Bemerkenswerte Ausweitung der Aktivitäten des Sonic Territories Festivals. Diese Trademark wurde heuer des Öfteren ins Bewusstsein eingeschweißt. Am 3. Juni stieg beispielsweise eine Wiener Festwochen Party Night hosted by Sonic Territories. Im Club U in der Künstlerhauspassage am Karlsplatz sorgten orientalische Live-Sounds von Seba Kayan, Karrar Alsaadi (voc) und Boualem Dahmani (g) für Aufsehen, ehe DJs von Kayan bis MARAws für Auflegefurore sorgten. Hernach fand am 18./19. August die Summer Edition auf der Kleinen Stadtfarm statt, feat. Workshops und ein Konzert der japanischen Elektroakustikerin Tomoko Sauvage, die gern mit Sounds des Elements Wasser operiert.
Im Herbst kuratierte Mimie Maggale, die künstlerische Leiterin von Sonic Territories, anlässlich 25 Jahre rhiz am 14. Oktober einen Abend für die Reihe Islands of Resilience feat. Sara Persico, Judgitzu und Ganaël. Ein vorläufiges Highlight war ein erstmaliges Gastspiel im Großen Sendesaal des Radiokulturhauses am 17. Oktober: Das schwedische Duo Maria W Horn/Mats Erlandsson kombinierte Elektronik mit den Klängen der fantastischen Orgel des RKH. Außerdem beeindruckte Zbigniew Chojnacki mit atemraubenden Akkordeon-/Live-Elektronik-Improvisationen.
Das Hauptfestival steht indes kurz vor der Tür. Statt in der Fabrik der Seestadt Aspern wird Sonic Territories am 10. und 11. November in der VHS Kulturgarage über zwei Bühnen gehen. »Intra-Action« (mehr dazu später), ein Konzept der queer-feministischen Philosophin Karen Barad, floss in den Festivaluntertitel »From Liminal Attraction to Intra-Action« ein. Die neuen Veranstaltungssäle ermöglichen einen verstärkten Fokus auf den audiovisuellen Bereich, mit Medienkünstler*innen und Visualist*innen wie Klimentina Li aus Bulgarien oder Igor Lorok aus Tschechien.
Mit Thea Soti ist auch Avantgardepop aus Ungarn, woher Mimie Maggales Vorfahren stammen, vertreten. Der Einbezug von Künstler*innen aus den mittelosteuropäischen Nachbarländern ist Maggale wichtig. So gesehen ist das heurige Line-up ein Vorzeichen dafür, dass sich Sonic Territories langfristig als international renommiertes Festival zwischen Ost und West positionieren will. Näheres zur Entwicklung von Sonic Territories seit dem Start 2017 sowie zum heurigen Programm ist nun dem spannendem E-Mail-Interview mit Mimie Maggale zu entnehmen.
skug: Das Sonic Territories Festival feiert heuer sein sechsjähriges Bestehen. Was hat dich zur Gründung bewogen und wie hat sich das zugetragen?
Mimie Maggale: Ich war vormals in die Leitung des Kunst- und Kulturraums Moë involviert. Wir haben damals für die Erhaltung dieses Raumes gekämpft, wo viele Künstler*innen des »Dazwischen«, des »Nicht-kategorisierbaren« zusammengekommen sind: bildende Künstler*innen, Musiker*innen aus der Improvisation und der experimentellen elektronischen Musik, Performer*innen, Medienkünstler*innen, angehende Künstler*innen aus den Kunstunis, die sonst keine Anlaufstelle hatten. Es war ein bunter Haufen und viele Musiker*innen, die über die Jahre am Festival aufgetreten sind, kommen aus diesem Kreis.
Dort habe ich auch die Musikerin und Komponistin Mia Zabelka kennengelernt. Tatsächlich ist der Name Sonic Territories im Zuge eines unserer Gespräche entstanden. Heuer blicke ich auf diese intensive Anfangszeit zurück und bin dankbar für die Veränderungen, die das Festival über die Jahre erfahren hat. Und dass in dieser sechsten Ausgabe ein tolles Team, bestehend aus Lena Kauer, Ines Fernau, Klimentina Li, Tanja Oberbramberger und Martin Fink, zusammengefunden hat.
