»Als ich mit zwölf Jahren zum ersten Mal Fotos von Nazi-Camps gesehen habe, dachte ich, ich würde ohnmächtig. Das war in einem Buchladen. Ich zitterte. Ich erkannte, was ich sehe und was die Nazis den Juden angetan haben und ich wusste, dass ich jüdisch bin, aber ich wusste es nicht wirklich, bevor ich es sah.« Im Film »Regarding Susan Sontag«, der im Rahmen des identities-Festival gezeigt werden wird, spricht Susan Sontag über ihren Vater, der in China als Businessman arbeitete und den sie selten sah. Die Schwestern lebten bei verschiedenen Verwandten. Als der Vater 1938 starb, legte ihre Mutter »nicht den Fokus auf ihre Kinder, um es einmal so auszudrücken. Wir hatten viele Onkels. Später heiratete sie den Kriegsveteranen Sontag«. Die Kinder waren froh, den Namen zu wechseln und nicht mehr den jüdischen Namen Rosenberg zu tragen, denn »meine Schwester wurde auf den Kopf gehauen und wir wurden mit Schimpfwörtern gerufen«.
Double identity
»Ihre moralische, jüdische Seriosität und ihre homosexuellen Ästhetiken, ihre Ironie und ihr gay trash zogen die Menschen an«, sagt eine der zahlreichen interviewten Personen, über die man wenig mehr erfährt als den Namen. Susan Sontag machte New Wave-Filme, erfand sich ständig neu und fühlte sich als Schriftstellerin. »A writer is somebody who is interested in all arts and passionate in politics«, war ihre Definition von Schriftstellerei. Sie unterrichtete Philosophie. Was im Film mit der Zeit irritiert, ist die ständige Geigenmusik, die eventuell »das Jüdische« betonen soll? Sie ist immer melodiös und nie atonal und surft im Hintergrund herum. Passt nicht immer so zu Susan Sontag, ist aber anscheinend die Handschrift der Filmemacherin Nancy Kates.
»She always wanted to have a double identity«, sagt jemand. »I need my identity as a weapon, as a weapon as society has so much against me«, meinte Susan Sontag selbst. Sie erfand eine Art Swing Style: den camp. »Sie kannte die Macht der Bilder und kreierte sich ein Image, als Schreiberin, als Person. Sie fühlte sich trapped«, sagt jemand anderer. »She writes trash science fiction. The name of the film was ›The Imagination of Disaster‹. We wanted to be kidnapped by the movies.« Filmemachen sei wie Tagträumen, enthüllte eine strahlende Susan Sontag in Schweden. »Duet for Cannibals« hieß der Film von 1969 dazu.
Afraid of extinction
Der nächste Krieg näherte sich Susan Sontag: Vietnam. Und mit ihm schmerzvolle Bilder. »We want photos to tell us the truth and to tell a lie at the same time«, sagte Sontag. Ihr Buch »On Photo- graphy« schrieb sie 1977. Der Film ist irgendwie nonchalant, Ton und Bild passen manchmal nicht zusammen, er streift dahin, legt sich nicht fest. Es fehlt ein bisschen an Tiefe, Sontags Philosophie wird nicht berührt, auch ihre Theorien über Kriegsfotografie gar nicht. Trotzdem ein schöner Film auf seine Art.
»Meine Mutter hatte Angst vor Auslöschung«, sagt ihr Sohn. Susan Sontag kämpfte gegen Brustkrebs und kriegte ein paar Jahre nach erfolgreicher Heilung den Blutkrebs. »Mein Körper schrie lauter als ich jemals konnte«, sagte sie dazu. Es war ihr Stil, nicht allzu viel herauszulassen, elegant zu bleiben. Trotz alledem ließ sie der Krieg nicht los. Bei einer Einladung nach Hanoi in Nordvietnam sagte sie: »The white race is the cancer of the human race« – eine bittere Einstellung für eine weiße Frau, die gegen Krebs kämpfen wird. In Israel erarbeitete sie eine »so-called documentary«. Das Schlimmste ist, wenn der Krieg Normalität wird und eine »culture of war« entsteht, hielt Sontag fest. »War is a tremendous reality« und sie will in der Realität sein, sagte sie später, als sie in Sarajevo ein Theater- stück inszenierte. Eine Bekannte dazu: »Es gibt Menschen, die sich gerne in extreme Situationen begeben, weil dort das Leben schneller fließt.«
Der Preis für diesen »heroic sense« war hoch. Sontag resümierte gegen Ende ihres Lebens: »Death has finally become real. Death is the opposite of everything.« Zu ihrer Aussage, Krebs sei »the end of trusting life«, zeigt »Regarding Susan Sontag« den Rauch aus dem Schornstein einer Fabrik. Eine heftige Metapher.
Das identities – Queer Film Festival läuft von 11. bis 21. Juni 2015 in Wien. Gartenbau, Filmcasino, Top Kino