Ach, wie befreiend. Der Salon darf endlich wieder ohne Corona-Maßnahmen agieren, inwieweit dies für gefährdete Personenkreise fair ist, hinterlassen wir als Post-it-Zettel am Schreibtisch des Herrn Gesundheitsministers, zur späteren Beantwortung, und über die Herbstwelle denken wir erst nach, wenn es soweit ist. Kurz bevor jetzt die Außentemperaturen für den Aufenthalt in geschlossenen Räumen zu hoch werden und unmittelbar bevor die Affenpocken zuschlagen, lassen wir am Mittwoch, dem 8. Juni noch einmal schnell den sprichwörtlichen Affen im rhiz los. Deshalb aber bitte sicherheitshalber auf das Mitbringen von Säugetieren – mögen sie auch noch so süß sein – verzichten. Also keine Hunde, Katzen, Wüstenspringmäuse oder trickreich verkleidete Schimpansen im Schlapphut, diesmal wird es ein Salon rein für Menschen – der Zoonose wegen.
Freiraum für den Sound
Kennt wer der geneigten skug-Leser*innen noch das GaGa? Einst beheimatet in der Wiener Gassergasse im 5. Bezirk. Die wenigsten nicken jetzt. Puh, das waren die frühen 1980er. Zentren wie das GaGa, das zeitweilig sehr wichtig für Wiener Punk und Aktivismus war, verschwinden meist recht spurlos. Darin liegt übrigens auch einer der Gründe, warum es skug gibt, damit dem eben nicht so ist. Der Underground braucht nämlich ein bisschen so etwas wie seine eigene Geschichtsschreibung – skug bemüht sich seit über dreißig Jahren darum. Aus gutem Grund, denn bei alternativen Zentren machen sich Menschen sehr viele Gedanken über neue Formen des Zusammenlebens und der Selbstermächtigung. Beim GaGa umfasste dies Reformpädagogik, Obdachlosenbetreuung, Räume für die Schwulen- und Lesbenbewegung und vieles mehr. Dann wird irgendwann geräumt oder aufgelassen und die Energie übergeleitet in die Nachfolgeprojekte, in diesem Fall WUK oder Rosa-Lila-Villa.
Wir freuen uns, dass wir im nächsten Salon Heinrich Deisl begrüßen dürfen. Der frühere skug-Chefredakteur (eines der wichtigsten Ämter der Republik!) kam jüngst zu Doktorwürden, weil er kritischer und sorgsamer Chronist der Wiener Soundkulturen 1976 bis 1995 ist. Nachzulesen in seiner Studie »Wiensounds«, über die wir gerne im skug Talk sprechen werden. Deisl beforschte topografisch Freiräume, Musiklokale und Clubs, als da wären: Arena, Blue Box, Flex, U4, WUK und eben das GaGa in der Gassergasse.
Der Underground braucht Räume und (hoffentlich virusfreie) Begegnung, so viel ist klar, aber in welchem Zusammenhang stehen eigentlich Orte und die Popkultur? Viel Aufregendes ist hier zu erörtern, das uns alle betrifft. Wie steht es beispielsweise um das Verhältnis von lockerer DIY-Kultur zur fast notwendig sich einschleichenden Professionalisierung? Der Charme schwindet, die feste Aufgabenverteilung folgt. Gerade Wien machte es schwer, die Stadtverwaltung zu verdammen, mit ihrer schlauen Vereinnahmung von Szenen. Was gestern noch bottom-up war, wird so blitzschnell top-down. Die Sozialdemokratie regelt das dann für uns, man kann sich da gar nicht wehren, aber wäre es nicht besser, die Menschen selbst machen zu lassen? Mehr so »frei«? Das sind so Fragen, denen wir mit Expertise begegnen wollen.
