Wenn sich alternative Medien im Mai 2019 von Jens Kastner (»Bildpunkt«) per E-Mail zum Gespräch laden lassen, dann sind die Fragen auch gerne mal etwas länger als die Antworten. Nur, in der Frage erkennen die geneigten Leser*innen natürlich die Sicht von »Bildpunkt« und in den Antworten jene der »an.schläge«, des »Augustin«, der »Frauen*solidarität«, der »Volksstimme« und von skug. Bemerkenswert ist das allemal und ein weiterer guter Grund, sich am 29. Juni 2019 zum BAM-Fest auf dem Ottakringer Familienplatz aufzumachen.
Bildpunkt: Was ist »alternativ« an eurem Medium?
Volksstimme: Wir wollen jene emanzipatorischen und progressiven Details und Zusammenhänge zu Papier bringen, die das Fenster in eine radikal andere Gesellschaft öffnen. Dazu gehören Analysen dessen, was gerade schiefläuft und ebenso die Lichtblicke.
Frauen*solidarität: Das Feministische! Das Nord-Süd-Verhältnis aus feministischer Sicht zu betrachten, ist ein alternatives Info-Angebot für den deutschsprachigen Raum.
Augustin: Erstens die Vertriebsform: Der Augustin ist nur über unsere Verkäufer*innen auf der Straße erhältlich. Zweitens die inhaltliche Ausrichtung: Themen, Menschen, Texten Platz geben, die in Mainstream-Medien nicht vorkommen, mit Schwerpunkt Soziales.
Der Begriff alternative Medien ist nicht zu denken ohne die »Alternativbewegungen« der 1970er- und 1980er-Jahre. Sie sind ein Effekt der Revolten von 1968. Alternative Medien sollten den dominanten Formen des Journalismus andere Inhalte entgegensetzen: Marginalisierte sollten eine Stimme bekommen, als abseitig wahrgenommene Themen wie Ökologie oder Feminismus sollten behandelt und forciert werden. Aber nicht nur die Inhalte, auch die Methoden der Medienproduktion sollten »alternativ« sein. Was ist aus diesen Ansprüchen geworden? Gelten sie heute noch?
Augustin: Ja, wir versuchen sie umzusetzen. Unsere Methoden sind für viele vielleicht unmodern, aber bei uns gibt es keinen »paid content« und ähnliches, wir sind sehr wählerisch bei Werbekund*innen.
an.schläge: Viele Abläufe haben sich professionalisiert, dadurch ist auch die Arbeitsteilung größer als früher, als fast alles kollektiv erledigt wurde, was aber zu enormen Arbeitsbelastungen geführt hat. An den kollektiven und konsensuellen Entscheidungsprozessen halten wir aber unbeirrt fest.
Volksstimme: Im Prinzip gelten die Ansprüche schon noch, aber alternativ kann nicht nur aus den Erfahrungen der 1968er abgeleitet werden, sondern hat auch im historischen Diskurs den Anspruch, gegen herrschende Verhältnisse nicht nur für, sondern mit den Betroffenen zu schreiben. »Alternativ« stellen wir die Machtfragen in einer Gesellschaft, die demokratische Entwicklungen verhindert, und wie diese verändert werden kann.
Frauen*solidarität: Uns ist es jedenfalls wichtig, niederschwellig zu sein, wenig Hierarchien zu haben und dass Menschen mit weniger journalistischer Erfahrung publizieren können.
Gibt man heute »alternative Medien« bei Google ein, erscheint eine Liste von rechten bis protofaschistischen Medienprojekten. Ihr Begriff von »alternativ« orientiert sich an dem der »alternativen Fakten«, den die Trump-Administration eingeführt hat und der letztlich nichts anderes als Lügen bedeutet. Will man die Google-Suche nicht allein den Algorithmen zuschreiben, hat offenbar ein hegemonialer Paradigmenwechsel stattgefunden im Verständnis dessen, was alternative Medien sind. Wie konnte es dazu kommen und wie ist damit umzugehen?
Frauen*solidarität: Indem sich die wirklich alternativen Medien zu einem Bündnis wie BAM! zusammenschließen und sich gegenseitig stärken. Im Bewusstsein, dass die feministischen Medien in einem solchen Bündnis zum Hauptfeind der Rechten gehören, denn wir propagieren ja angeblich den »Genderwahn« (den die Rechten selbst erfunden haben).
