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»Satan Mozart Moratorium« – Kommunikation durch Bauch und Schwanz

Das neben neuen Arbeiten von Bruce LaBruce und Kenneth Anger wohl mit der größten Spannung erwartete Werk beim Donaufestival 08 ist die Oper »Satan Mozart Moratorium« von Paul Poet im Verbund mit Jean Louis Costes' »Opera Porno-Social«. Ausgehend von Mozarts »Bastien und Bastienne (1768)« soll den allzu affirmativen Huldigungen an Mozart aus 2006 ein klares Statement entgegen gehalten werden: Eine Kinderoper im Pornokleid. Interview mit Autor/Regisseur Paul Poet.

Eine Produktion wie SMM ist ja nicht gerade unaufwändig und bedarf daher einiger Vorbereitung. Wie oft wird die Porno-Oper aufgeführt bzw. gibt es nach dem Donaufestival weitere Termine?
SMM wird beim Donaufestival selbst drei Mal aufgeführt und soll dann im Herbst, Winter diesen Jahres auf eine internationale Theatertour gehen, wo schon sehr wahrscheinlich das Kampnagel in Hamburg und das HAU in Berlin auf der Speisekarte stehen. Parallel dazu ist eine Aufzeichnung bzw. Filmversion geplant, die bei Monitorpop in Berlin erscheinen soll. Das besondere ist ja, dass es das erste reine Auftragswerk des Donaufestivals unter der Leitung von Thomas Zierhofer-Kin ist, der mich da ans Theater geholt hat, das ich an und für sich Zeit meines Lebens bislang zutiefst verachtet habe. Und der meine eigene Sichtweise von Theater, wie es sein sollte, also Texas Chainsaw Massacre, Pasolini und Artaud statt Josefstadt und Peymann, sehr genossen hat. Für mich ist es natürlich eine praktische Abwechslung zwischen den Kinofilmprojekten, die sich wie ein elender Schlurf über viele Jahre ziehen. An der Doku »Empire Me«, die ich im Sommer zu drehen beginne, arbeite ich ja schon seit 2003. Und an meinem Spielfilmdebut »Endstufe« seit 2004. Da scheint der Theaterbetrieb wesentlich flexibler, lebendiger und inhaltsoffener, um auch schneller Inhalte fokussieren und verwirklichen zu können. Eine große Inspiration beim Schreiben war sicher Vladimir Sorokin, der sich wie Houllebecq am ehesten dem Film verpflichtet fühlt, dann aber überwiegend Romane und Theater verfasst hat.

Pro Vorstellung sind nur 50 Personen als Publikum zugelassen. Bei drei Shows kommt man da gerade mal auf 150 Leute. Warum diese strenge Limitierung?
Das Maximum von 50 Personen hat mit meinem Konzept von Theater zu tun. Da geht es um die Auflösung von hierarchischen Räumen und Sichtweisen. Nichts kotzt mich mehr an als das saturierte aufgeblasene Premierenpublikum an den Wiener Bühnen, die sich wie die Pfaue um die Plätze balzen, um dann das Bühnengeschehen wie tanzende Äffchen der k.u.k.-Zeit an sich vorüberziehen zu lassen. Bei mir ist der Bühnenraum komplett eliminiert. Man wird unweigerlich körperlicher Bestandteil des Geschehens und kann entsprechend auch anderes auf die Inhalte reflektieren. Das funktioniert aber nur, wenn man das Publikum limitiert und einer gewissen Beweglichkeit und einem gewissen »Zugriff« aussetzt.

Im Programmheft des Donaufestivals wird SMM als aktionistische Performance nach Motiven und Melodien von Mozart vorgestellt. Jetzt ist da aber auch noch das Ensemble Jean Louis Costes mit der so genannten Opera Porno-Social an Bord und es gibt eine Altersbeschränkung ab 18 Jahren. Wie ist das wirklich mit dem Pornografie-Anteil bei SMM?
Der Basisnenner ist natürlich, eine Kinderoper von Mozart als Porno zu inszenieren. Aber essenziell wird es natürlich weit mehr als das. Wenn du meinst, dass man Muschi und Schwanzi zu Gesicht bekommt, dann hast du wohl recht … Aber die reine Spekulation mit Porno wäre mir zu matt, wo heute im Regietheater und Arthaus-Kino ständig damit geliebäugelt wird, mal einen Steifen durchs Bild zu jagen, um im Wettbewerb als der »Arge« aufzufallen, während die Inhalte und Attitudes immer wieder nur denselben erzkonservativen Datenmüll recyclen. Bei mir ist die Obszönität eine Grundhaltung, die man durchaus als aufklärerisch verstehen darf, und die Pornografie eine Metapher für wesentlich tief greifendere Dinge. Ich sehe mich da durchaus als Orgiastiker, der im Rot-Bereich der gesellschaftlichen Tabus über allgemeinere humane Werte meditiert.