Sehr nett ist, interessierte Kulturjournalist*innen als »Musikentdecker*innen« zu titulieren, wie es Sonic Territories in seiner Presseaussendung macht. Welche Erfahrungen macht ihr eigentlich mit der Wiener/österreichischen Medienlandschaft? Wo gibt es Wertschätzung, wo eher Oberflächlichkeit, wo Ignoranz?
Seit der Gründung des Festivals vor sechs Jahren gab es mediale Unterstützung vor allem innerhalb unserer eigenen Szene – skug war von Anfang an dabei und auch Radio Orange und »The Gap«. Seit zwei Jahren haben wir Kooperationen mit Res.Radio und Trppn. Einmalige Besuche in der Seestadt gab es vom »Falter« und Wien24. Bevor OKTO TV in die Krise geraten ist, haben sie das Festival jedes Jahr mit einem redaktionellen Beitrag unterstützt.
Das Festival habe ich für Gleichgesinnte gegründet, Entdecker*innen, die das Besondere schätzen und eben Neues entdecken wollen. Außerdem wollte ich eine Präsentationsfläche bieten für Künstler*innen, die in diesem weiten Feld der neuen, zeitgenössischen Klangwelten arbeiten. Das Thema Zugänglichkeit ist mir sehr wichtig und dennoch muss man akzeptieren, dass nicht jede*r für diese Art der Kunst, die auch eine bestimmte Haltung des Zuhörens und der Achtsamkeit erfordert, bereit ist. Wir sind eine Randerscheinung in einer über die Jahre gewachsenen Nische, die auch zunehmend in andere Bereiche überschwappt, wie etwa beim Popfest, wo immer mehr Künstler*innen aus der experimentellen bzw. nicht mainstreamigen Musik hinzugebucht werden.
Deswegen würde ich mir für Sonic Territories mehr mediale und vor allem »natürliche« Aufmerksamkeit wünschen. Bedauerlich ist, dass die heimische Medienlandschaft erschreckend schrumpft. Dass Medien wie die »Wiener Zeitung« dem Infotainment oder für Diversität unerlässliche Medien wie »BIBER« ihren Betrieb einstellen müssen. [Anm.: Mein Autokorrektur-Programm, kennt das Wort Diversität nicht … ich müsste es manuell ins Wörterbuch einfügen – so viel dazu.]
Durchaus freundliche Ankündigungen gab es in den vergangenen Jahren immer wieder unter anderem auch im »Standard« und im »VOR-Magazin«. Allerdings haben uns die »großen« Medien bisher keine Beachtung geschenkt. Dazu ist zu sagen, dass wir nach wie vor unter prekären Bedingungen arbeiten und es nicht möglich ist, in alle Bereiche der Veranstaltungsorganisation gleichermaßen zu investieren, wie es größere Institutionen mit einem ernstzunehmenden Marketingbudget tun können. Wir sind auf die Neugierde der Kulturjournalist*innen angewiesen. Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, müssten wir offensichtlich tiefer in die Tasche greifen. Die freie Szene wird in Wien immer noch weitgehend unterschätzt – queer-feministische, antikolonialistische und transdisziplinäre Ansätze abseits der Wiener Festwochen werden sowieso kaum von den konventionellen Medien aufgegriffen.
Heuer geht Sonic Territories zwar wieder in Aspern Seestadt über die Bühne. Statt der Fabrik wurde aber die Kulturgarage Seestadt als Location auserkoren. Warum dieser Wechsel?
Als ich das Festival vor sechs Jahren gegründet habe, habe ich mir eine gänzlich neue Location bzw. Veranstaltungssaal für das Festival gewünscht – das hat sich also heuer in Form der VHS Kulturgarage manifestiert. Die Fabrik, in der wir das Festival die letzten fünf Jahre veranstaltet haben, als temporärer Veranstaltungspavillon von unserem langjährigen Kooperationspartner und Förderer Wien3420 AG betrieben, wurde aufgelassen. Dafür wurde uns angeboten, das Festival in die Kulturgarage zu verlegen. Nach Abstimmungen mit verschiedenen Körperschaften (Kulturabteilung der Stadt Wien, Bezirkskultur Donaustadt und der Wiener Volkshochschule) haben wir einen Teil der dafür nötigen Finanzierung erhalten.
