Regenschweres Europa. Das Projektionsgerät rattert im Hintergrund. Kritiker waren sich unter der Schreiberhand einig. Die Kinos waren öd beim Festivalspurt von Cannes. Öde Einheitssauce aus endlosem Genrehaschée und mit Anspruch wie lästigem Kaugummi als verunziertem Buch zum Film. Dass die einzigen Sensationen aus dem asiatischem Raum kamen war schon vorher keine Neuigkeit. Ebenso dass der Abräumer Lars von Trier?s »Dancer in the Dark« wurde. EUtrend-konform ein Historiendrama und doch gebrochen durch Sozialrealismus in Dogma-style angerohten Digitalkameras, durch die romantisierende Zärtlichkeit mit der Haupt- und Nie wieder Darstellerin Björk Selma versieht, die erblindende tschechische Arbeiterin und Mutter, die sich Richtung USA aus dem Dreck hieven möchte, durch den Hollywood zitierenden Technicolor-Glamour, wenn eben sie mit einem hymnischen Liedchen auf den Lippen aus dem Alltag stürzt. Eine Filmkritik? Nicht ganz, lassen einen doch die sieben von Björk komponierten, instrumentierten und intonierten Soundtracks genau diese Geschichte in allen Details und Intensitäten vorfühlen. Nach einer großkotzigen wie grandiosen Overture Cinematique untermalen Beats und Samples die Stationen des Films. Aus dem Fabrikknattern und rhythmischen Stechen der Nähmaschinen, fast Retro-Neubauten, zischelt Björk zuerst ein hektisch vergnügtes Bardot/Gainsbourg-Zitat (»Comic Strip«), um in einen Musical-Chorus überzulaufen. Auf »I?ve seen it all« begegnet sie Radiohead-Sänger Thom Yorke als herzerweichend brüchiges Duett auf Zugunterlage, das von den Möglichkeiten anderer Länder und Chancen tagträumt. Lieder vom Schlafengehen, Hochleben und Vergehen folgen. Vergessen ist die kalte Larmoyanz vom Vorgänger »Homogenic«. Scheinbar hat Trier?s bindendes Rollenkonzept auch konzentriertere Intensität aus Björk hervorgeholt. Größe lebt nicht von Neuigkeiten. Und das hier ist verdammt groß. Emotion on instant replay.
Björk
Selma Songs
Polydor
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