Robert Crumb arbeitete und arbeitet ganz bewusst in einem »Spannungsfeld von Reiz und Ekel«i und hat innerhalb seines umfangreichen Oeuvres eine deutlicher werdenden Vereinnahmung pornographsicher Topoi betrieben. Diese Vorgehensweise ist ihm – und eigene provokante Aussagen in Interviews haben ihm dahingehend keinen besonders guten Dienst erwiesen – besonders von feministischer Seite auch immer wieder vorgeworfen worden, nicht zuletzt auch wegen der angeblich über die Grenzen der Fiktion hinausreichende Frauenfeindlichkeit dieser Arbeiten. So findet Trina Robbins, die wohl bedeutendste Vertreterin des weiblichen US-Comics, darin nicht nur den Grund für das Ende der US-amerikanischen Undergroundcomicsii, sondern auch folgende Worte der Kritik: »I remember the first one of those newly styled misogynist strips of his that I saw. Crumb had just drawn it and I eagerly started reading it, expecting it to be another one of his typically sweet comics. But by the time I got to the end, I was horrified! It was very hostile to women. Now, I hadn’t even heard of the term ???women’s liberation‘ yet – I don’t think the term had yet been coined – but I knew antiwoman hostility when I saw it. And this strip, along with those of Crumb’s that followed, contained a lot of it.«iii
Wahrheit und Wirklichkeit
Für die Vorwürfe der Kritikerinnen lassen sich drei Gegenargumente finden, die auch für den vorliegenden Band Gültigkeit haben: Crumbs Arbeit unterscheidet sich, besonders im wesentlichen Faktor der Figuren- und Selbstdarstellung ganz klar von Pornographie, unabhängig von den Definitionsproblemen des Feldes, an sichiv. Im Rahmen dieser formalen und inhaltlichen Umsetzung wird der unterminierenden Nutzung gesellschaftlich besetzter pornographischer Gemeinplätze und der damit einhergehenden Vorstellung bürgerlicher Ideale einer Zweckschönheit der Sexualität auch ein unleugbares Ironiepotential nutzbar gemacht, das nicht selten zu einer aufrichtigen und umfassenden Selbstironisierung der Autorenposition führt. Schlussendlich muss noch berücksichtigt werden, dass Crumb im Genette’schen Sinne mit den Möglichkeiten faktualer und fiktionaler Erzählung jongliert; die dargestellte Welt darf keineswegs als umfassende wahre Verhandlung der Wirklichkeit fehlinterpretiert werden: »Schreiben heißt also, Bedeutung zu PRODUZIEREN, und nicht, eine prä-existente Meinung zu REPRODUZIEREN. Schreiben heißt VORANSCHREITEN und nicht der Bedeutung – aus Gewohnheit oder Reflex – , die angeblich der Sprache vorangeht, untergeordnet BLEIBEN. In diesem Sinne kann Literatur nicht länger Realität sein […]. Zu schreiben meint also eine Möglichkeit, die Realität abzuschaffen, vor allem die Vorstellung, daß Realität Wahrheit sei.«v
Permutationen
Der Realitätsbezug ist nur insoweit gegeben, als ein unbewusstes Aufdecken der eigenen Poetik passiert: Das zufällige, ans Begehren gebundene être parlant schlägt im letzten Drittel des Comics mit einer zweifachen Vertauschung bei der Darstellung einer eindeutigen Situation zu. Einerseits kommt es zu einer Vertauschung der Bilder, die zu einer Irritation auf der Syntaxebene des Comics führt, der zwar auch nur als »Angebot an Betrachter«vi gewertet werden kann, ansonsten aber eingehalten wird. Weit wichtiger ist die Resiginifizierung durch den Zeichenstift von Crumbs zweiter Frau Aline. Das Ergebnis, das der weibliche, tatsächlichere Blick hervorbringt stößt die Bedeutungsverhältnisse um und erledigt ganz nebenbei mit dieser Berichtigung die männlichen Omnipotenzphantasien und die damit einhergehende halluzinatorische Idealisierungvii in dieser »Tragikomödie des Phallus«viii. Dass dabei auch das zu Verheimlichende eine Parallele zwischen den Töchtergeschichten Lacans und Crumbs schafftix, verleiht dem Band einen zusätzlichen Reiz. Deutlich bleibt dabei aber, dass die Ironie – und nicht zuletzt die Ironisierung der Lust, ohne die Lese-Lust zu eliminieren – hier das letzte Wort hat.
Aline Kominsky-Crumb, Robert Crumb, Sophie Crumb: Schmutzige Wäsche. Comics.
Frankfurt am Main: Zweitausendeins 2002, 201 Seiten, EURO 17,90
i – Werner Faulstich: Die Kultur der Pornografie. Kleine Einführung in Geschichte, Medien, Ästhetik, Markt und Bedeutung. Bardowick: Wissenschaftler Verlag 1994 (IfAM-Arbeitsberichte 13), S. 7
ii – Vergleiche hierzu: Trina Robbins: [o.T.]. In: The Life and Times of R. Crumb: Comments from Contemporaries. New York: St. Martin’s Griffin 1998, S. 39 – 42, hier S. 42; für eine objektive Darstellung der historischen Entwicklung bzw. dem apostrophierten Ende der Undergroundcomics vergleiche: Patrick Rosenkranz: Rebel Visions. The Underground Comix Revolution 1963 – 1975. Seattle: Fantagraphics Books 2002, S. 215ff
v – Raymond Federman: Surfiction: Der Weg der Literatur. Hamburger Poetik-Vorlesungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1992 (es 1667), S. 63
vi – Dietrich Grünewald: Comics. Tübingen: Niemeyer Verlag 2000 (Grundlagen der Medienkommunikation 8), S. 28
vii – Vergleiche hierzu: Peter Widmer: Subversion des Begehrens. Eine Einführung in Jacques Lacans Werk. Wien: Turia + Kant 1997, S. 34ff
viii – Annette Bitsch: »always crashing the same car«. Jacques Lacans Mathematik des Unbewußten. Weimar: Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften 2001 (medien 7), S. 236
ix – Vergleiche hierzu: Sibylle Lacan: Ein Vater. Puzzle. Wien: Franz Deuticke 1999