Die VHS und Wien3420 ermöglichen es uns, in einem geradezu nagelneuen Veranstaltungsaal mit hervorragender Infrastruktur und Technik das Festival durchzuführen. Die Kulturgarage bietet zwei in etwa gleich große Säle für knapp 500 Besucher*innen, ein großes Foyer, einen Barbereich. Das Besondere ist vor allem die 7 mal 3 Meter große LED Wall. Es ist eine große Veränderung für das Festival und eine Herausforderung für die Veranstaltungsorganisation. Aber es entspricht meiner Vorstellung von einem geeigneten Rahmen für die Präsentation der Kunst, die wir selbst niemals als »nischig« betrachten würden. Es ist sehr mutig und ein starkes Zeichen von Seiten der Seestadt, dies zu unterstützen und wir sind dankbar für das Vertrauen aller beteiligten Förderer.
Wie eingangs erwähnt, gibt es einiges zu entdecken, so feiert Vica Pacheco vermutlich Österreich-Premiere. Wo wurdest du auf die für sehr eigenständige Sounds bekannte, aus Oaxaca stammende, mexikanische Produzentin und Artwork-Designerin aufmerksam?
Vicas Arbeit habe ich vergangenen April am Rewire Festival in Den Haag kennengelernt. Sie ist eine Instrumentenerfinderin und auch Teil der diesjährigen Shape-Artists – aber das wusste ich nicht, als ich ihre Arbeit gesehen habe. Ich war angezogen von der mystischen, anzestralen und animistisch-anti-kolonialistischen Perspektive, die ihre Arbeit verkörpert.
Wie suchst du die Acts aus? Wie viele Prozent davon rühren aus überzeugenden Live-Gigs bei welchen Musikfestivals?
Ich lasse mich im Allgemeinen von meiner Intuition leiten und erlaube mir, Acts zu buchen, einfach weil sie für mich gut klingen oder weil ich finde, dass sie mit ihrer Arbeit einen Aspekt des Themas veranschaulichen, der mit Worten nicht zu beschreiben ist. Viele der Acts am Sonic Territories habe ich in Wien schon kennengelernt, wie zum Bespiel das unglaublich tolle Elektro-Pop-Duo Laikka, die durchdringlichen Klänge der Rent, Sturmherta, Antonia XM und Zeynab Kirikou Gueye und natürlich Milena Georgieva sowie auch vor Jahren Asuna. Andere Acts wurden mir empfohlen oder haben mich kontaktiert.
Heuer habe ich erstmals große Musikfestivals im Ausland besucht, einige Acts wie Vica Pacheco und Tot Onyx habe ich live am Rewire in Den Haag erlebt. Dort ist die Situation ganz anders: In einem von der Gemeinde Den Haag neu errichteten Veranstaltungskomplex (Amare) haben sich im Rahmen des Festivals über 1.000 Menschen zusammengefunden, um Tim Hecker und Patti Smith mit dem Soundwalk Collective live zu erleben. Das sind andere Dimensionen, von denen wir hier in Wien vorerst nur träumen können. Martyyna und Igor Lorok habe ich am Lunchmeat in Prag live erlebt, hatte da aber schon vorgehabt, sie zu buchen.
Ergab sich der konzeptuelle Titel »From Liminal Attraction to Intra-Action« allmählich oder aus einer fixen Idee heraus?
Das Thema der »Intra-Action«, ein Konzept der queer-feministischen Philosophin Karen Barad, wonach alle Objekte und Phänomene auf ko-konstitutive Weise miteinander interagieren und dementsprechend nichts grundsätzlich voneinander getrennt ist, beschäftigt mich schon länger. Unsere Körper, Ideen und technischen Apparate interagieren nicht miteinander, sondern sind in ständiger Intra-Aktion miteinander verbunden und existieren und entstehen durch ihre wechselseitigen Beziehungen. Als einzelnes Wort ist »Intra-Action« aber etwas sperrig – wir haben also nach einer poetischeren Lösung für das diesjährige Theme gesucht.
Zentral liegt heuer das Augenmerk des Festivals im audiovisuellen Bereich, wo wir mit Medienkünstler*innen und Visualist*innen wie Klimentina Li (BG), Igor Lorok (CZ) und Lukas Becker (DE) zusammenarbeiten. Ein Aspekt, der auch im kommenden Jahr weiter ausgebaut wird. Außerdem war mir die Einbeziehung von Künstler*innen aus den Nachbarländern wichtig, wie der Tschechischen Republik und Ungarn, das auch mein Mutterland ist. Damit sollen auch die Weichen gestellt werden für ein international angesehenes Festival, das sich in Wien zwischen Ost und West positioniert. Nach wie vor arbeiten wir daran, den trans- und interdisziplinären Charakter der Sound Art an der Schnittstelle zur Performance und Medienkunst und der avancierten elektronischen Musik in Wien zu verankern.