skug: Mit dem Begriff »alternativ« ist es ein wenig so wie mit dem der »Zeit« bei Augustinus. Man weiß genau was gemeint ist, so lange man nicht darüber nachdenkt. Alternativ ist ein Lustwort. Wer ist schon zufrieden, mit dem was ist? Deswegen hat eine Alternative immer einen hohen Reiz. Lange Zeit war der Begriff links konnotiert, weil tatsächlich auch nur die Linken an gesellschaftlichen Veränderungen interessiert sind und daran arbeiten. Rechte und konservative Kräfte wollen eben gerade keine Änderungen. Irgendwann haben viele, insbesondere Rechtsextreme, gemerkt, dass der Begriff Wirkung erzielt und dies lag wohl an Maggie Thatchers »TINA« (there is no alternative) oder auch an Merkels »Alternativlosigkeit«, durch die eine immer unerträglichere Unabänderlichkeit suggeriert wurde. Die Rechte bedienten sich des Wortes mittels der falschen Erzählung vom »Sieg der Linken« (bzw. der Sozialdemokratie), zu dem sie nun die Alternative sein wollten. Das ist lächerlich und absurd. Deswegen sollte BAM! die Alternative wieder dahinrücken, wo sie einzig hingehört, zu den progressiven und linken Kräften. Schließlich sind die seit 1968 gestellten Forderungen nie erfüllt worden. Gleichberechtigung und Ökologie sind meist leere Worthülsen. Am Beispiel des Umweltschutzes gezeigt: Österreich verbraucht im Jahr 2019 mehr Energie als im Jahr 2000 und diese hat sich seitdem sogar noch verbilligt. Es ist also immer noch ein weiter Weg. Unseren skug-Leser* innen versuchen wir Auswege aus den Sackgassen aufzuzeigen, in denen selbst jene Gefangene des Marktes bleiben, die versuchen, alternativ zu leben. Aber genau hier liegt der Sinn der Kunst: Utopien zu denken.
Volksstimme: Zu dieser Entwicklung ist es in erster Linie durch Geschichtslosigkeit und Bequemlichkeit gekommen, sich mit dem Mainstream auseinanderzusetzen. Die »linke Blase«, in der es sich manche Alternativmedien eingerichtet haben, hat den Blick nach außen getrübt. Versäumt wurde ein »In-Beziehung-Treten« zu jenen, die nicht den gleichen ideologischen Blick haben. Rechthaberei, Konkurrenz und Führungsansprüche haben gemeinsames Handeln behindert. So gesehen, ist BAM! ein guter neuer Versuch.
Augustin: Rechte eignen sich bestimmte Begriffe an, Bots, Trolle … und auch »herkömmliche« Medien pushen sie. Der Skrupellosigkeit rechter Akteur*innen muss Klartext – »Wahrheit« – entgegengestellt werden.
Linke »alternative Medien« verstanden sich nicht nur als Organe bestimmter Szenen, sondern betonten immer auch ihre demokratisierende Funktion für die Gesellschaft als Ganze. Wie würdet ihr die gesellschaftspolitische Rolle linker alternativer Medien heute einschätzen?
an.schläge: Als linke/feministische Medienmacherin gibt es regelmäßig verzweifelte Momente, in denen das eigene Projekt völlig sinn- und wirkungslos erscheint, vor allem angesichts der Übermacht anderer medialer Meinungsmacher* innen. Aber vor so einem Fatalismus sollten wir uns hüten, nicht nur, weil wir wohl weiterhin einen langen Atem brauchen werden, sondern weil er auch einfach nicht angebracht ist. Denn linke alternative Medien können etwas bewirken – und sie tun das auch. Am Beispiel feministischer Medienpolitik lässt sich historisch gut zeigen, dass es durchaus einen Thementransfer auch von ganz kleinen feministischen Medien in den medialen Mainstream gibt, dass es also möglich ist – wenn auch natürlich meist nur langfristig – den gesellschaftlichen Diskurs zu beeinflussen. Darüber hinaus wirken feministische Medien – und das gilt wohl für alle alternativen Medien – nicht nur nach außen, sondern auch nach innen. Denn jede soziale Bewegung ist auf eigene Medien unbedingt angewiesen, um gemeinsame Positionierungen überhaupt erst einmal erstreiten und erarbeiten zu können, sie dienen der Selbstvergewisserung und Selbstkonstitution. Aber auch in individuellen Biografien spielen solche Medien oft eine große Rolle bei der eigenen Politisierung. »Ich bin nicht allein mit meiner Wut auf die Verhältnisse«, das ist z. B. für viele »an.schläge«-Leser*innen eine zentrale Funktion, die wir erfüllen.
Frauen*solidarität: Indem wir, wie gerade erwähnt, für Geschlechtergerechtigkeit eintreten (also am »Genderwahn« leiden), arbeiten wir tatsächlich kräftig an der Demokratisierung weiter.
Augustin: Genau so, ganz »altmodisch« aufklärerisch: Folgen undemokratischer Politik aufzeigen, echte Alternativen, auch Utopien vermitteln. Und damit alle ansprechen, die davon betroffen sind oder solidarisch dagegenhalten wollen – und das auch noch in möglichst unterhaltsamer Form.
Volksstimme: Wir haben den Anspruch, kollektiv ohne Hierarchien Zeitung zu machen, mit – wie die meisten Alternativzeitungen – geringsten finanziellen Mitteln. Wir sind kein Verlautbarungsorgan, sondern wollen möglichst viele Schreiber*innen mitschreiben lassen. Als eine, die in den 1968ern sozialisiert wurde und dabei auch alle Blödheiten durchgemacht hat, sehe ich (Bärbel) das Zeitungsmachen als nur einen kleinen, aber wichtigen Teil eines Demokratisierungsprozesses, der idealerweise mit weiterreichenden Diskussionsprozessen und Aktionen über den eigenen Rand hinaus verbunden sein muss.
Das Interview erschien erstmals in »Bildpunkt«.
Links:
http://www.igbildendekunst.at/bildpunkt.htm
https://www.facebook.com/events/484066462331335/
https://skug.at/grosses-bam-fest-in-wien/