Im ersten Kapitel von »Triangle of Sadness«, dem neuen Film von Cannes-Liebkind Ruben Östlund, werden wir Zeug*innen eines Streits zwischen Carl (Harris Dickinson) und seiner Freundin Yaya (Charlbi Dean), bei dem es nicht nur, aber vordergründig ums Geld geht: Beide arbeiten als Model, Yaya ist als Frau in dieser Branche in der besseren Position und verdient mehr, sieht es aber als selbstverständlich an, dass Carl die Restaurantrechnung begleicht, wodurch er sich ausgenutzt fühlt. Er wirft ihr Genderstereotype und Fake Feminism vor, sie ist sich bewusst, dass ihre Schönheit und Jugend ein flüchtiges Kapital sind und sie vermutlich als Trophy Wife eines reichen Mannes in Modelrente gehen wird. Ihre Beziehung analysiert sie nüchtern: »I like you, you like me, we profit from each other« und gibt damit das Thema für die nächsten 2 ½ Stunden vor.
Fast forward und wir finden uns auf einer Luxusyacht wieder – mit an Bord: Carl und Yaya, die als Influencer-Pärchen die Kreuzfahrt spendiert bekommen haben, die Crew um Chief Steward Paula (Vicki Berlin) und Captain Thomas Smith (Woody Harrelson) und eine vielfältige Mischung von Passagier*innen, die alle eines gemeinsam haben: Sie schwimmen im Geld. Ob Tech-Millionäre, Waffenindustrielle oder russische Oligarch*innen wie Dimitry (Zlatko Buric), der als Düngemittelproduzent im wahrsten Sinne des Wortes Scheiße verkauft und standesgemäß mit seiner Frau und seiner Geliebten den Urlaub verbringt. Die Crew ist darauf eingeschworen, den betuchten Reisenden alle Wünsche von den Augen abzulesen, so absurd diese auch ausfallen mögen … Die Segel auf einem motorbetriebenen Schiff reinigen? Ihr Wunsch ist uns Befehl, Madame!
Sozialer Weltuntergang
Der Mikrokosmos des Schiffs ist ein Spiegelbild unserer Klassengesellschaft – eine Handvoll Superreiche, nach deren Pfeife alle tanzen, die Mittelschicht, die dieses Regime zum eigenen Vorteil mitträgt und die Arbeiter*innenklasse, die den Motor am Laufen hält und hinter allen anderen den Dreck aufräumt. Ein gut geöltes, eingespieltes System, doch dann gerät das Schiff in einen Sturm und in einer spektakulären Armageddon-Sequenz versinkt alles in Körperflüssigkeiten und Chaos – letztendlich auch die Yacht selbst. Bemerkenswerter Höhepunkt ist ein Dialog zwischen dem US-amerikanischen Kommunisten Captain Smith und dem russischen Kapitalisten Dimitry, die sich eine veritable politphilosophische Zitateschlacht von Reagan bis Lenin liefern, während rund um sie die Welt – oder zumindest die herkömmliche soziale Ordnung derselben – untergeht.
Carl, Yaya und ein paar lädierte Millionär*innen sind unter den Überlebenden, die im letzten Kapitel des Films auf einer scheinbar verlassenen Insel angespült werden. Von den Lower Decks schafft es neben dem Schiffsmechaniker Nelson (Jean-Christophe Folly) nur die philippinische Putzfrau Abigail (Dolly de Leon). Sie ist als einzige der Anwesenden in der Lage, Fische zu fangen und Feuer zu machen, und weiß die unverhoffte Machtposition geschickt zu nutzen, indem sie sich zum Captain ausruft – mit allen damit verbundenen Privilegien. Plötzlich steht die Hierarchie Kopf und Abigail bestimmt, wer wieviel zu essen bekommt und wer wo – und mit wem – schläft. Und ebenso plötzlich findet Carl sich in der ursprünglich für Yaya reservierten Position als Trophy Wife wieder, erst widerwillig, dann aus freien Stücken, denn »I love you, you give me fish«.
Menschliches Kapital
Die Fragen, die Ruben Östlund in »Triangle of Sadness« aufwirft, beschäftigen uns im Großen wie im Kleinen. Was bedingt Klassendenken, wie definiert sich Macht, welche Mechanismen sind nötig, um beides aufzubrechen und kann so etwas wie eine klassenlose Gesellschaft überhaupt existieren oder bedeutet der Verlust der Macht letztlich auch nur eine Verschiebung der Machtverhältnisse? Und in weiterer Folge: Ist unser Körper nicht mehr als ein Produkt? Bestimmen Angebot und Nachfrage den Wert zwischenmenschlicher Beziehungen und sind wir letzten Endes alle nur menschliches Kapital? Der Film kann diese Fragen nicht beantworten, wohl aber mit den verschiedenen Perspektiven spielen und uns in exzessiver Bildsprache eine vergnügliche Demontage der Weltordnung vor Augen führen und zur Gegenwehr aufrufen: Don’t eat the rich, starve them!