Ist die Kindesmisshandlung von Franz Anton Mesmer im Zusammenhang mit Mozart tatsächlich überliefert? Oder gibt es zumindest Indizien für diese Annahme, die über die reine Musikinterpretation hinausgehen?
Die Kinderoper »Bastien und Bastienne« wurde von Franz Anton Mesmer, der damals als Heilmagnetiseur so was wie der Wunderarzt am Hofe war, klar an den zwölfjährigen Mozart beauftragt. Dass Mozart im Rahmen dessen Opfer oder Mitträger einer Kindermisshandlung war, ist klarerweise nicht überliefert. Darüber schreiben Kinder und Jugendliche auch heute noch selten Tagebücher. Täter noch weniger. Allerdings ist belegt, dass viele damalige heranwachsende Künstler am Hof und im Umfeld eben nicht nur zu künstlerischen Fertigkeiten herangezogen wurden. Bei vielen Zeitgenossen gilt es aber als belegt. Nur gerade beim sonst wunderbarst dokumentierten Mozart gibt es da ein großes schwarzes Datenloch. Ich begann mich eigentlich damit zu beschäftigen, als mir dermaßen auf den Wecker ging, wie wenig tief schürfend viele Künstlerkollegen beim Mozartjahr das öffentliche Geld einstreiften  und ausnahmslos feige Huldigungen erstellten, ohne Dinge zu hinterfragen oder neu zu erörtern. Mich persönlich nervte ja das Süsslerte von Mozart immer unglaublich. Aber an diesem Punkt begann ich mich intensiver mit ihm zu beschäftigen und entdeckte zwischen all dem Honig und erschlagendem Frohsinn eine fast manisch-depressive Wehmut, deren Bilder fatal denen sexuell traumatisierter Kinder gleichen. Und begann dann daraus eine Historie des politischen und körperlichen Missbrauchs und der Gängelung durch Machthaber im industriellen und post-industriellen Zeitalter zu fantasieren, die »SMM« wurde. Ich bin dabei so nah und weit von den Fakten entfernt wie Peter Shaffer mit seinem weltberühmten »Amadeus«.

Aus wie vielen Personen besteht bei »SMM« das Ensemble Jean Lous Costes und sind da auch Frauen dabei? Mir fällt nur auf, dass im Donaufestival-Programmheft keine einzige Frau erwähnt wird. Wird es auch richtiges »Belcanto« geben?
Jean-Louis Costes, dessen Opera Porno-Social für mich eine der pursten und schönsten Theaterformen darstellt, kommt mit Sdellamorte, einer 20-jährigen Newcomerin, die Sängerin einer transgressiven Rockband ist, und Fellakkzione, einem Darsteller aus dem Pariser Sex-Underground, der mal Operngesang zu studieren begann. Sonst sind noch Noël Akchoté an der Gitarre und Andrew Sharpley (Ex-Stock, Hausen & Walkman) als VJ und Elektronikmusiker dabei. Ich spiel ebenso mit wie ein tatsächlich von Missbrauch betroffener Gast. Die Ausstattung macht Alexandra Maringer, die von den Wolf Haas-Verfilmungen und Seidls »Import Export« bekannt sein sollte.

Inwieweit kann Pornografie deiner Meinung nach zur Aufklärung die über das Vordergründige hinausgeht beitragen? Und worin liegt bei SMM der spezielle Pop-Faktor?
Pornografie selber ist eine Erzählmechanik und ein Grenzwert des Darstellbaren. Da kann man nur der reine Tabu-Verstoß Aufklärung darstellen, weil er von der Gesellschaft versteckte Dinge im wahrsten Sinne des Wortes enthüllt. Das absurde am neuen neoliberalen Jahrtausend ist ja die grundlegende Pornografie der Gesellschaft, wo es als zunehmend normal gilt, jederzeit seine Intim-Piercings herzuzeigen, sich in Swinger-Clubs zu treffen oder Private Zufalls-Pornos von Promis aus dem Netz laden zu können. Das hat aber ausschließlich mit einer Verdinglichung und Neuerschaffung des Menschen als plakativen Warenwert zu tun. Seelische wie körperliche Revolution und Neudefinition, also das was Aufklärung motivieren kann, kann nur ganz anders passieren. Dieser Moment liegt im Obszönen, der Verstörung, dem tief schürfenden Widersinn, der hinter der Pornografie liegen kann, wenn man ihn dort aufwirft. Pop ist für mich da ein ideales Gefäß der Herangehensweise, da er das Hierarchische des Kulturbetriebs eliminiert. Mozart war ja, wie Peter Hein von den Fehlfarben kürzlich gesagt hat, der »Dieter Bohlen von Salzburg«. Das ist auch eine der (wenigen) Sachen, die ich an Mozart schätze. Es ging darum, mit dem Volk durch den Bauch und den Schwanz zu kommunizieren, nicht mit der Willkürmacht von Verkopftheit und Klassenbewusstsein, die heute noch eine hochnäsige Abgrenzung von Theater und Oper zu anderen Kulturformen darstellen, obwohl sie essenziell selbst wie Porno funktioniere
n. Man muss ja nur überlegen, wie viele bei einer Netrebko-Arie an einen Cumshot denken … Pop sagte da immer schon: Move your ass and your mind will follow. So funktioniert auch mein Stück.

Wer ist deiner Meinung nach schuld an den Übeln des frühen 21. Jahrhunderts?
That’s an easy one: Wir!

Vielen Dank für das Interview.

>> www.donaufestival.at

Home / Musik / Artikel

Text
Stefan Koroschetz

Veröffentlichung
02.04.2008

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