William Bennett, Foto: <a title="www.susanlawly.freeuk.com" target="_blank" href="http://www.susanlawly.freeuk.com">Susan Lawly</a>
William Bennett, Foto: Susan Lawly

Rhythm is a dancer

Der Brite William Bennett ist vor allem durch seine Band Whitehouse bekannt. Aktuell widmet er sich überwiegend seinem Projekt Cut Hands. skug traf Bennett in Graz.

Die 1980 gegründete Formation Whitehouse prägte das Genre Power Electronics mit und gilt als ein wichtiger Einfluss für die Noise- Szene. Die Band verstand es nicht nur, mit ihrer radikalen Soundästhetik zu polarisieren, sondern auch mit ihren Inhalten. So nehmen viele Texte, Songtitel und Cover direkten Bezug auf Grausamkeiten wie Konzentrationslager, Serienmörder oder Gewalt gegen Kinder und zeugen damit von einer intensiven, ja obsessiven Auseinandersetzung mit den extremsten Abgründen menschlicher Existenz. Neben William Bennett (Jahrgang 1960), der einzigen Konstante von Whitehouse, waren zehn weitere KünstlerInnen zeitweise Mitglied der Gruppe, darunter von 1983 bis 2008 (mit einer zehnjährigen Unterbrechung) Philip Best. Von Bennetts 2011 gegründetem Projekt Cut Hands sind bisher zwei Alben und vier EPs erschienen. Die Sounds haben sich im Vergleich zu Whitehouse ziemlich verändert, die sich auftürmenden Wände aus Harsh- Noise und Text sind reinen Perkussionsstücken gewichen. Im Gespräch erzählt William Bennett, wie es zu dieser musikalischen Neuausrichtung kam:

»Ich erinnere mich gut daran, als ich in den späten 1970er Jahren mit Daniel Miller und Robert Rental erstmals auf Tour ging. Ich spielte damals in einer Wave-Band Gitarre, und die beiden machten Elektronik. Wir verbrachten viel Zeit in unserem Minibus, wo uns Daniel von seiner Begeisterung für elektronische Musik im Stil von Kraftwerk erzählte. Er hatte die Vision, dass die Leute irgendwann einmal auf Konzerte gehen würden, bei denen nur eine Drum-Maschine auf der Bühne steht – ganz ohne Gesang, Harmonien oder Melodien. Damals empfanden viele eine solche Vorstellung wohl als dystopisch, doch für Daniel war es eine Utopie. Ich finde es spannend, wie weit wir uns mittlerweile in diese Richtung entwickelt haben. Minimal Techno etwa hat meist keine Stimme mehr, und auch die Melodien sind weitgehend verschwunden; allerdings verfügen die Basslines immer noch über eine gewisse harmonische Qualität. Meine Produktionen als Cut Hands orientieren sich hingegen weitgehend daran, was Daniel in unseren Gesprächen damals vorgeschlagen hat – am Ende bleiben nur die Drums.«

Die Drums von Cut Hands erinnern einerseits an afrikanische Perkussionsstücke, wirken jedoch andererseits auch ein wenig hölzern (oder besser: metallisch) und maschinell, im Sinne von Industrial und EBM.

»Ich verwende immer bestimmte Grundsounds, da mir eine spezielle Sound-Signatur sehr wichtig ist. Ich schätze das, wenn man beim Hören sofort erkennt, von wem die Musik ist. Aber ich habe einen Horror davor, mich zu wiederholen. Wenn ich also ein Musikstück mache, das mir gefällt, zerreiße ich nachher die Noten und lösche alle Presets, weil ich sie für spätere Projekte nicht mehr zur Verfügung haben will. Ich beginne also permanent von null, womit der »Prozess« bei allen Stücken unterschiedlich ist. Das kann sowohl die Instrumente als auch den Aufnahmeprozess betreffen. Allerdings habe ich eine sehr genaue Vorstellung davon, wie das Ergebnis aussehen soll. Das geht zurück auf ein Erlebnis, bei dem ich vor einigen Jahren MusikerInnen aus Haiti dabei beobachtet habe, wie sie mit ganz einfachen Mitteln – vorwiegend Metallstücke und Steine – unglaublich intensive, kraftvolle Musik gemacht haben. Mir wurde in dem Moment bewusst, wie sehr wir von Technologie abhängig sind. Meiner Meinung nach sollten wir unsere Denkweise verändern und uns überlegen, wie wir mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln ein bestimmtes Ergebnis erreichen können – und nicht anders herum.«

