The Needles © Marisel Bongola
The Needles © Marisel Bongola

Summer in the city

Ein Wegweiser durchs Genregrenzen sprengende Programm des Kultursommer Wien 2025. Mit über 500 Acts, darunter AnniKa von Trier, Topsy Turvy, Ulrich Troyer, Gewalt oder auch Brudi & Bär mit HipHop für Kinder. Willkommen im »Park- und Plätze-Dschungel«, jeweils Donnerstag bis Sonntag bis 10. August.

Bereits 1966 war es zu heiß. »Hot town, summer in the city« sangen The Lovin’ Spoonful und landeten damit einen veritablen Nr.-1-Hit in den US-Charts. Wo tagsüber kein Schatten zu sein schien und Menschen halb tot aussahen, war es angebracht, erst zu später Stunde auszugehen. Ziel des Songs der Band um den späteren Woodstock-Teilnehmer John B. Sebastian war daher das Nachtleben, während der Kultursommer Wien dezidiert zu früherer Zeit losgeht und dem Publikum breiteren Kulturgenuss ermöglicht. Dabei geht es keineswegs nur um Popmusik, vielmehr wird eine bunter Genre-Mix für Jung und Alt kredenzt. 

Selbst die Gartenkonzerte in Pensionist*innenhäusern offerieren eine reiche Farbpalette, von Wienerlied und Chanson über Flamenco bis Rock’n’Roll, mit dem unverwüstlichen Andy Lee Lang am 6. August um 15:00 Uhr im Haus Laaerberg. Noch früher, nämlich jeweils um 10:30 Uhr, beginnt das auf neun Open-Air-Bühnen verteilte Programm für ein junges Publikum, beispielsweise ein HipHop-Mitmachkonzert mit Brudi & Bär am 18. Juli im Wilhelmsdorfer Park oder Luna Al-Mouslis brillante literarisch-musikalische Performance »Eine Träne. Ein Lächeln.« am 20. Juli beim Fußballverein 1210 in Floridsdorf. Es gibt aber auch einige Abende für die ganze Familie: Lea Kalisch & Der Šenster Gob aus Prag mixen am 24. Juli um 20:00 Uhr am Schrödingerplatz Gypsy und Jiddische Musik mit Balkan-Sounds und Rap, während am 8. August um 18:30 Uhr am Nordwestbahnhof Mamadou Diabaté & Percussion Mania aufspielen.

Brudi & Bär © Matthias Heschl

Vielfalt im Wilhelmsdorfer Park in Meidling

Als Ausgangspunkt für die Abend-Event-Rundschau fungiert zunächst Meidling, wo sich nicht gar so weit von der skug-Vereinsadresse das schöne Ambiente des Wilhelmsdorfer Parks in der Aßmayergasse ausbreitet. Das Musikkabarett »Gerade jetzt« der Akkordeonistin AnniKa von Trier trifft am 10. Juli um 18:30 Uhr auf den Politsatiriker Severin Groebner: »Mich hätten Sie hören sollen«. Vielfalt ist gewiss: Vom Wienerlied (16er Buam am 10. Juli) und Jazz-Improv (/kry am 31. Juli) über Brazilian Dance-Styles (Helen Araújo, Evandro Pedroni & Maanila Santos de Moraes am 24. Juli) bis zu Zirkus-Jonglage (Inalto Mares: »I missed the train, I’ll take the elephant« am 2. August. Außergewöhnlich Schrilles verspricht das Tanz-Quartett The Needles am 10. August um 18:30 Uhr. Die globalisierungskritische Performance »Elsewhere« entlarvt die Mär von nachhaltiger Fashion als verantwortungslosen Konsumismus!

Hoch im Kurs steht auch die Literatur, u. a. mit Lesungen von osteuropäischen Autor*innen: Nicol Hochholczerová und Ivana Gibová sorgen am 17. Juli ab 18:30 Uhr für slowakische Impressionen, während Campbell, Akrap & Bulucz am 19. Juli zur selben Zeit das Motto »Von Dalmatien bis zum Karpatenbogen« ausrufen. Luna Al-Mousli, deren Großeltern bereits in Wien studierten und deren Eltern mit ihr nach Damaskus auswanderten und 2005 desillusioniert wieder zurückkehrten, ist prädestiniert, unter dem Signet »Booktopia: Re-Centre Voices in Literature« am 27. Juli ab 18:30 Uhr ein Mitmachprogramm zu hosten. Macht und Klasse taking up space! Erwartet wird eine mehrsprachige Show, die Lyrik, Kindergeschichten, Essays und Songtexte inkludiert und Asifeh aka Stormtrap, den palästinensischen Produzenten/Beatmaker/Rapper aus Wien, präsentiert.

Der Historiker Anton Tantner, bekannt von seinen Wiener Stadtspaziergängen aka »Flanieren« und gelegentlich als skug-Autor tätig, wird am 7. August ab 18:30 Uhr mit Barbara Eder und Clemens Marschall im Wilhelmsdorfer Park den Band »Europa Erlesen: Marchfeld« (Wieser Verlag) vorstellen. Der Titel »Inseln & sonstige Abgründe« verrät, dass in Randgebieten Bedrohliches schlummert(e) bzw. weggesperrt wurde. Barbara Eder führt zu den Inseln, auf die das faschistische italienische Regime politische Gegner verbannte, Clemens Marschall in den Wiener Underground des Zines »Rokko’s Adventures« und Anton Tantner in den abgrundtiefen Faschismus-Untergrund Österreichs unter den Dünen des Marchfelds.