2023 gibt es am Tag 1, dem 10. November, sehr viele Artists, die interdisziplinär arbeiten. Was ist etwa von Asuna aus Japan zu erwarten, wo »Falling Sweets/Afternoon Membranophone« Theater und Sound Performance ineinanderfallen?
Es ist eine große Ehre, den japanischen Sound Artist Asuna zum Festival einzuladen. 2016 konnte ich seine Performance »100 Toys« in Wien am Unsafe+Sound, in dem Kunstraum Moë, den ich damals mitgeleitet habe, miterleben. für mich war es eine Offenbarung und einer der Gründe, warum ich mich der Soundart verschrieben habe.
Asuna kommt mit seiner Partnerin Rima Kato. Gemeinsam spielen sie ein Paar, das zwei Mahlzeiten zu sich nimmt. Das Geschirr ist durch Spielzeug und elektronische Musikinstrumente ersetzt und die Gerichte bestehen aus bunten Süßigkeiten. Der allmähliche Akt des Essens wird direkt in Musik umgewandelt. Die Geräte und Instrumente werden durch das Essen der Süßigkeiten zum Klingen gebracht und es kommt zu unvorhergesehenen physikalischen Phänomenen. Es wird verspielt und »süß«.
Oder von Magdalena Forster und Milena Georgieva, die Tanz und Soundart verweben?
Bei Magdalena Forsters und Milena Georgievas Stück »Bile« geht es auch um Physikalisches. »Bile« stellt nämlich eine geheimnisvolle Figur zwischen Mythos, Wirt*in und Liebhaber*in vor. Die Künstlerinnen lassen sich frei von der Leber inspirieren: Im Griechischen wurde hèpar (Leber) nämlich einst mit Lust in Verbindung gebracht, da sie als Quelle der Seele und der menschlichen Emotionen galt.
Am Samstag, dem 11. November gibt es zwei Floors. Persönlich bin ich kein Fan von Überfrachtung. So finden sich auf der Stage im Atrium Thea Soti, Sturmherta, Rent und Tot Onyx. Auf der zweiten Bühne, der Mainstage, beispielsweise das tschechische Duo Martyyna & Igor Lorok mit »Written in The Scars« oder Shape + Musikerin Evita Manji, die zum Schluss dreamful darken Dancefloor gesanglich in höhere Sphären hebt. Was ist das dramaturgische Konzept und ist die Überschneidung beabsichtigt?
Es gibt viel zu entdecken. Das Festival feiert die Fülle und die Vielfalt. Die Sets am zweiten Abend greifen nach dem Reißverschlussprinzip ineinander. Das Programm ist bewusst so gestaltet, dass es sich wie eine Reise in verschiedene Sphären anfühlt. Räumlich bietet die Kulturgarage aber auch genügend Platz, um sich auch aus dem Geschehen zu ziehen, sollten Besucher*innen eine Pause brauchen.
Dramaturgisch ziehen wir von Schwellenbereich zu Schwellenbereich, wo das zentrale Thema die Transformation ist, wie etwa bei Thea Soti, wo die menschliche Stimme manipuliert zum Einsatz kommt, um Kommunikation, Intimität und Zuneigung zu erforschen. Mit Martyyna gehen wir den romantischen Vorstellungen auf den Grund, wonach unser Schicksal in den Sternen geschrieben steht, und kommen über emme bei der Verarbeitung missbräuchlicher Beziehungen und mit Evita Manji schließlich zu der undurchdringlichen Frage, wie man angesichts eines immensen Verlusts jene Elemente ausmachen kann, die uns zum Durchhalten dienen und welche uns bei der Bewältigung unserer Emotionen nur hindern.
Fazit: Ein Besuch von Sonic Territories in Aspern Seestadt erscheint somit auch 2023 mehr als angebracht, am 10. November bei freiem Eintritt!
Ich bedanke mich für das Interview und die spannenden Fragen!