Amirtha Kidambi’s Elder Ones © Matthias Heschl
Amirtha Kidambi’s Elder Ones © Matthias Heschl

Saalfelden, the place to be 

Jazz in vielen Richtungen, altbewährt, aber auch breit neu gedacht: Zum 44. Mal fand vom 21. bis 25. August 2024 das Jazzfestival Saalfelden statt und ließ Besucher*innen fasziniert von einem Konzert ins nächste stolpern. Ein Bericht von den sams- und sonntägigen Berg- und Bühnenkulissen.

Festivals am Land bzw. in Kleinstädten wie Saalfelden haben ihren Charme, denn plötzlich wird musikalische Vielfalt an für gewöhnlich verschlafene Orte gebracht, die sich viel mehr im Tourismus als in der Kultur verorten. Die Kooperation des Kulturvereins Zentrum Zeitgenössischer Musik mit dem Tourismusverband Saalfelden ist also einzigartig, was internationale wie heimische Gäste mit großem Zuspruch danken. 

In der malerischen Bergkulisse des Steinernen Meers gelegen, haben sich die Veranstalter*innen des Jazzfestivals Saalfelden 2024 konzeptionell so einiges einfallen lassen, was im Publikum nicht nur Expert*innen adressiert, sondern breiter auch z. B. die heimische Bevölkerung und Junge vor Ort anspricht. Bunt gemischt also die Genres: etwa afrikanische Klänge, nigerianischer Funk der chilenischen Formation Newen Afrobeat, die im Zeichen des nigerianischen Afrobeat-Vaters Fela Kuti steht. Ebenso gaben Indierock-Bands wie Bipolar Feminin oder der Pop/HipHop von Nenda mit den Ausschlag, nach Saalfelden zu reisen, doch hohe Erwartungen können auch leicht enttäuscht werden …

Favoritin Nenda

Abseits einer vorherrschenden Jazz-Definition ist auch die Formation um Nenda (Nenda & Gilewicz) zu einem Gastspiel geladen. Nenda ist eine faszinierendere Musikerin, wenn sie bei ihrem Konzert nur mehr selbst singen und nicht ihrem Musikerkollegen Lukas Ganders von Gilewicz so viel Platz einräumen würde! Er sang stellenweise ein Lied nach dem anderen, was langweilte und nervte. Wenn hingegen Nendas Stimme erklang, verzauberte sie: Der Song »Stella« von ihrem kommenden Debütalbum erlebte seine öffentliche Premiere, und das beim Jazzfestival Saalfelden! Ihr »Hit« »Mixed Feelings«, mit dem Nenda 2021 die Spitze der FM4 Charts erklomm, ließ das Publikum endgültig in ausgelassenes Tanzen verfallen. Im Tiroler Ötztal aufgewachsen, war Nenda als Schwarze Frau schon früh mit Rassismus konfrontiert, den sie in ihren Songtexten thematisiert.

Was war sonst noch im Angebot? Auf der akustisch wie optisch eindrucksvollen Mainstage generierte das aus dreizehn Musiker*innen bestehende Amsterdamer Brainteaser Orchestra, vormals AM.OK, die unterschiedlichsten Klangräume und setzte damit Emotionen beim Publikum frei, wozu insbesondere auch die Samples von Mastermind Tijn Wybenga, Komponist und Bandleader des Ensembles, beitrugen. Im »Fabrikschick« der Otto-Gruber-Halle, die den Besucher*innen überwiegend nur Stehplätze oder »Am-Boden-Sitze« offeriert, trat die imposante, in Dänemark lebende Brasilianerin Marcela Lucatelli mit zwei Musikern auf. Experimente mit der riesigen Bandbreite ihrer Stimme bringen eine*n an akustische Grenzen und faszinieren gleichzeitig durch »unmenschlich menschliche« schwarze Magie. Auch Nekromantie, über die sie in Kontakt mit Verstorbenen zu stehen behauptet, ist ein Thema in ihrer Musik.

Marcela Lucatelli © Matthias Heschl

Politische Komponente

Amirtha, die Sängerin der Formation Amirtha Kidambi’s Elder Ones nutzte ihr Konzert für brennende politische Aussagen, die aus linken Diskursen bekannt sind, pro Palästina und dass der indische Präsident Modi ein Faschist sei, aber auch den Aufruf, Spotify zu kündigen, da bei Künstler*innen nur ein Minimum des finanziellen Anteils (0,01 %) aus dem Musikkonsum landen würde. »Macht, Unterdrückung, Kapitalismus, Kolonialismus, weiße Vorherrschaft, Gewalt und die sich verändernde Natur der Wahrheit« prangerte Amirtha vehement an und gelangte via indischer Tradition zur Improvisation der New Yorker Avantgarde.

Sonntag, der 25. August, bescherte zunächst ein Ärgernis beim Brücklwirt, wo das Konzert von Haptic Harmonies um 12:00 Uhr angesetzt war. Leider war der 100 Personen fassende Raum bereits gefüllt und der Zutritt nicht mehr erlaubt. Wie gut, in solch einer Situation trotzdem viele äußerst freundliche, ebenfalls (umsonst für dieses Konzert) angereiste Menschen kennenzulernen. In der Otto-Gruber-Halle spielten Oli Steidle & the Killing Popes mit ihrem blasphemischen Namen, der Programm ist, dann noch noisige »Anarcho-Avantgarde« at it’s best.

Fazit und Kritikpunkte

Meine Genderbrillen-Kritik bezüglich aller Acts, die ich samstags und sonntags beim Jazzfestival Saalfelden gesehen und oben besprochen habe: Dieses Thema wird leider ähnlich wie Disability vernachlässigt! Obwohl mir bei meiner Frage danach auf der Pressekonferenz versichert wurde, dass bei der Programmierung beim Jazzfestival Saalfelden im Unterschied zu anderen Jazz-Kontexten Gender-Awareness bestünde. Dann sollten die zwei realpolitischen Geschlechter Männer versus Frauen mal durchgezählt werden, hätte ich entgegnen sollen. Denn liegen die quantitativen Fakten auf dem Tisch, sind sie sicher weit entfernt von 50/50.

Doch meine Anregung zu Disability-Awareness am Festival, z. B. indem für Menschen mit Behinderung Sitzmöglichkeiten geschaffen werden, wurde für die Zukunft dankbar aufgenommen. Leider waren die öffentlichen Verkehrsmittel rund um das Festival Saalfelden auch eine ziemliche Katastrophe, wenn man Großstadt-Öffi-Strukturen gewohnt ist. Als ob nicht mehr wegzukommen sein sollte von diesem Ort. Hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Aber ansonsten ein großes Dankeschön für dieses tolle, absolut empfehlenswerte Festival!

Link: https://www.jazzsaalfelden.com/

Home / Musik / Konzert

Text
Dominika Krejs

Veröffentlichung
29.08.2024

Schlagwörter

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