Barbara Eder, Clemens Marschall, Anton Tantner © Heribert Corn, Barbara Eder, Anton Tantner

Plätze und Parks, querfeldein Diversität

Ein künstlerisches Board ist zuständig für die Auswahl der mehr als 500 Acts, darunter Elizabeth Ward für Tanz & Performance, Saxofonist/Klarinettist Clemens Salesny für Jazz & zeitgenössische Musik, Wolfgang Schlögl für Rock, elektronische & experimentelle Musik sowie Petar Rosandić aka Kid Pex und Esra Özmen vom Duo EsRap für Rap & Pop. Für die Auswahl der Locations sorgt ein Team um die Geschäftsführerinnen Siglind Güttler und Caro Madl. Heuer neu dabei: der Waldmüllerpark in der Nähe von Kliebergasse und Matzleinsdorfer Platz, der Nordwestbahnhof sowie der Fußballverein 1210. Wer eine Anreise nicht scheut, wird mit exzellenten Darbietungen belohnt, etwa mit RawCat & Miss BunPuns »Pussy Power« am 26. Juli oder einer »Schwarzen Messe« von Gebenedeit feat. Lydia Haider am 31. Juli um 20:00 Uhr beim Fußballverein 1210 in Floridsdorf. Über die Donau müssen Südstädter*innen auch, um auf dem Schrödingerplatz am 12. Juli um 18:30 Uhr einmal mehr die Handzeichen Michael Fischers zu deuten, wenn er sein Vienna Improvisers Ensemble »befehligt«. Gar so weit ist es nicht ins an Taborstraße und Leipziger Straße grenzende Areal des baldigen Neubaugrätzels am Nordwestbahnhof, das mit einem karthatischen Konzert lockt: Am 9. August um 20:00 Uhr wird das Trio Gewalt zwar das Gelände nicht einebnen, aber zumindest erschüttern.

Großartiges auch am 1. August im ehemaligen Frachtenbahnhof der ÖBB: Zum einen Paul Plut und Band um 18:30 Uhr, zum anderen Vereter mit queerem Pop um 20:00 Uhr. Zurück nach Wien Favoriten mit der S-Bahn via Station Matzleinsdorfer Platz. Paul Plut ist als Akkordeonist und Sänger auch vertreten im Waldmüllerpark am 27. Juli um 20:00 Uhr im Quartett mit Barca Baxant, Klaus Maria und Natasja Ronck, wo steirische auf tschechische Volkslieder stoßen. Ebendort im zehnten Hieb wird Václav Fuksa am 11. Juli um 20:00 Uhr mit Folk-Songs an die böhmischen Ziegelarbeiter auf dem Wienerberg, heute ein Erholungsgebiet mit viel Grünraum, erinnern. Nicht zu vergessen der fabulöse Ulrich Troyer am 17. Juli, der ebendort unter dem Motto »Transit Tribe« ab 20:00 Uhr zu gewagten elektronischen Dub-Tänzchen einlädt. An Wien 10 grenzt Wien 11, also auf in den Hyblerpark nach Simmering, um am 1. August um 20:00 Uhr der Elektronikmusikerin Chra, einst skug-Autorin als Christina Nemec, zu lauschen. Ebendort zelebriert am 26. Juli um 18:30 Uhr das unverwüstliche Duo Klammer/Gründler mit Gast Fredi Lang Improv à la carte. 

Die S-Bahn/Stadtbahn-U6-Achse hat auch einiges zu bieten. Im Stadtpark Atzgersdorf werden am 10. August um 20:00 Uhr die Buben im Pelz den Kultursommer mit fulminanten Covers von The Velvet Underground und Lou Reed im Wiener Dialekt beschließen. Eher dem Ursprungsmythos des Wiener Liedes sind am 11. Juli ab 18.30 Uhr im Reithofferpark Stefan Sterzinger & Vinzenz Wizlsperger zugeneigt, auch wenn ihr Programm den Titel »Golden Ladies« trägt. Christina Rufs Ambient-Drones am 6. Juli im Währinger Park verpasste der Autor dieser Zeilen leider, doch immerhin weht dort am 17. Juli ab 20:00 Uhr ein Wind vom Kaukasus: das Duo Nareg spielt dann auf Duduk und Dhol traditionelle armenische Musik. Fantastique auch das junge Frauentrio Topsy Turvy, das am 2. August um 20:00 Uhr genial schrammelnd aus dem Fundus von Postpunk und Surfrock schöpft. Das komplette Programm des Kultursommer Wien 2025 findet sich unter https://www.kultursommer.wien. 

Topsy Turvy © Anja Pöttinger

Home / Musik / Artikel

Text
Alfred Pranzl

Veröffentlichung
09.07.2025

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