»That Scene«
Heinrich Deisl bleibt nicht allein, ihm zur Seite steht mit mindestens ebenso viel Wissen im Talon die skug-Autorin Bianca Ludewig. Sie ist szenebekannt, nicht zuletzt dank ihres Buches »Utopie und Apokalypse in der Popmusik. Gabber und Breakcore in Berlin« und beforscht Clubkultur im Gefäß der Festivals. Gegenkultur, Subkultur, Underground, vieles hat sich hier längst verflüssigt. Vielleicht müssen auch deshalb in der Diskussion dringend Neunziger-Jahre-Worte ausgepackt werden wie »rhizomatisch« im Wiener »rhiz«, denn es lässt sich ja nicht mehr so leicht sagen, wo wer oder was hingehört, allein weil die klaren Feindbilder fehlen. Alle sind irgendwie gegen den Kapitalismus und arbeiten sich die Hacken wund als Klein(st)unternehmer*innen.
Ludewig beschreibt »Szene« deshalb gerne als »Audiosoziale Gemeinschaften« und damit wäre ein ungeheuer wichtiger Punkt angesprochen. Die Szene prägt! Es ist nicht das einzelne, meist männliche Genie, das die bedeutenden und gruppenstiftenden Werke schafft, sondern es sind Szenen, die eine bestimmte Kunstausübung ermöglichen und fördern. Alle Big Artists waren Teil einer Community, selbst Van Gogh, Shakespeare oder J. S. Bach, um drei willkürliche Beispiele zu nennen, die auch einem breiteren Publikum als Überdrüber-Künstler bekannt sein dürften, arbeiteten in Szenen. In Szenen, in denen viele Menschen um sie herum ziemlich ganz genau das gleiche gemacht haben, ähnlich gemalt, geschrieben oder musiziert. Viele von denen sind heute aber nur mehr einem Fachpublikum bekannt. Die singuläre Erscheinung wird dann nachher dem übriggeblieben Genie als Giganten angedichtet und die Szene historisch vergessen. Das hat weniger mit der Realität der Kunstausübung zu tun, als damit, wie wir (fälschlich) (Kunst-)Geschichte schreiben.
Wenn Szene so wichtig für Kunst und Gesellschaft ist, braucht sie dann politisch nicht eine Agenda? Denn die Gefahr ist, dass die Leute vor sich hinhackeln und nachher fährt der Gentrifizierungsbetonmischer über alles drüber und planiert die Kreativen als erstes. Versuche allerdings, wie in Berlin, die Clubkultur unter Denkmalschutz zu stellen, haben auch einen gewissen absurden Beigeschmack. »Gehen wir heut’ Abend vielleicht mal wieder ins Techno-Museum, Schatzi?« Wie wichtig Räume sind, die frei- und niederschwellig zugänglich bleiben, ist eigentlich klar, damit der Club keine Snob-Party ist, die mit hohen Getränke- und Eintrittspreisen sich die Unerwünschten vom Hals hält. Denn das ist nicht utopisch, sondern more of the same. Aber dieser Kampf um die Freiräume wird angesichts von Energiekrise, Umweltkrise und jetzt wohl bald Inflationskrise nicht leichter werden. Wir müssen reden!
Und zur Musik des Abends
Einen Bruch sollt ihr euch heben. Nicht wegen Überpressung am Heisl, sondern um Philipp »The Fool« Hanich aus der Cut-Surface-Burg zu locken und mit DJ-Unterstützung von Labelpartnerin-in-crime Anna Pühringer auf der Bühne des rhiz ein Quantum Trost zu spenden. Die Fanfaren stehen bereit, der sogenannte Underground bläst zum Sturm auf die U-Bahn-Bögen. Schließlich klopft der Mann mit den Mikros aus dem Magen eine Grube, in die Scott Walker längst gesprungen wäre, läge der nicht ohnehin drei Meter unter der Erde.
Auf Heizkörper- und Thermostaten-Schmähs sollte man derweil verzichten, sofern man Radiateur als Beiwagerl des Narrenkönigs nicht vorzeitig entlüften will. Sein Name darf trotzdem ausgesprochen werden, als wische man sich den Hintern mit Seide aus – Ra-di-a-töööör! Klingt g’scheit und duftet nach Post-Punk aus dem Café der Existentialist*innen. Wer da keinen Bock hat, am 8. Juni 2022 ins rhiz zu schlüpfen, zahlt bei der nächsten Thermenwartung doppelt!