Inspiration, nicht Imitation
Der Bezug zu Musik aus Haiti und Afrika wirft zwangsläufig die problematische Frage nach kultureller Aneignung in einer postkolonialen Gesellschaft auf. Bei William Bennett kamen noch Vorwürfe aus der Zeit von Whitehouse hinzu, die ihm eine Nähe zu Nationalsozialismus und Rassismus unterstellten. Bennett reagierte stets entschieden auf diese Kritik:
»Ich besitze eine Sammlung von Instrumenten aus Ghana und kann einige davon auch spielen. Obwohl es vielleicht nicht so klingt, finden sich in meinen Produktionen aber nur wenige Einflüsse westafrikanischer Musik. So ist man beim Hören einer Djembe schnell versucht, anzunehmen, dass es sich um afrikanische Musik handelt – und zwar bloß aufgrund dieses bestimmten Instrumentes. Ich nehme mich dabei gar nicht aus. Auch im Fall der modernen Gitarre handelte es sich ursprünglich um ein maurisches Instrument aus Nordafrika – und trotzdem haben wir diese Assoziation üblicherweise nicht. Zwar ist meine Musik von Voodoo und west- und zentralafrikanischer Perkussionsmusik definitiv »inspiriert«, aber nicht »beeinflusst« – das ist ein großer Unterschied! Ich versuche nicht, die Musik zu dekonstruieren, um sie danach wieder auf meine persönliche Art zu rekonstruieren – ich glaube auch nicht, dass daraus gute Musik entstehen würde. Meine Inspiration kommt vom Ergebnis, dem emotionalen Zustand, der durch die Musik entsteht.«

Musikalischer Universalismus
bennet1.jpgAuf die Frage, ob er schon einmal Haiti besucht hätte, antwortet Bennett: »Das wäre ein großer Traum von mir.« Die Filmemacherin und Autorin Maya Deren besuchte hingegen die Insel ab 1947 mehrmals, ihre Arbeiten über die haitianische Voodoo-Kultur sind in verschiedener Hinsicht herausragend und stellen auch für Bennett einen wichtigen Bezugspunkt dar. Die kanadische Filmwissenschaftlerin Catherine Russell beschreibt in ihrem Buch »Experimental Ethnography« (1999), dass die Entpersonalisierung ihrer ProtagonistInnen eines der zentralen Merkmale von Derens Arbeiten ist und verweist dabei auf ein Zitat der US-amerikanischen Filmtheoretikerin Maria Pramaggiore: »Derens Vermarktungsstrategien trugen zur Schaffung der Vorstellung vom modernistischen »Artist-Auteur« bei […], während sich ihre im Film vervielfachten und fragmentierten ProtagonistInnen der textuellen Interpretation ihrer Rollen entziehen.« Begreift man Bennetts Djemben als ProtagonistInnen seiner Arbeit, so wendet er dabei eine ganz ähnlich Technik wie Deren an: er vervielfacht und fragmentiert seine Instrumente, entpersonalisiert sie und entzieht sie damit Zuschreibungen von außen.
»Ich fühle mich der Herangehensweise von Maya Deren sehr verbunden. In ihren Arbeiten taucht sie ja in die Materie tatsächlich ein, um selbst die Erfahrung zu machen. In der Regel richten FilmemacherInnen ihren Blick von außen nach innen, woraus sich zwangsläufig eine voyeuristische Perspektive ergibt. Selbst wenn ich vielleicht nie in der Lage sein werde, an gewissen Ritualen teilzunehmen, so versuche ich mir zumindest vorzustellen, wie sie sich anfühlen könnten und wie meine 24 emotionale und physische Reaktion darauf wäre. Je mehr ich damit begann, mich auf das Ergebnis von Musik zu konzentrieren, statt auf Instrumente und Technologie, umso mehr wurde mir klar, dass es sich dabei um ein universelles Konzept handelt. Man kann in der Musik aus Ozeanien, Japan oder auch Schottland mit seiner keltischen Musiktradition durchaus Gemeinsamkeiten finden. Ich fürchte allerdings, dass vieles davon in der Vergangenheit verlorengegangen ist. Das hängt wohl damit zusammen, dass sich der Mensch seit tausenden Jahren vorwiegend auf exoterische, nach außen gewandte Erfahrungen konzentriert. Die Esoterik ist dabei auf der Strecke geblieben.«

