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Various Artists

»Venezuela 70, Volume 2 – Cosmic Visions of a Latin American Earth. Venezuelan Experimental Rock in the 1970s & Beyond«

Soul Jazz Records

Venezuela ist heute ein Land am Rande des Bürgerkriegs – und die Ereignisse spitzen sich weiter zu. In den Achtziger- und Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts war Venezuelas Hauptstadt Caracas für ihre Kriminalität und Gewalt gefürchtet, viele junge Leute mit Familie verließen die Metropole und gingen aufs Land, in die Berge oder in kleine Küstenstädte. Die Siebzigerjahre allerdings, aus denen die 18 Songs dieser CD datieren, waren vergleichsweise eine Zeit politischer Stabilität und wirtschaftlicher Prosperität. Musikalisch waren die Siebziger – auch in Europa und den USA – eine Epoche des Experimentierens – Fusion war das Gebot der Stunde. Nicht nur in der Musik. Linke Glaubensbekenntnisse vermischten sich mit Befreiungstheologie, utopische Manifeste mit psychedelischem Drogenrausch, traditionelle und folkloristische Musik mit Elektronik, Pop, Prog-Rock, Funk und Jazz … Europa schaute nach Lateinamerika, und Lateinamerika nach Europa. Es gab einen regen Gedanken- und Kulturaustausch. All das findet man – in musikalischer Aufbereitung – auf »Venezuela 70, Volume 2 – Cosmic Visions of a Latin American Earth, Venezuelan Experimental Rock in the 1970s & Beyond« (!), der zweiten Compilation dieser Art von SJR. Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie diese Musik auf junge Leute heute wirkt – sie ist so sehr die Erinnerung einer älteren Generation (meiner Generation). Diese Musik war nicht die bestimmende Musik der Siebziger, dennoch war sie fester Bestandteil jener Zeit. Sie war eine »Minderheitenmusik«, wohl aber die einer großen Minderheit. Das Spektrum, das diese Compilation abdeckt, ist sehr breit. Dennoch lassen sich einige Gemeinsamkeiten feststellen, und das sind nicht nur zugrunde liegende Latin-Rhythmen. Vytas Brenner, von ihm stammen sechs Songs dieser CD, eröffnet die Compilation (man möchte behaupten: programmatisch) mit »Agua Clara«, kristallklarem Folk, der eine reine (und reinigende) Natur assoziieren lässt. Das Meiste, mit dem Vytas Brenner hier präsentiert wird, hat eine Affinität zu (eskapistischem) Folk, klar und gelegentlich ans Sterile grenzend. Nicht nur Brenner orientiert sich am Folk. La Cuarta Calle sind mit straightem, gitarrenlastigem Folkrock, der sich an US-Bands wie The Byrds orientiert, vertreten. Zwei beschwingt fröhliche Songs, die einen kräftigen Touch Bossa Nova bzw. MPB haben, kommen von Aldemaro Romero Y Su Onda Nuevo. Von Daniel Grau stammen zwei gediegene zeitlose Popsongs ohne definitive regionale oder zeitliche Verortung. Fernando Yvosky macht auf »Estoy Viviendo« eine Art modernistischer »Kirchenmusik«, wie sie hierzulande einst Eela Craig pflegten. Uno Dos Tres Y … Fuera, eine erdige Latin-Funkrock-Band, die mit ihrem feurigen »Elafica Negra En Tiempo De Siembra«, einer Invocation der alten afrikanischen Götter mit den Mitteln des Rock, einen der ganz großen Songs zur Compilation beitragen, vervollständigen den Soundtrack eines Venezuelas abseits von Salsa, Merengue und Co. Eine Zeitreise.

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