe um Gleichberechtigung schon gewonnen wären.
Nach wie vor schlagen einer/m homophobe Anfeindungen entgegen, wenn mensch gleichgeschlechtliche Präferenzen im öffentlichen Raum nach außen trägt. Ein Glück, dass der CSD in Wien nicht wie z. B. in osteuropäischen Städten wie Budapest von der Polizei bewacht werden muss, damit den Partizipierenden nicht gewaltsame Attacken vonseiten der Bevölkerung widerfahren. Ein Kennzeichen autoritärer Systeme ist als erstes die Anfeindung, Kriminalisierung von und Gewalt gegen LGBTIQ-Personen, wie sie in Russland, der Türkei, im Iran etc. zu sehen sind, um nur ein paar wenige Länder zu nennen.
Homogene Identität?
Was mir bei der Regenbogenparade allerdings Unbehagen bereitet – Judith Butler sei Dank – ist das vermeintlich einheitliche »wir«, das jedem CSD wie auch der Regenbogenparade Wien zugrunde liegt. Keine partizipierende Gruppe bzw. Identität lässt sich abschließend definieren und festlegen, ohne dass ein normierender Akt passiert, der wieder Personen ausschließt und als nicht »dazupassend« stigmatisiert. Deshalb kann ich mich unter die Gruppe »Homos«, »Lesben« und »Frauen« nur bedingt subsumieren. Da passt dann am besten für mich noch die Gruppe »Queer« für meine Definition, wenn ich nämlich immer wieder ausreißendes und uneinordenbares Verhalten an den Tag lege.
Nichtsdestotrotz haben am Samstag genug Leute ihren Arsch hochgekriegt und sind bei der Regenbogenparade Wien mitmarschiert. Laut ORF gab es 2018 einen Teilnehmer*innen-Rekord von rund 200.000 Personen. Der politische Kampf auf der Straße ist nach wie vor notwendig und eine wichtige, verändernde Strategie!