Um das Verhältnis von Ritualen und der (Begleit-)Musik zu erklären, nennt Bennett das Beispiel von John Miller Chernoff. Dieser hatte viele Jahre in Ghana gelebt, um das Trommelspiel und verschiedenen Rhythmusstrukturen zu erlernen, seine Erkenntnisse hat er in dem Buch »African Rhythm and African Sensibility« niedergeschrieben. Bennett: »Hier im Westen – was für ein ausgelutschter Begriff! – sind wir gewohnt, unsere Musik für ein Publikum zu spielen. Es bleibt dem Publikum überlassen, was es damit anfängt. In Ghana hingegen dreht sich die Musik immer um ein Ritual, bei dem die Leute tanzen – egal ob Hochzeit oder Begräbnis. Allerdings tanzen die Menschen nicht zur Musik, sondern genau umgekehrt! Die MusikerInnen spielen zu den Tänzen, die ihnen die Einsätze liefern. Das erklärt warum es MusikwissenschaftlerInnen bislang noch nicht gelungen ist, diese Musik zu in ihre Bestandteile zu zerlegen – weil es die Sprache eines Tanzes ist und nicht die der Musik. Dieser grundlegende Paradigmenwechsel führt uns wieder auf die Frage von Exoterik und Esoterik in der Musik zurück.«

Zauber des Unsichtbaren

Catherine Russell weist in ihrem Buch allerdings auch auf zwei Schwachstellen in Derens Arbeiten hin. Zum einen betrifft dies ihre Position als Betrachterin hinter der Kamera, die sie von den HaitianerInnen unterscheidet. Nie sieht man sie selbst als Teilnehmerin am Ritual, obwohl Deren »darauf besteht, dass dies für dessen Verständnis eine notwendige Voraussetzung sei«. Zum anderen bleibt ihr Interesse an den haitianischen Ritualen auf eine rein metaphysische Ebene beschränkt, während sie die »sozioökonomische und politische Geschichte von Voodoo ausblendet«. Dadurch unterliege Deren dem »Paradigma des Primitivismus, der seine Subjektivität nur an okkulten Phänomenen ausrichtet«. Nur dadurch habe sich Deren mit den »Ureinwohnern « identifizieren können, so Russell. Auch bei William Bennett finden sich diese Brüche. Daher ist es konsequent, dass bei Cut Hands neben der Musik selbst der Performance eine wichtige Rolle eingeräumt wird:

»Ich habe diese Idee von »Magie« als etwas, das man realisiert, obwohl man eigentlich dachte, dass es nicht möglich sei. Das ist vergleichbar mit dem Zauberer auf einer Bühne, wenn er einen lebendigen Vogel aus dem Ärmel schüttelt oder eine Frau in zwei Teile zersägt. Man weiß eigentlich, dass es nicht möglich ist, und doch sieht man es mit den eigenen Augen passieren. Im Falle des Zauberers weiß man natürlich, dass es sich dabei um einen Trick handelt. Entfernt man allerdings die Bühne, wird es zu einer realen Erfahrung, die dem Betrachter etwas abverlangt, das man als »transparentes Zugeständnis« beschreiben könnte: transparent, weil man nicht wirklich sieht, was passiert; und Zugeständnis, weil wir ja eigentlich wissen, dass es nicht möglich ist. Darüber habe ich viel von Konstantin Stanislawskis »Method Acting« gelernt, wo ein großer Teil der Arbeit für den Zuseher unsichtbar bleibt. So halten etwa die SchauspielerInnen auch in den Pausen zwischen ihren Auftritten ihre Rollen durch. Wenn sie wieder auf die Bühne treten, spielen sie ihren Charakter weiter. Auf das Publikum hat das einen starken Effekt, es wirkt realistisch und ist sehr überzeugend. Und trotzdem ist viel davon unsichtbar, denn man sieht ja nicht, was außerhalb der Bühne passiert. So erzeugt man Magie.«


Cut Hands: »Damballah 58« (Blackest Ever Black)
William Bennett: Personal Statement

Weiterführende Literatur

Catherine Russell: »Experimental Ethnography. The Work of Film in the Age of Video« Durham/London: Duke University Press, 1999
John Miller Chernoff: »African Rhythm and African Sensibility« Chicago: University of Chicago Press, 1981

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