Franz Ruppert © Franz Ruppert
Franz Ruppert © Franz Ruppert

»Unsere Überlebensstrategien wollen Krieg«

Ein virtueller Kongress in Zeiten von Corona: Aus Deutschland gesendet, konnte man sich von 13. bis 22. März 2020 online täglich drei Interviews mit »Kriegsenkeln« anhören. Psychotherapeut Franz Ruppert sprach zu alten Kriegsüberlebensstrategien, die oft unreflektiert weitergegeben würden.

»Sich nicht von den Überlebensstrategien der anderen beeindrucken lassen«, rät Franz Ruppert und gibt offen zu, dass sogar er als Psychotherapeut sich manchmal denkt: »Lasst mich alle mal zufrieden mit euren Überlebensstrategien, ich will nur leben!« In starkem Bayrisch redet der coole Professor. Franz Ruppert wurde für den virtuellen Kriegsenkel-Kongress »Befreie deine Lebensenergie … denn dein Leben ist mehr als nur Überleben!« interviewt. »Was die menschliche Psyche traumatisiert und wie sie wieder ganz werden kann«, lautete der Titel seines Interviews. Täglich drei Interviews waren via Internet zu verfolgen. Zehn Tage lang! Darunter einiges Esoterisches, wie Klopftechniken aus Mallorca, die angeblich sogar die Angst vor Polizisten oder Spinnen heilen (Zitat: »Die Spartaner klopften sich auf den Kopf, um sich von der Angst vor dem Feind zu befreien.«), aber auch äußerst spannende Diskussionen mit den interviewenden Organisator*innen. Bunt gemischt. Erstaunlich auf jeden Fall, wie viele Menschen in Deutschland sich aktuell und professionell mit der Generation der »Kriegsenkel«, also der Kinder der Kriegskinder des Zweiten Weltkrieges auseinandersetzen. Scheint denen ein großes Bedürfnis zu sein.

Krieg als Massentraumatisierung
Alte Überlebensstrategien sind permanent in Action. Ein Problem mit den ständigen Überlebensstrategien der Menschen ist aber laut Ruppert dieses: Sie stammen aus dem Krieg und wurden im Krieg erlernt. Das Schlimmste an diesen oft unbewussten Mechanismen: »Unsere Überlebensstrategien wollen Krieg.« Die Kriegskinder haben sie weitergegeben. Die Kriegsenkel führen einige dieser Strategien nun unreflektiert weiter, obwohl sie in Sicherheit, Wohlstand und Frieden leben. »Das ist ein Erbe der Nazis«, sagt Ruppert, »der Einzelne ist nichts, die Masse ist alles.« Kälte und Härte seien wichtig. Viele haben einen Schleier zwischen sich und der Realität und fragen sich, darf das wahr sein, was ich denke und spüre? Nein, antworteten diese Nazi-Reste im Kriegsenkel natürlich und die Menschen befänden sich »permanent auf Glatteis«. Es gäbe viele Überlebensstrategien, die die Realität ausblenden – als Folge des Ersten und Zweiten Weltkrieges, meint Ruppert. »Krieg ist eine massenhafte Traumatisierung. Es gibt nur Verlierer überall. Soldaten kommen kaputt zurück aus der Schlacht.« Ruppert warnt, dass diese Strategien im Alter extremer, schlauer und radikaler werden. Gewisse Auswüchse sähe man jetzt an den Rechtsextremen.

So und nicht anders
»Die Intelligenz geht in die falsche Richtung«, warnt Ruppert. »Wer baut z. B. eine Atombombe? Das kann nur ein Suizidaler sein!« Rigides, exzessives Kontrollieren, Beziehungssucht, Kleinreden, Nicht-fühlen-Können, Emotional-blockiert-Sein stuft er als weitergeführte, heutzutage meist unnötige Überlebensmaßnahmen ein. »Der Traumatisierte braucht nonstop Stress, damit die Traumagefühle nicht rauskommen.« Oft folge wegen der ständigen Selbstüberforderung die Flucht in die Krankheit. Trauma definiert Ruppert als eine jemanden extrem überfordernde Lebenssituation, in der gewisse Lebensstrategien notwendig wurden. Ohne diese wäre die Person gestorben. Er plädiert für Gruppentherapien, obwohl in diesen nicht selten »die Überlebensstrategie sofort dazwischen grätscht!« Man müsse stark aufpassen, denn »jedes Traumaopfer kann zum Traumatäter gegen andere und auch gegen sich selbst werden«. Eine klassische, altbekannte Überlebensstrategie dazu: »So und nicht anders!« Die Kriegsenkel sollten dringend »aus dem Traumasog aussteigen«, empfiehlt Franz Ruppert, und die Realität vor ihrer eigenen Nase wahrnehmen.

Der virtuelle Kriegsenkel-Kongress war ganz schön anstrengend. Es ist mühsam, sich jeden Tag mit diesen weitreichenden Kollektivproblemen einer ganzen Generation auseinanderzusetzen, und ohne Corona hätte ich mir das kaum angetan. Aber so war es super, sich täglich eine gewisse intensive gesellschaftliche Teilhabe zu sichern. Sicher eine Überlebensstrategie von mir …

Link: https://www.kriegsenkel-kongress.de/

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